Die Film-Pamir wäre beinahe auch abgesoffen


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TV-Ereignis mit viel Nachkriegs-Nostalgie

Funker Klaus „Globus“ Nissen hämmert in seiner Funkbude auf der Morsetaste gegen die hereinstürzenden Wassermassen an, morst um sein Leben: SOS-SOS-SOS von Pamir. Jagt auf uns zu. Deutsche Viermastbark Pamir sinkt.

Hamburg – Draußen reißen tonnenschwere Brecher die Kadetten von der Takelage  weg – dem letzten Strohhalm, nachdem das Deck senkrecht weggebrochen ist. Die Pamir sackt über den Bug in die Tiefe, wird geradezu verschlungen von der tobenden See. Die sich nach dreistündigem Kampf auf das Wrack eines Rettungsboots haben retten können, ahnen nicht, dass sie noch zwei Tage und Nächte lang ohne Trinkwasser oder Essen auf Holztrümmern dem Hurrican – und attackierenden Haien – widerstehen müssen. Und dass am Ende der weltweit aufwendigsten Rettungsaktion für Schiffbrüchige mit 78 Schiffen aus 15 Ländern und elf Flugzeugen nur 6 von 86 die schlimmste Katastrophe in der Geschichte der deutschen Handelsschifffahrt überleben werden.

Der Untergang der Pamir am 21. September 1957 südwestlich der Azoren hat damals, drei Jahre nach dem „Wunder von Bern“,  Nachkriegs-Deutschland erschüttert, sein wieder Mut schöpfen abgewürgt und eine ganze Epoche der Seefahrt-Geschichte mit untergehen lassen: die der frachtführenden Segler.

Es sind aber nicht nur Windjammer-Romantik, der spannende Überlebenskampf Mensch gegen Natur, nicht alleine das nervenkitzelnde Katastrophen-Szenarium um den untergehenden Stolz der deutschen Handelsflotte, oder die kinobrillanten Bilder, was den ARD-Zweiteiler am 22. und am 24. November zu einem herausragenden Fernsehereignis aufwertet. Die zweimal 100 Minuten haben nicht nur als Katastrophen-Film das Zeug zum TV-Klassiker:

Was  Autor Fritz Müller-Scherz vielprämierten Top-Schauspielern wie Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär, Jan Josef Liefers und Herbert Knaup geradezu auf den Leib geschrieben und  Regisseur Kaspar Heidelbach  aufwendig, aber keineswegs verschwenderisch inszeniert hat, ist eine packende Begegnung, ja ein Miterleben der 50er Jahre im Nachkriegsdeutschland, seiner gesellschaftlichen Gemütsverfassung, Konflikte, Sehnsüchte und Enttäuschungen.  

Sind historische Stoffe und deutsche Helden wieder „in“? „Wir sehnen uns wieder nach deutschen Helden, die WM hat es klar gezeigt“,  urteilt Grimme- und Bambi-Preisträger Jan Josef Liefers. Der geborene Dresdner, Regisseur und Charakterdarsteller: „Kein Problem und nur recht und billig, solange wir unseren wachen Blick für nationalistische Tendenzen nicht verlieren!“. 

„Heidelbach“, so bringt es ARD-Programmdirektor Günter Struve auf den Punkt, „hat Zeitkolorit und Atmosphäre der 50er glaubwürdig in Szene gesetzt.“ Autor Müller Scherz: „Keine akribische Rekonstruktion der Vorgänge um die Pamir, sondern die Beschreibung eines packenden und tragisch endenden Abenteuers von jungen Menschen, die sich gerade erst anschickten, auf dieser schicksalhaften Reise zu Männern zu werden.“

Das legendäre Segelschulschiff Pamir, der erste Botschafter der damals jungen Bundesrepublik auf den Weltmeeren (so ARD-Degeto-Chef Jörn Klamroth) ist, wie oft bei Katastrophen, nicht nur von einem Hurrican, sondern von einer Verkettung unglücklicher Umstände und Zufälle, Profitgier und Intrigen in die Tiefe gerissen worden.  Diese „Logik des Untergangs“ beginnt mit einem Hafenarbeiterstreik in Buenos Aires. Soldaten, andere Streikbrecher und die Pamir-Mannschaft beladen die Pamir mit Gerste. Nicht wie üblich verpackt in handlichen Säcken, sondern als Schüttgut, sogar in den Tieftanks, die eigentlich für die Stabilität des Schiffs auch im Sturm sorgen sollen. Diese beiden verhängnisvollen Fehler sind später Mitursache, warum sich die Pamir im Hurrican aus ihrer Schräglage nicht wieder aufrichten kann.

Filmteam beinahe in Seenot geraten

Regisseur Heidelbach und  Klaus J. Behrendt (nicht als Kölner Tatort-Ermittler, sondern als Bootsmann Acki Lüders) haben persönlich ein Gefühl für die Grenzfälle beim Kampf gegen eine menschenfressende Natur bekommen wollen, und  sind  auf der russischen „Film-Pamir“, der Viermastbark Sedov, bereits von Deutschland aus auf dem 20tägigen Kurs zu den Hauptdrehterminen auf Teneriffa mitgefahren. Dieses Gefühl für einen Untergang haben sie zwischen Ärmelkanal und Atlantik hautnäher als gedacht inhalieren können. Regisseur Heidelbach: „Um ein Haar hätte der Sedov-Kapitän im schweren Sturm SOS funken müssen!“ 

Zuvor in Emden auf das schwarz-weiß-rote Segelschulschiff umgebaut, simulierte der russische Viermaster Sedov in Cuxhafen alle „Hamburger Hafen“-Szenen der Pamir. Außer den weiteren norddeutschen Drehorten Lübeck, Neustadt (Holstein) und Hamburg sind das Seegebiet um Teneriffa und die Kanareninsel selbst Hauptschauplätze der über 100-Tage-Produktion. Drehs im Hafen von Santa Cruz, einer Hafenkneipe in Puerto Cruz und in historischen Stadtteilen wie dem Rathaus der Universitätsstadt La Laguna besorgen den äußeren Handlungsrahmen und entführen in ein Buenos Aires der 50er Jahre. Kein Problem für den Ko-Produzenten auf Teneriffa, die Sur Film und die Taucho Film. „Bloß bei der Rekrutierung der Nebendarsteller mussten wir 250 Statisten ohne Piercing oder Tätowierung auftreiben, was im Argentinien von 1957 anders als heute noch nicht zum üblichen Outfit gehört hat“, amüsiert sich Aydin Riza. Das TV-Team hat offensichtlich sehr wirklichkeitsnah die argentinischen Hafenarbeiter-Unruhen vor 50 Jahren lebendig werden lassen: Zu den (Film-) Demos auf der Plaza de Adelantado in La Laguna rückte plötzlich Policía Local und Guardia Civil  an, mit Blaulicht und Knüppeln von heute, um die „Straßenkrawalle“ zu beenden.

Peter Keller

Der Untergang der Pamir, Zweiteiler: Mittwoch, 22. Nov. und Freitag, 24. Nov. jeweils 20:15 Uhr deutscher Zeit in der ARD.

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