Alles ist anders


Gedanken für mich – Augenblicke für Gott

Ein plötzlicher Todesfall in der Familie oder im Bekanntenkreis – und auf einmal ist alles ganz anders. Unabweisbare Fragen tun sich auf, die man sonst im Alltag recht geschickt zu verdrängen wusste. Zweifel melden sich, die man schon lange nicht mehr zugelassen hatte, man ist betroffen und alles sieht eben ganz anders aus.

Bei solchen Geschehnissen kommt mir immer Marta in den Sinn. Sie ist eine der beiden Schwestern, die mir in diesem Jahr auch schon bei der Karnevalspredigt Pate für viele Gedanken gestanden sind. Für diese Marta war plötzlich auch alles ganz anders. Bislang haben wir sie nur als geschäftige, um die Bedienung Jesu besorgte Hausfrau kennen gelernt. Da ging es ihr vornehmlich um das leibliche Wohl der anderen und deshalb kam sie im Evangelium schon fast ein wenig in Misskredit. Aber das ändert sich schlagartig, als ihr Bruder Lazarus tot ist. Es war noch nicht lange her, da hatten sie gemeinsam Gäste im Haus und niemand sprach von Krankheit, Schmerzen oder gar Tod. Auf einmal ist er nicht mehr unter den Lebenden. Er ist gestorben – schnell, schlagartig.

Zuerst kommt die öffentliche Totenklage, dann das Begräbnis und daran wiederum schließt sich eine siebentägige Trostzeremonie an. Marta hat also wieder viele Gäste im Haus; gute Freunde, die gekommen sind, um ihrem Bruder den letzten Dienst zu erweisen und vor allem aber Maria und Marta nicht in ihrer Trauer allein zu lassen. Eine Form der gemeinsamen Trauerarbeit, die wir weitgehend verlernt haben. Wie oft lassen wir die Hinterbliebenen nach der offiziellen Abschiedsfeier  in ein tiefes Loch fallen, weil wir sie allein lassen und uns nicht um sie kümmern? Warum kein Anruf? Warum schreiben wir nicht mal einen längeren Brief anstatt eine der „genormten“ Trauerkarten zu versenden? Warum stellen wir nicht öfter die Frage: Was kann ich für dich tun?

Dabei ist mir klar, dass für Marta die größte Enttäuschung darin bestand, dass Jesu, ihr gemeinsamer Freund und Helfer, nicht rechtzeitig gekommen ist. Das muss sie und auch ihre Schwester tief verletzt haben. Fragen wir uns doch einfach mal, wie es uns da ergehen würde: Muss es einen nicht zutiefst kränken, wenn die, auf die man alle Hoffnung setzt, einen im Stich lassen? Und wie kann Jesus diesem doch mehr als verständlichen Vorwurf begegnen? Und ich stelle fest: Er hört zu! Marta kann dabei ihren ganzen Kummer aus sich herauslassen. Sie spürt sein Verständnis und fühlt sich in ihrem Schmerz angenommen. Genau dadurch aber verändert sich auch ihre Trauer. Sie wird anders! Sie entdeckt, dass es in allem Schmerz auch noch eine Hoffnung gibt, die immer noch an Jesus hängt und die ihm alles zutraut. Deshalb erwartet sie auch etwas von ihm: „Was du von Gott erbittest, das wird er dir auch geben!“ Bislang gab es in ihrer häuslichen Umgebung wenig Raum für theologische Gespräche und die Auferstehung am Jüngsten Tag war in weiter Ferne. Doch als Jesus ihr versichert: „Ich bin die Auferstehung und das Leben“, da rückt das alte Glaubensgut plötzlich wieder in die Gegenwart. Marta erfährt, dass der Glaube hilfreich und lebensnah sein kann. Sicherlich bleiben ihr dadurch der Schmerz und die Trauer über den Tod des Bruders nicht erspart. Lazarus wird wieder sterben müssen. Aber es ist etwas anders geworden: Es gibt den Trost, den der Glaube an ein Weiterleben nach dem Tod schenkt. Und so fühlt Marta, dass ihr Schmerz von einer ganz neuen Zuversicht getragen wird. Der Tod hat eben nicht das letzte Wort; es gibt eine Zukunft für uns Menschen – auch nach dem Tod.

Allerdings gibt es auch ein Leben vor dem Tod und es gibt viele kleine Tode in unserem Leben. Wie oft müssen wir Abschied nehmen von Ideen und Träumen, wie wir unser Leben gestalten? Wie oft gibt es Enttäuschungen über die Schwächen bei engsten Freunden und Verwandten? Wie oft gibt es die Erfahrung von Distanz und Entfremdung in einer Partnerschaft? Wie oft das Unverständnis von Kollegen? All das muss ja bewältigt werden.

Ich denke, wer einmal aus der Nähe und der Betroffenheit eines Todesfalls zurückgependelt ist in jene Gelassenheit, die der Glaube schenkt, der kann zuversichtlich und unaufgeregt die kleinen Tode zulassen, die uns aus falschen Bindungen und Verstrickungen lösen wollen. Und so wie wir auf dem Friedhof Abschied nehmen, um zum Leben zurückzukehren – auch wenn es eine Zeit dauern mag – so könnten wir in ein anderes Leben zurückkehren, wenn wir eine Verletzung, eine Enttäuschung, ein Missverständnis hinter uns lassen wie einen Tod. Alles gehört zu unserem Leben – aber es darf uns nicht festhalten und wir dürfen es nicht festhalten. Nur so wird alles auch für uns wieder anders – neu und voller Leben.

Ihr Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und

Residentenseelsorger

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