»Die Pläne der Mächtigen kommen zum Halt«


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„Lichtblicke“ der deutschen Seelsorger auf Teneriffa – diesmal von Pfarrer Wolfgang Gerth, Evangelische Gemeinde Teneriffa Nord

„Er stürzt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen (Lk 1,52f). Das klingt nach Umsturz, nach Macht von unten. Woran denken Sie bei diesen Worten? An ein linkes Manifest? An ein revolutionäres Programm? Merkwürdigerweise kommen diese hohen Worte aus dem Munde einer jungen Frau, die in fast allen Liedern und Bildern von Weihnachten vorkommt: die „holde Magd“, die „Jungfrau zart“, die von Schwangerschaft und Geburt ihres unbegreiflichen Sohnes überraschte und doch in sich gekehrte, all die Engelsworte in ihrem Herzen bewahrende Maria – wofür steht sie uns?

Wenn man einmal davon absieht, was Frömmigkeit und Kunst, Dichtung und Dogmatik aus ihr gemacht haben – Sinnbild der Reinheit, Muttergottes und Himmelskönigin -, in ihrem Lobgesang, aus dem ich zitierte, steht Maria für eine Urerfahrung, die Israel und in der Christenheit die Menschen immer wieder gemacht haben.

Man könnte diese Urerfahrung – mit biblischen Worten – so beschreiben: Die Niedrigen und Erniedrigten werden erwählt, die Unfruchtbaren erhalten Zukunft; die Ohnmächtigen haben die Macht; die Unbekannten werden namhaft; von denen, die mit ihrer Kunst und Kraft am Ende sind, geht Heil und Rettung aus. Das ist der rote Faden, der sich durch die Bibel zieht: Der kinderlose, heimatlose Abraham wird Vater vieler Völker. Der als Säugling schon zum Tod verurteilte und aus dem Wasser gezogene, als Mann mit schwerer Zunge behaftete Mose führt sein Volk in die Freiheit und ins gelobte Land. Ein  Hirtenknabe, für Goliath nur Vogelfutter, der Vorstellung zur Königswahl nicht wert, das war David, der einzige König, von dem man mit einigem Recht sagen konnte: von Gottes Gnaden“. Einer, der sich untauglich und zu jung vorkam und später mit Gott verzweifelt gehadert hat – Jeremia – wurde einer der größten Propheten.

In diese Reihe gehört Maria: Ein junges Mädchen aus einem unbedeutenden Nest namens Nazareth, kaum verheiratet, durch nichts prädestiniert, die Mutter des Mannes zu werden, an dessen Anfang der Stall und an dessen Ende der Galgen stand – und der doch zum Träger göttlicher Macht und Wahrheit, zum Inbegriff göttlicher Liebe und Barmherzigkeit geworden ist. So lehren uns Advent und Weihnachten. Maria und ihr Sohn Jesus: Rang und Namen, Glanz und Würde müssen wir nicht selbst aufbringen und mitbringen dort, wo es um Gottes Macht und Ehre geht, um die Macht von unten, um die Ehre der Erniedrigten.

Man kann das alles auch mit Bertold Brecht sagen:

„Es wechseln die Zeiten. Die riesigen Pläne der Mächtigen kommen am Ende zum Halt. Und gehn sie einher auch wie blutige Hähne, es wechseln die Zeiten, da hilft kein Gewalt. Am Grunde der Moldau wandern die Steine, es liegen drei Kaiser begraben zu Prag, das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine, die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.“

Eine Geschichte aus Russland erzählt: »Der König schickt zum Zimmermann: „Dreihundert Sack Späne, bis zum Morgen, sonst ist es dein Tod“. Es ist unmöglich. Trauer lähmt den Verzweifelten. Zwar kommen die Freunde. Und als der Wein seine Wirkung tut, da sind sie sogar noch fröhlich. Doch als der Morgen graut, werden sie stumm. Pünktlich mit den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne schlagen sie gegen die Tür, die Boten des Königs: „Zimmermann, mach auf“! Traurig geht er und öffnet. Das ist das Ende.

„Zimmermann“, sagen sie, „Zimmermann mach’ einen Sarg, – der König ist tot.“«

„Die Herren dieser Welt gehen….“

Was für den König und Kaiser gilt, das gilt für alles was Macht über uns hat: Schicksal und Schuld, Krankheit und Tod.  Es ist eine Machtfrage, die Frage nach dem letzten Wort.  Wir wissen, zwar nicht was kommt, aber wer kommt. 

„Der Herr ist nahe“ –  sagt der Apostel Paulus (Phil 4,5). 

Die großen Dinge realisieren sich in den kleinen! 

Vielleicht waren auch die wirklich großen Heiligen vor allem eben dies: Nämlich menschenfreundlich wie der menschgewordene Gott. Der Heilige Martin etwa, der einfach seinen Mantel teilt, als er einen Frierenden sieht. Der barmherzige Samariter, der sich zum halb Erschlagenen niederbeugte? 

Sie alle tun eigentlich Selbstverständliches, das allerdings seine Selbstverständlichkeit längst verloren hat und dadurch zu Großem wird. 

Wenn man Zeugnisse liest, warum Menschen in Hitlers bösen Jahren Juden und anderen Verfolgten Unterschlupf gewährten, warum sie das taten, trotz aller Gefahr, der wird sich wundern. „Das war doch klar, das war doch selbstverständlich“.

Als Richard von Weizsäcker Kirchentagspräsident war, hat er es einmal so zusammengefasst: „Ob uns der christliche Glaube dazu verhilft, Entscheidendes für den Frieden zu tun, wird davon abhängen, ob wir es unter dem Zwang zum Frieden lernen, Christen zu sein.“

Es wird wieder Weihachten. Heilige Nacht.  In einem Kind macht Gott sich ganz klein, so sagen wir. In einem Kind, das nichts zu sagen hat, das man schnell auf die Seite schiebt, man kann das oft genug beobachten. 

Wenn wir an das Jahr zurückdenken, dann sind da vor allem Kriegsbilder und scheinbar endlos strömende Menschen, Frauen, Kinder, Männer auf der Flucht. Sichtbar geworden ist der todbringende, auf Vergeltung setzende Allmachtswahn von Menschen. Sichtbar geworden ist der Unfriede. Viele haben ganz elementar Angst vor Krieg und Terror, vor Heimtücke und vor der Gewalt, die da draußen irgendwo lauert, aber erschreckenderweise auch drinnen, in der eigenen Brust und uns bereit macht zum Krieg, zur Strafe und Vergeltung. 

Und trotzdem wird es Weihnachten: Gott gibt sich eine nie gekannte Blöße, er wird Mensch,  wird verwechselbar, verkennbar, übersehbar, unserem Herzen näher als unserer Angst. Er tritt ein in die Finsternis des Lebens mit den vielen unerfüllten Wünschen und den zerbrochenen Hoffnungen, bringt Menschen zurecht, scheut nicht das Leid und die Not dieser Welt, schenkt Hoffnung und Zuversicht. Gott sei Dank.

Wolfgang Gerth

Evangelische Kirche

Gemeinde Teneriffa Nord

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