Arbeitsreform im Fadenkreuz


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Landesweite Proteste gegen geringere Abfindungen und gelockertes Tarifrecht

Am 19. Februar gingen in ganz Spanien Hunderttausende auf die Straße, um gegen die Reform des Arbeitsrechts zu protestieren. Die größten spanischen Gewerkschaften UGT und CC.OO. hatten die Massen mobilisiert, die insbesondere gegen die Senkung der Kündigungsentschädigungen und die Möglichkeit der Abkehr von den Tarifverträgen aufmarschierten. Auch in Santa Cruz de Tenerife und Las Palmas de Gran Canaria fanden Protestmärsche statt.

Madrid/Kanarische Inseln –

Demonstrationen in 57 Städten

UGT und CC.OO. hatten zu insgesamt 57 Demonstrationen in ganz Spanien aufgerufen.

Die meisten Menschen gingen in Madrid (50.000 laut der Polizei und 500.000 laut den Gewerkschaften) und Barcelona (zwischen 30.000 und 400.000) auf die Straße, fast überall verliefen die Proteste friedlich.

„Ungerecht“

Sowohl in Teneriffas als auch Gran Canarias Hauptstadt zogen die Demonstranten trotz des Karnevals pünktlich um 12.00 Uhr los. In Santa Cruz marschierten zwischen 2.500 und 8.000 Menschen von der Hafenmeisterei bis zur Vertretung der Zentralregierung. Auch die rund 10.000 Reformgegner in Las Palmas, die am Park von San Telmo gestartet waren, hatten die Vertretung der Zentralregierung zum Ziel.

Hunderte von roten Gewerkschaftsfahnen wurden geschwenkt und Plakate in die Luft gehoben. Zu lesen waren Parolen wie „Nein zur Arbeitsrechtsreform“, „Ungerecht zu den Arbeitnehmern“, „Sinnlos für die Wirtschaft“, „Nutzlos für die Arbeit“ oder „Arbeit ja, Sklaven nein“.

Juan Jesús Arteaga, Generalsekretär von CC.OO.-Canarias, erklärte, die hohe Beteiligung „zeigt, dass die Arbeitnehmer sich bewusst werden, was auf dem Spiel steht.“ Die Reform „bringt das Arbeitsrecht in das 19. Jahrhundert zurück und kippt die hart erkämpften Rechte der Arbeitnehmer“. Und: „Das dürfen wir nicht zulassen und deswegen war das heute nur die erste mehrerer Mobilisierungen gegen die Reform.“

Reform des Arbeitsrechts – ein Weg aus der Massenarbeitslosigkeit?

Geringere Kündigungskosten sollen Unternehmer zu Neueinstellungen ermuntern

Luis de Guindos fühlte sich unbeobachtet, als er am 9. Februar EU-Wirtschaftskommissar Olli Rehn ins Ohr flüsterte: „Morgen werden wir eine extrem aggressive Reform des Arbeitsrechts beschließen, mit geringeren Abfindungen und einem flexibleren Tarifrecht,“ doch gerade in diesem Moment richtete sich eine Kamera auf den Wirtschaftsminister und fing seine Worte ein, sodass die entscheidende Kabinettssitzung am folgenden Tag nicht nur mit Spannung, sondern auch mit den größten Befürchtungen erwartet wurde.

Am 10. Februar beschloss das Kabinett die neue Reform des Arbeitsrechts, die durch Verringerung der Abfindungen bei Kündigung und Bonifikationen bei Einstellung junger Menschen und Langzeitarbeitsloser der Massenarbeitslosigkeit Einhalt gebieten soll. Auch wird den Unternehmen mehr Flexibilität gegenüber dem Tarifrecht eingeräumt.

Weniger Abfindung

Die wichtigste Neuerung ist die Senkung der Abfindung bei ungerechtfertigter Kündigung innerhalb eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses. Diese wird von 45 Arbeitstagen pro Jahr auf 33 Tage gesenkt und darf insgesamt ein Maximum von 24 Gehältern nicht übersteigen. Ab Inkrafttreten der noch vom Parlament zu bestätigenden Normen gilt diese Regelung auch für die bereits Beschäftigten, jedoch nicht rückwirkend und mit dem bisherigen Maximum von 42 Gehältern. Ziel dieser Maßnahme ist, dass die Unternehmer aufgrund der geringeren Kündigungskosten eher zu Neueinstellungen bereit sind. Die Gegner führen an, schluss­endlich handele es sich nur darum, dass Unternehmen einfacher und billiger entlassen könnten.

Des Weiteren wurden die Motive gerechtfertigter Kündigungen um die Modalität „wirtschaftliche Gründe“ erweitert. Diese sind gegeben, wenn das Unternehmen für drei aufeinanderfolgende Quartale fallende Verkaufszahlen vorweisen kann. Im Rahmen der gerechtfertigten Kündigung wird eine Abfindung von 20 Arbeitstagen pro Jahr fällig, begrenzt auf ein Maximum von 12 Gehältern.

Flexibleres Tarifrecht

Damit kriselnde Unternehmen nicht mehr durch starre Tarifverträge zu Entlassungen gezwungen werden, wird den internen Einigungen Vorrang eingeräumt.

Sogar ohne interne Einigung dürfen die Unternehmer in Zukunft „aus wirtschaftlichen, technischen, organisatorischen oder produktiven“ Gründen die Gehälter senken, die höher als die tarifvertraglich vereinbarten Löhne ausfallen.

Außerdem werden auslaufende Tarifverträge nicht mehr automatisch verlängert, sondern müssen innerhalb von zwei Jahren neu ausgehandelt werden.

Anreize für kleine Unternehmen

Statt – wie angekündigt – die Anzahl der Arbeitsvertragstypen abzubauen, hat die Regierung den „unbefristeten Arbeitsvertrag zur Unterstützung kleiner Unternehmer“ ins Spiel gebracht, gerichtet an kleine und mittlere Unternehmen mit weniger als 50 Angestellten sowie Selbstständige. Im Rahmen dieses Vertrages könnten die Firmen jemanden anstellen und innerhalb der ein Jahr andauernden Probezeit ohne Abfindung entlassen. So soll die unbefristete Beschäftigung angeregt werden. Die Einstellung von unter 30-Jährigen und Arbeitslosen wird zusätzlich mit Steuervergünstigungen prämiert.

Einstellung junger Leute und Arbeitsloser

Werden junge Menschen zwischen 16 und 30 Jahren drei Jahre lang unbefristet beschäftigt, soll das mit einer Bonifikation auf die Sozialabgaben von bis zu 3.600 Euro prämiert werden. Handelt es sich um eine Frau, gibt es noch einmal 100 Euro dazu; bei Langzeitarbeitslosen sogar bis zu 900 Euro mehr.

Einschränkung befristeter Arbeitsverträge

Ab Jahresende gilt erneut das Verbot, über 24 Monate hinaus ein befristetes Arbeitsverhältnis immer wieder zu erneuern.

Pflicht zur Ableistung von Sozialarbeit

Die Reform sieht vor, dass beim Arbeitsamt gemeldete Personen für das Arbeitslosengeld soziale Arbeiten ableisten müssen.

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