» Ein bisschen alpin «


Berge besteigt der Mensch, weil sie da sind. Eigentlich ist Bergsteigen nutzlos. Man kann leicht Reinhold Messner und anderen in dieser Erkenntnis beipflichten. Nutzlos muss nicht sinnlos sein. Und so steigen täglich Menschen auf Berge, nur um anschließend wieder abzusteigen. Währenddessen macht der Berg etwas mit ihnen, ganz individuell. Das Erlebnis Berg ist ihr Gewinn. Manche Berge sind Publikumsmagnete, der Pico del Teide zum Beispiel, wenn auch erst seit relativ kurzer Zeit. Die Seilbahn macht’s möglich. Als höchster Berg Spaniens und mit seiner beeindruckenden Fernsicht ist er einfach attraktiv. Nicht nur für Bergsteiger, die in der Mehrzahl etwas weniger frequentierte Ziele bevorzugen. Teneriffa ist keineswegs arm an Gipfeln, darunter zahlreichen Zweitausendern. Dennoch werden die meisten kaum bestiegen. Die attraktivsten Wege der Insel führen nur selten auf einen Gipfel. Vorzugsweise bieten sie gute Aussichtspunkte, felsige Aufstiege (oder auch Abstiege) und etwas Herausforderung an uns selbst. Ein bisschen alpin darf es dabei schon sein.

Auf Inseln rein vulkanischen Ursprungs sind markante Gipfel, die sich von allen anderen in ihrer Umgebung unterscheiden, sehr selten. Selbst der Pico del Teide macht da keine Ausnahme, er ist ein Kegel neben anderen, nur eben von imposanter Größe. Aber die anderen Kegel? Es macht keinen wesentlichen Unterschied, ob ich auf der Montaña Limón oder der Montaña Igueque stehe. Vulkan ist Vulkan; ein Kegel mit einer mehr oder weniger großen Mulde oben drauf. Die Berge der kontinentalen Faltengebirge unterscheiden sich untereinander wesentlich stärker. Ihr Bild kann man in Erinnerung behalten. Ab und zu sind aber auch hier bei uns einzelne Berge aufgrund ihrer Gestalt markante Persönlichkeiten. Der Roque del Conde im Süden der Insel bei Adeje oder der benachbarte Roque Imoque gehören bestimmt dazu. Jahrhunderttausende hat bei ihnen die Erosion alles weggenommen, was zu sehr nach Einheitsvulkan aussah. Das macht sie heute so unverwechselbar, dass sie schon von Weitem zu erkennen sind. Den Roque del Conde kann man gut besteigen und wird mit einem tollen Panorama belohnt. Der Roque Imoque verlangt aber schon einige Kletterei. Für manche dürfte das schon zu alpin sein.

Einen unserer alpinsten Gipfel übersieht man leicht: den Pico Cho Marcial, auch Pico del Valle genannt. Auch ihm hat die Erosion stark zugesetzt. Vom ursprünglichen steilen Vulkankegel ist nur noch ein mehr als zwei Kilometer langer und bis zu 500 m hoher Grat übrig geblieben. Die Ruine deutet an, dass hier einst ein ziemlich großer und vermutlich deutlich höherer Berg gestanden hat. Wie der Teide hat er sich aus ganz unterschiedlichen lockeren und festen Materialien in Schichten aufgebaut. Ein Schichtvulkan also und damit schon ein etwas seltenerer Typus. Vor etwa 820.000 Jahren dürfte er sehr aktiv gewesen sein und hat seine Lavaströme sowohl auf die Nordseite als auch auf die Südseite der Insel geschickt. Dann nagte ihn die Erosion gründlich ab. Möglicherweise ist auch ein Teil seines Massivs einfach zusammengestürzt. Manche Forscher nehmen das an. Etwa zehntausend Jahre zuvor hatten in dieser Region auf beiden Flanken der Insel große Abbrüche mehrere Kubikkilometer Gestein schlagartig ins Meer befördert. Zwei große Täler sind dadurch entstanden. Das im Norden gelegene wurde anschließend wieder mit Lava vollständig aufgefüllt. Dort befindet sich heute Tacoronte. Das Tal von Güímar im Süden wurde nur wenig aufgefüllt und gilt daher heute noch als eine der besonderen Landschaften der Insel. An seinem oberen Rand sind zwei benachbarte sichelförmige Abschnitte im Kamm zu sehen. Darunter befindet sich die Caldera de Pedro Gil, durch die der oben erwähnte Pilgerpfad führt. Die markanten Felszacken links davon sind der Pico Cho Marcial. Übersetzt heißt das „der Kriegerische“ oder „der Furchteinflößende“. Vom Pfad aus wirkt seine dunkle Nordostwand schon etwas abweisend und erklärt vielleicht den Namen. Von Süden führt eine anspruchsvolle Route mit einigen Kletterabschnitten zu seinem Gipfel. Von Norden oder Wes-ten ist er aber weglos zu erreichen. Trittsicherheit und gutes Orientierungsvermögen sind hier unverzichtbar; denn hier gibt es keine Markierungen oder Wegweiser. Wer hier mit einem guten klassischen Bergstock – nicht mit modernen Skistöcken; denn die sind hier nicht wirklich hilfreich – unterwegs ist, hat es an den steilen Flanken sogar einigermaßen komfortabel. Der Stock sollte aber deutlich länger als die eigene Körpergröße sein und eine solide Eisenspitze besitzen. Kanarische Wanderer schätzen diese Palos oder Lanzas im offenen Gelände sehr. Den Salto del Pastor sollte man damit jedoch nicht machen. Dazu sind sie zu dünn und einen Meter zu kurz.

Von La Crucita kommend folgt man nur kurz dem Weg nach Candelaria und biegt bald rechts ab zur Montaña Igueque (2269 m). Ihr Gipfel ist der höchste Punkt dieser Wanderung, aber kein Punkt für Gipfelromantik. Jenseits steigt man zu einer Piste ab, die an der Höhenstraße TF-24 beginnt, und wendet sich dort nach links. Wer den bisherigen Anstieg vermeiden will, kann auch gleich über diese Piste kommen. Nach etwas mehr als einem Kilometer wendet sie sich deutlich nach Süden (nach rechts), wo sie bald endet. Beim Beginn der Biegung muss man die Piste verlassen und durch verbuschtes Gelände zu dem leichten Felsgrat an dessen linker Seite gehen. Nur hier gibt es Trittspuren. Immer dem Grat folgend nähert man sich dem höchsten Felszacken und erreicht über dessen rechte Flanke den Gipfel. Es ist seltsam: Die sanften Kuppen der Erhebungen in der Umgebung liegen überwiegend höher. Hier sind wir bei Weitem nicht am höchsten Punkt. Dennoch: Vor uns bricht jäh und senkrecht die Wand ab und gibt den Blick frei in den Krater des gut 500 m unter unserem Standort liegenden Kraters des Volcán de Arafo. Er brach 1705 aus, richtete einiges Unheil an und ist doch nur ein Zwerg im Schatten des Cho Marcial. Nicht zuletzt wegen der Felsplatten auf seiner Westflanke und seinem langen zackigen Grat ist er hier der Größte … und ziemlich alpin.

Michael von Levetzow
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