Das sanfte Ungeheuer von Valle Gran Rey


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Ein handzahmer Stechrochen ist die Sommerattraktion des kleinen Fischerhafens

Stechrochen sind, wie der Name schon verrät, bekanntlich nicht die idealen Schmusetiere. Begegnungen mit ihnen sind in der Regel nicht ungefährlich, tragen die mit den Haien verwandten Knorpelfische doch einen gefährlichen giftigen Stachel an der Oberseite des Schwanzes, mit dem sie bei drohender Gefahr blitzschnell zustechen können.

Auf den Kanaren sind verschiedene Rochenarten zu beobachten. Am häufigsten ist der im Volksmund als „Chucho“ bekannte Gewöhnliche Stechrochen (Dasyatis pastinaca). Zusammen mit der üppigen Unterwasserfauna machen die Rochen das Tauchen im Atlantik um die Kanaren zu einem reizvollen Abenteuer. Unfälle sind selten, denn die Fische zeigen kein agressives Verhalten, solange man sie in Ruhe lässt. 

In Valle Gran Rey auf La Gomera macht seit einigen Jahren ein Runder Stechrochen (Taeniura grabata) – hierzulande bekannt unter der Bezeichnung „Chucho negro“ – von sich reden. Diesen Sommer ist der auf den Namen Sebastián getaufte Rochen zum Maskottchen des kleinen Küstenortes avanciert, doch die Geschichte der ungwöhnlichen Freundschaft zwischen Mensch und Tier reicht schon fünf Jahre zurück.

Damals hatte der Fischer Fernando Barroso eine eher unangenehme Begegnung mit dem Rochen, der ihn beim Fischputzen an der Hafentreppe buchstäblich ansprang, um ihm einen Fisch zu klauen. Fernando erholte sich aber schnell von dem Schreck und gewöhnte sich an die fast täglichen Besuche des stattlichen Rochens. Mit einer Spannweite von anderthalb Metern und geschätzten 150 Kilogramm Gewicht zählt Sebastián zu den größeren Exemplaren seiner Gattung.

Heute ist es Fernandos Sohn Joel, der Sebastián fast täglich trifft und füttert. Der Neunjährige hat sich mit dem Fisch angefreundet, streichelt ihn liebevoll und darf ihm beim Füttern sogar das Maul öffnen. Sebastián, der von ihm auch in der Koseform Chano genannt wird, kommt angeschwommen, sobald er das Motorengeräusch von Fernandos Fischerboot in der kleinen Marina hört. „Ich schlage mit der flachen Hand aufs Wasser und Chano springt heraus und verharrt, an die Steintreppe geklammert“, berichtete Fernando der Nachrichtenagentur EFE. Und Joel erzählt, dass sich Chano fast immer an die Fütterungszeiten hält, es sei denn, er hat sich am Vortag den Bauch allzu vollgeschlagen. Dann könne es vorkommen, dass er einen Tag Pause einlegt und erst am nächsten wieder auftaucht.

Die Leckerbissen, die den Stechrochen zu einem handzahmen Fisch haben werden lassen, sind Makrelenstücke. Bis zu sechs Kilogramm davon kann Sebastián an einem Tag vertilgen.

Wie Pedro Pascual vom Ozeanografischen Institut der Kanaren EFE mitteilte, ist das Verhalten von Sebastián nicht ungewöhnlich. Rochen können durch ihr feines Gehör Geräusche gut wahrnehmen und differenzieren, und es ist kein Wunder, dass Sebastián das Motorengeräusch von Fernandos Boot mit seiner Futterquelle in Verbindung bringt. In manchen Gegenden, so Pascual, reagieren Rochen auf die Luftblasen der Taucher, weil sie von ihnen gefüttert werden und kommen in solch großen Schwärmen, dass das Tauchen bisweilen gefährlich werden kann.

Auch im Hafenbecken hat sich die Fütterung in der Unterwasserwelt offenbar mittlerweile herumgesprochen, denn Fernando und Joel haben schon mehrere kleinere Rochen gesichtet, die ebenfalls bis in die Nähe der Hafenmauer schwimmen, um sich ein Stück Makrele zu sichern. Einer davon, der Sebastián öfters begleitet, hat auch schon einen Namen bekommen. „Pablito“ ist allerdings scheuer und weniger mutig als Sebastián, der eindeutig den Wettbewerb des Fotoshootings gewinnt.

Dutzende Schaulustige scharten sich während der Ferienzeit jeden Tag um Joel und Sebastián und zückten ihre Kameras, um das Bild dieser sonderbaren und gleichzeitig wunderbaren Freundschaft festzuhalten. „Den Fisch, den wir an ihn verfüttern, fängt mein Vater“, erzählt Joel den Reportern. „Ich glaube, wir sind seine besten Freunde“, fügt er hinzu. Wenn er groß sei, wolle er auch Fischer wie sein Vater werden, erzählt dieser Neunjährige, der zwischen Fischernetzen, Angelhaken, Makrelen und Goldbrassen aufwächst. 

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