„Chocolat“ und Fronleichnam


Gedanken für mich ­– Augenblicke für Gott

Es sind Bilder, die eine klare Sprache sprechen. Man sieht einen menschenleeren Marktplatz in einem französischen Provinzstädtchen, verschlossene Türen und Fenster, und über dem Ganzen liegt ein grauer und trister Nebel.

Man wird das Gefühl nicht los: Hier scheint das Leben ausgezogen zu sein. Kein  Mensch ist auf der Straße; keine Kinder, die ausgelassen spielen und toben; kein Betrieb und keine Geschäftigkeit. Vielmehr herrscht hier eine eigenartige, ja eine fast tödliche Stille. Mit der Zeit erfährt man dann in diesem faszinierenden Film „Chocolat“ ein wenig mehr. Da ist einmal der rigide und äußerst erbarmungslose Bürgermeister, der mit sich selbst genauso unbarmherzig umgeht wie mit anderen, und der dann doch wieder mit aller Gewalt versucht, fromm zu sein. Und die anderen Personen, denen man begegnet, die scheinen auch von dieser eigenartigen Lähmung und Hoffnungslosigkeit beherrscht zu sein. Ihr Alltag hat keine Farbe, keine Freude, keine Abwechslung. Alles irgendwie grau in grau, ohne Beziehung zueinander, ohne Hoffnung, ohne Liebe. 

Doch eines Tages kommt eine junge Frau mit ihrer kleinen Tochter in dieses Provinznest und eröffnet hier einen Laden für Süßigkeiten. Äußerst liebenswürdig und einfühlsam macht sie ihr Geschäft im Laufe von ein paar Wochen zum heimlichen Mittelpunkt des Dorfes. Man gewinnt mehr und mehr das Gefühl: Hier finden Menschen, was ihnen gut tut – und das ist beileibe nicht nur die süße Schokolade. Nein, es ist die Art und Weise der Aufmerksamkeit, es ist die charmante Zuwendung, der verbindliche und freundliche Umgang, die Offenheit, mit der hier jeder Mensch behandelt wird. Dazu kommt dieses tiefe Gefühl für die Würde von jedem, egal wie alt jemand ist oder wie jemand aussieht und daherkommt. 

„Himmlisch“! sagen die Menschen nicht nur der Schokolade und der wunderbar gefertigten Pralinen wegen. Nein, „himmlisch“ empfinden sie auch diese Frau, durch die für die Menschen wirklich der Himmel aufgeht und das Leben zurückkehrt – nicht ohne zu verunsichern und Widerstand zu provozieren, aber Schritt für Schritt und sehr beharrlich.

Am Ende des Films ist es wieder derselbe Marktplatz mit denselben Türen und Fensterläden, aber jetzt wirkt er eben ganz anders: Die Türen und Fenster sind offen, weil die Menschen wieder offen geworden sind. Offen für das Leben, für ihre Wünsche und Sehnsüchte, offen für andere Menschen mit all ihren Macken und Kanten, offen für deren Not und Kümmernis. Himmlisch, diese Bilder, weil im wahrsten Sinne des Wortes hier der Himmel aufgegangen ist. Und weder der rigide Bürgermeister noch der junge Pfarrer, der so herzlos am Leben vorbei predigen konnte, können sich diesem aufbrechenden Himmel verweigern. 

Was der Film in einer fabelhaften Art und Weise deutlich macht ist: Ein Mensch löst mit seinem empfindsamen und offenen Herzen eine wunderbare Wandlung aus. Keiner muss mehr im Schweigen ersticken, niemand an der Eiseskälte in den Beziehungen erfrieren. Die klammheimlichen und gewalttätigen Übergriffe werden eingestellt. Rassistische Vorurteile brechen zusammen, und eine scheinheilige Moral weicht einer wohltuenden Ehrlichkeit. Diese Frau, die so viel Wandlung und Veränderung ausgelöst hat, sie schickt wirklich der Himmel.

Keine Frage! Wir können einander das Leben zur Hölle machen. Gilt aber nicht auch andererseits, dass wir einander den Himmel öffnen können? Und dafür braucht es gar nicht viel. Im Mittelpunkt dieser Ausgabe des Wochenblattes steht ein Fest in unserer Kirche, welches uns noch einmal klar und eindeutig vor Augen führen möchte: Das kleine Brot, das Brot des Lebens oder auch der Leib Christi wie wir es sagen, von ihm heißt es doch auch in einem modernen Lied: Kann denn das Brot so klein für uns der Himmel sein?

Ja es kann, weil dieses Brot reichhaltiger ist als jedes andere. Dabei geht es nicht um Kalorien oder andere Nährwerte. Dieses kleine Brot, das an diesem Festtag „Fronleichnam“ (übersetzt: lebendiger Leib) ehrfürchtig durch die Straßen getragen wird, das ist vielleicht nach außen hin durchaus „nur“ ein Nahrungsmittel wie andere Brote auch. Aber in seinem Innersten ist es viel mehr: Es ist die Gegenwart dessen, der von sich selber sagt – ich bin das Brot des Lebens.

Jesus, der so spricht, kennt die Not und den Hunger der Menschen, er empfindet selber die Last und die Einsamkeit, unter der so viele leiden. Er weiß aus eigener Erfahrung, was es heißt, an Gott zu zweifeln, mehr noch: fast zu verzweifeln. Er wird selber ausgegrenzt, schließlich sogar getötet. Er leidet an der Verbohrtheit und Hartherzigkeit seiner Umgebung, und er hört dennoch nicht auf zu glauben, zu hoffen und zu lieben. Und darum geht über seinem Leben der Himmel auf und über dem Leben so vieler, denen er begegnet, deren vielfältigen Hunger er stillt. 

Die Art und Weise, wie er spricht und reagiert, wie er gerade mit den Kleinen und Bekümmerten umgeht, wie er leidenschaftlich für einen barmherzigen und liebenden Gott eintritt, wie er großzügig und frei von sich absehen und sich verschenken kann – einfach himmlisch könnte man sagen, weil durch diesen wunderbaren Menschen der Himmel ganz nahe gekommen ist.

Allerdings: Den Himmel auf Erden haben wir noch nicht, auch wenn manche paradiesische Verlockung uns das weismachen möchte. Der Hunger an Seele und Leib ist größer denn je und scheint mit dem Maß unserer materiellen Möglichkeiten sogar zu wachsen. Was wir brauchen? Nicht nur eine gerechte Verteilung der Nahrungsmittel und eine gesunde und vernünftige Ernährung für jeden, wir brauchen Lebensmittel, die uns hungrig machen, hungrig auf mehr Leben, auf mehr Hoffnung, auf mehr Liebe, Lebensmittel, die weit über das Machbare und Konsumierbare hinausreichen. Wir brauchen ein Brot voller Leben, oder anders gesagt: Wir brauchen das Brot des Himmels – ein himmlisches Brot.

Herzlichst, Ihr

Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und 

Residentenseelsorger

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