Der erste Wolkenkratzer stammt aus dem Mittelalter


Grabungsstätte Los Hitos, Arisgotas, Toledo Foto: GOOGLE 2019 IGN

Ausgrabungen in Toledo fördern ihn zutage

Toledo – Im 6. Jahrhundert war Toledo die Hauptstadt des westgotischen Reiches. Die in der Umgebung liegenden Wälder und die Vielzahl von Bären und Wildschweinen animierten den damaligen „Dogen“ zum Bau eines zweistöckigen Jagdpavillons. Im Laufe der Jahre entstanden rund um dieses Gebäude eine Kirche, Lagerräume und ein Staudamm, der das Wasser aus dem nahe gelegenen Gebirge auffing. Alles war von einer zwei Meter breiten Mauer umgeben, die das fünf Hektar große Areal schützen sollte. So entstand seinerzeit im heutigen toledanischen Ortsteil Arisgotas, was in altgotisch „das Herz des Goten“ bedeutet, der erste „Wolkenkratzer“ des Mittelalters.

Seit drei Jahren arbeitet eine Gruppe deutscher, britischer und spanischer Wissenschaftler an der Ausgrabung der rätselhaften Siedlung mit ihrem aus dem 6. Jahrhundert stammenden westgotischen Palast. Zweihundert Grabstätten, darunter die des Anführers, wurden bereits freigelegt. Auch die Überreste von neun kleinen Kindern wurden gefunden. Sie waren mit Windlichtern bestattet worden, die ihnen den Weg ins Jenseits erleuchten sollten.

Über den Namen des Adligen, der die Gebäude errichten ließ, sind sich die Forscher noch nicht im Klaren. Sicher scheint jedoch zu sein, dass der Komplex unter der Herrschaft der westgotischen Königin Goswin­tha und des Königs Atanagildo (517-567 n. Chr.) erbaut wurde. Nach den Berechnungen der Forscher war der Jagdpavillon imposante zwölf Meter hoch, erst im 9. Jahrhundert gelang es, ein größeres Bauwerk zu errichten, ein  Minarett von 20 Metern Höhe.

Im 16. Jahrhundert fanden die Bauern von Arisgotas beim Pflügen immer wieder riesige Steine. Diese Meilensteine, auf Spanisch „Hitos“ genannt, gaben der archäologischen Fundstätte letztendlich ihren Namen. Die gemeißelten Steine wurden von den Dorfbewohnern als Baumaterial verwendet. Noch heute kann man sie deutlich in den Wänden ihrer Wohnhäuser erkennen.

Anfang des 20. Jahrhunderts wurde eine Grabstätte aus Alabaster zutage gefördert. Bereits 1938 hatten Archäologen an der Fundstätte geforscht. Nach dem Bürgerkrieg begann man Anfang der Siebzigerjahre erneut mit Ausgrabungen, bei denen die Kirche und ein Sarkophag freigelegt wurden.

Seit 2016 sind die Ausgrabungen wieder in vollem Gange. Die Forscher wissen nun genau, dass das Gebäude 34 Fuß hoch war, und haben somit bestätigt, dass es sich um das höchste Gebäude seiner Zeit handelte. Strebenpfeiler lassen eindeutig erkennen, dass der Bau aus zwei Etagen bestand. Angrenzend an den Palast wurde 2017 eine einschiffige, mit Marmor geschmückte Kirche entdeckt. Im Innern standen mehrere Sarkophage aus Alabaster und Granit. Die Forscher gehen davon aus, dass es sich um die Grabstätte eines Adligen handelt. Die weiteren Ausgrabungen sollen in weitgehend steriler Atmosphäre vonstatten gehen, in der Hoffnung, DNA-Reste zu erhalten.

Die Fachleute gehen davon aus, dass die Arbeiten an der Fundstelle „Los Hitos“ weitere zehn Jahre in Anspruch nehmen werden. Die von dem aus Marburg stammenden Forscher Felix Teichner geleiteten Erkundungen mit Hilfe eines Geo- radars beweisen, dass mindestens vier weitere, zehn mal zwanzig Meter große Strukturen unter der Erde liegen.

Vorab ist zu erkennen, dass die Bauten in der Zeit der arabischen Herrschaft bedeutend verändert wurden. Die Kirche wurde in Richtung Mekka orientiert und in eine Moschee mit Minarett umgebaut und der Pavillon befestigt. Er beherbergte die muslimische Garnison.

Nach der Eroberung von Toledo durch Alfons VI. im Jahre 1085 geriet der Ort in Vergessenheit und wurde von den Bewohnern Arisgotas als Steinbruch benutzt. 2018 stellte Tomás Villarubia, sozialistischer Bürgermeister von Orgaz, den Forschern das notwendige Kapital zur Instandsetzung der ehemaligen Dorfschule zur Verfügung. Die Handwerker des Ortes übernahmen die Umbauarbeiten des alten Gebäudes zum Selbstkostenpreis.

Viele Dorfbewohner versuchten, die Fundstücke, die sie in ihren Wohnungen aufhoben, an das kleine Museum zu verkaufen. Bald jedoch erkannten sie, dass eine Spende Reichtum für das ganze Dorf bedeutet und brachten ihre „privaten“ Stücke mit in die Kunstsammlung ein. Jedes Stück erhält den Namen des Spenders, den seines Enkels etc. Diejenigen Einwohner, welche ihre Stücke nicht an das Museum übergeben haben, laden Besucher voller Stolz in ihr Heim zur Besichtigung ihrer privaten Sammlung ein.

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