» An der Grenze « (Teil 1)


Der Barranco de Herques zwischen Fasnia und Güímar gehört mit mehr als 12 km Länge zu den ganz großen. Touristisch spielt er keine Rolle; andere Ziele sind komfortabler. Man nimmt ihn als besondere Schlucht kaum wahr. Dabei ist er auf seiner gesamten Länge als Naturdenkmal und als archäologisch bedeutsames Gebiet besonders geschützt. Tief und steil wurde er in zahlreiche übereinanderliegende dicke Basaltschichten eingeschnitten. Die untersten und ältesten sind bis zu fünf Millionen Jahre alt. Als sie entstanden, war der Vulkanismus des Teno-Gebirges schon weitgehend erloschen. Die dortigen Barrancos wie der von Masca sind wesentlich älter und dürften damals schon ähnlich tief wie heutzutage der Barranco de Herques gewesen sein. Kein Wunder also, dass bei Masca die Wände um einiges höher sind. Die Höhe der großen gotischen Dome erreicht die steilen Wände unseres „jüngeren“ Barrancos jedoch schon in fast seinem gesamten Mittel- und Unterlauf. Vor allem in alter Zeit stellte er damit ein schwer überwindbares Hindernis und zugleich eine perfekte Grenze dar. Kein Wunder, dass genau hier in vorspanischer Zeit die Grenze zwischen den Menceyatos (Herrschaftsgebieten) von Güímar und Abona verlief. Und ebenso einleuchtend schufen hier die neuen Inselherren die Grenze zwischen zwei Kirchensprengeln und später die modernen Gemeindegrenzen zwischen Güímar und Fasnia. Nur im Oberlauf der Schlucht, im Bereich des heutigen Naturparks „Corona Forestal“ gab es früher keine Grenzen. Dort fanden traditionell die Viehherden ihre Sommerweide, und das Bergland war Allgemeingut. 

Über 2000 Jahre lang durchquerte nur ein einziger, etwas luftig ausgebauter Weg die Schlucht unterhalb des Dorfs Fasnia. Er windet sich dort von beiden Wänden zur Talsohle hinunter und ist heute Teil einer empfehlenswerten Wanderung über den gut markierten Camino Real del Sur zwischen dem zu Güímar gehörenden Weiler El Escobonal und Fasnia. Erst mit Beginn des 20. Jahrhunderts war man in der Lage, die Carretera General, die heutige TF-28 zu bauen. Den Barranco de Herques überwand sie nur durch die Kombination einer Bogenbrücke über den Abgrund und eines anschließenden Tunnels durch die östliche Wand, seinerzeit sicherlich eine besondere Leistung im Straßenbau. In den Achtziger-jahren gelang dann mit der Südautobahn der Bau einer zweiten und bisher letzten Straße nah bei der Küste, wozu ein hoher Damm quer durch die Schlucht aufgeschüttet wurde. Das Material dazu wurde illegal dem Bett der Schlucht entnommen, wo sich im Laufe der Jahrmillionen eine dicke Geröllschicht abgelagert hatte. Die Narben dieser Umweltsünde sind noch gut sichtbar, sofern man die Schlucht überhaupt erkennt. Ihr eindeutiges Merkmal ist ein breites ockerrotes Felsband neben der Autobahn kurz vor der Ausfahrt 32 (von Güímar kommend).

Dabei war der Barranco trotz allem keineswegs unzugänglich. Zahlreiche Wohnhöhlen aus guanchischer Zeit konnten dort verortet werden, und geradezu legendär ist die „Cueva de los Mil Momias“, eine Bestattungshöhle, in der sich dem angesehensten kanarischen Geschichtsschreiber und Wissenschaftler des 18. Jahrhunderts, José Viera y Clavijo, zufolge Hunderte Mumien der Ureinwohner in teilweise perfektem Erhaltungszustand befanden. Die Guanchenmumie im Archäologischen Nationalmuseum in Madrid, die als die besterhaltene weltweit gilt, soll dort gefunden und später dem spanischen König geschenkt worden sein. Obwohl Viera y Clavijo berichtet, selbst in dieser Höhle gewesen zu sein, weiß niemand, wo im langen Verlauf des Barrancos diese gewesen sein soll. Zahlreiche Versuche, sie wiederzuentdecken, verliefen ergebnislos. Selbst wenn man dort irgendwo eine entsprechend große Höhle fände, bliebe zweifelhaft, ob es sich um die beschriebene handelt. In der Regel wurden solche Fundstätten relativ bald geplündert, ihr Inventar verschwand in privaten Sammlungen oder wurde zu Geld gemacht. Dem Barranco aber blieb der Ruch des Geheimnisvollen.

Zwischen der erwähnten Brücke und dem Tunnel an der TF-28 führt eine bequeme Piste hinab ins Schluchtbett. Wendet man sich dort nach links, um unter der Brücke hindurchzugehen, steht man nach wenigen Augenblicken an einem für Wanderer unüberwindlichen Steilabsturz. Folgt man aber der Piste weiter bergwärts, kann man auf überwiegend sandigem Untergrund eine gute halbe Stunde bei nur geringer Steigung den Windungen der Schlucht folgen und die Wände mit zahlreichen Bändern und Höhlen betrachten. Genügend von ihnen weisen das Format von Wohnhöhlen auf. Die meis­ten scheinen eher vom oberen Rand über Bänder und abschüssige Flanken erreichbar zu sein. Die Guanchen waren bekanntermaßen in steilen Wänden geschickter als unsereins. Auch der Pflanzenreichtum kann sich sehen lassen. Alles was für diese Klimazone typisch ist, wächst hier, manchmal auch noch mehr, wie die Königskerzen, die von Natur aus gar nicht auf den Kanarischen Inseln vorkommen, hier eingeschleppt, aber immer mal wieder im trockenen Flussbett breite Blattrosetten entwi­ckeln. Momentan scheint keine Bedrohung der angestammten Pflanzenwelt von ihnen auszugehen.

Die Piste wird bald zum schmalen Weg, dem man mühelos folgen kann, bis man schließlich vor einer Felswand steht, die sich quer durch die Schlucht erstreckt und das Weiterkommen verhindert. Früher rauschte hier ein Wasserfall. Die Pflanzen haben es noch nicht geschafft, ihn zu besiedeln, nachdem die Quellen vor etwa 100 Jahren versiegten. Rechts und links davon ist der Fels dicht bewachsen. Hier bleibt nur der nicht weniger hübsche Rückweg. Es gibt jedoch eine Möglichkeit, weiter oben wieder den Barranco zu betreten. Jenseits des Tunnels, dort wo man sein Auto parken kann, beginnt eine kurze Asphaltpiste, die auf dem Rücken nach oben führt. Dicht am Rand der Schlucht bietet sie einen prächtigen Tiefblick und belohnt uns damit für die Anstrengung des in diesem Wegabschnitt sehr steilen Aufstiegs.

(Fortsetzung folgt.)

Michael von Levetzow 

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