Pateras und Immigranten


© Frank Echtermeier

Werden die Kanaren von Flüchtlingen aus Schwarzafrika überschwemmt?

Schon seit Jahren ereilen uns fast täglich Meldungen von Pateras, die regelmäßig an den Küsten der Kanarischen Inseln landen oder auf dem Meer in Seenot geraten. Pateras, das sind die äußerst notdürftig ausgestatteten und meist völlig überfüllten Flüchtlingsboote, die Menschen von kleinen Häfen in Marokko, Westsahara oder Mauretanien ins „gelobte Land“, also nach Europa bringen sollen.

Ziel: Die Kanaren, vornehmlich Lanzarote, Fuerteventura oder Gran Canaria, denn diese Inseln sind teilweise nur ca. 200 km vom nordafrikanischen Festland entfernt. Die Flüchtigen selbst stammen von der Westküste Schwarzafrikas, kommen meist aus Ghana, Elfenbeinküste, Gambia, Senegal usw. oder es sind heimatlose Sahauris aus der ehemaligen Sahara Española.

Im Jahre 2005 war die Zahl der Immigranten mit 4700 noch stark rückläufig verglichen mit dem Vorjahr (ca. 8400), allerdings gibt die Entwicklung der letzten Wochen erneut Anlass zur Sorge, es könne zu einem neuerlichen Boom kommen.

Ein Indiz für das ansteigende Flüchtlingsaufkommen ist sicherlich auch das Anlanden einer Patera am Samstag, dem 4. März in La Restinga an der Südspitze der kleinsten Kanareninsel El Hierro. Dies war ein Novum, denn in all den Jahren war es erst die insgesamt zweite Patera, die ausgerechnet Hierro erreichte und die Aufregung im sonst so beschaulich-ruhigen Fischerdorf La Restinga war dementsprechend groß.

Als das nur neun Meter lange Boot mit 43 Menschen an Bord um 16.30 Uhr anlegte, war das halbe Dorf auf den Beinen und man bemühte sich nach Kräften und in vorbildlicher Weise, die Leute sofort mit dem Nötigsten zu versorgen.

Es bot sich das typische erschütternde Bild, das man bereits bestens aus den Medien kannte –  Patera sowie Flüchtlinge befanden sich in gleichermaßen desolatem Zustand. Viele konnten sich gar nicht auf den Beinen halten, wiesen starke Symptome von Dehydrierung auf und waren ebenso psychisch völlig am Ende, die Gesichtszüge geprägt von starker Apathie. Letzteres sicherlich auch infolge akuten Schlafmangels, denn die Leute waren nach eigener Aussage vom mauretanischen Grenzdorf Nouadhibou aus gestartet und bei unruhiger See drei Tage und Nächte lang unterwegs gewesen.

Die Verständigung gestaltete sich ziemlich kompliziert, denn nur wenige sprachen so etwas wie gebrochenes Englisch oder Französisch und die meisten waren rein physisch ohnehin nicht in der Lage, irgendwelche Erklärungen abzugeben. Zudem hatte man den Eindruck, dass sie instruiert waren, möglichst wenig über ihre Identität und Herkunft preiszugeben. Dies ist typisch, ebenso die Tatsache, dass niemand im Besitz von persönlichen Dokumenten war. Dadurch soll verhindert werden, dss sie wieder in ihre Heimatländer abgeschoben werden und die Schlepperbanden in Westafrika, die diese „Reisen“ organisieren, sorgen schon in eigenem Interesse peinlich genau dafür, dass eine Identitätsklärung schwer bis unmöglich wird.

Durch dieses Procedere wird den Immigranten allerdings auch die letzte Chance genommen, möglicherweise als Asylant anerkannt zu werden und tatsächlich eine bessere, menschenwürdige und vor allem legale Existenz zu finden. So aber vegetieren sie weiterhin als Un-Personen dahin und sind praktisch gar nicht existent.

Der Fall der Patera von La Restinga ist sehr bezeichnend. Sie wurde von den Schleusern bis zum Rand mit Flüchtlingen vollgestopft und dann sich selbst überlassen. Es war niemand an Bord, der auch nur die leiseste Ahnung von Navigation und sonstigen nautischen Gegebenheiten hatte. Das Boot war lediglich mit einem 40PS-Motor bestückt, ansonsten in einem katastrophalen Zustand und wie alle Pateras absolut hochsee-untauglich. Für die Schlepper ist all dies lediglich ein kleines „kalkulierbares Risiko“, nicht weiter der Rede wert in ihrem schmutzigen und menschenverachtenden Geschäft. Diese so genannten „Guides“ kassieren für ihre Schleusertätigkeit bis zu 2500 Euro pro Nase, ein Betrag für den der gesamte Familienclan eines einzigen Immigranten in dessen Heimatland jahrelang schuften und sparen muss.

Sie ködern die Ausreisewilligen mit wahnwitzigen Geschichten über das Land, wo Milch und Honig fließ, und flunkern das Blaue vom Himmel herunter. Die Träume vom Paradies zerplatzen dann allerdings recht schnell, wenn nicht schon auf dem zermürbenden langen Landweg bis zum Erreichen der Häfen im Nordwesten Afrikas, dann spätestens in der Hölle auf See und wer das alles dann glücklich überlebt hat, für den ist Endstation im Flüchtlingslager.

Man fragt sich, was einen Menschen dazu bewegen mag, all diese Strapazen und lebensbedrohlichen Risiken auf sich zu nehmen. Die Antwort ist immer die selbe: Hunger, Not, Bürgerkrieg, Angst, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit in der Heimat. Schlimmer als dort kann es nicht werden, selbst der Tod wäre besser oder gar eine Erlösung.

Allein an besagtem Wochenende erreichten noch drei weitere Pateras und somit insgesamt ca. 200 Flüchtlinge die Kanaren und bis zum heutigen Tage ist kein Rückgang des Immigrantenstroms erkennbar. Ebenso wenig scheint eine politische bzw. gesellschaftliche Lösung in Sicht. Weder hier in Spanien und schon gar nicht in den Herkunftsländern der Immigranten, wo logischerweise die Wurzel des Übels zu suchen ist.

Text

Frank Echtermeier

La Restinga, El Hierro

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