Geheimnisse des Drachenbaums


© M.P.

Viele Mythen und Legenden ranken sich um den kanarischen Drago

Die Kanaren sind reich an endemischen Pflanzen, die es nur hier gibt, aber die bekannteste und spektakulärste ist sicher der Drachenbaum, auch „Drago“ genannt.

Obwohl er so aussieht, ist er kein Baum, sondern ein Liliengewächs, und hat daher auch keine Jahresringe. Das macht es schwer, sein genaues Alter zu bestimmen, und Fachleute können es höchstens an der Zahl der Verzweigungen seiner Äste abschätzen.

Der schönste und älteste Drachenbaum steht auf Teneriffa in Icod de los Vinos und beeindruckt schon durch seine Größe von fast 20 Metern. Obwohl man ihm das Prädikat „milenario“ (tausendjährig) gegeben hat, bezweifeln Experten, dass er tatsächlich so alt ist, aber fünf Jahrhunderte geben sie ihm durchaus.

Im Garten der Hesperiden

In den Sagen des Altertums ist vom „Garten der Hesperiden“ die Rede, einem paradiesischen Ort, wo an einem Baum goldene Äpfel wuchsen. Die Hesperiden waren Nymphen, die Töchter des Atlas, der dazu verdammt war, das Himmelsgewölbe auf seinen Schultern zu tragen.

Eine der zwölf Aufgaben des Herkules war es dann auch, diesen Garten zu finden und die goldenen Äpfel zu rauben. Das war gar nicht so einfach, denn die wurden vom hundertköpfigen, feuerspeienden Drachen Ladon bewacht. Herkules gelang es durch eine List (oder, indem er den Drachen erschlug, je nach Quelle), die Äpfel zu bekommen. Ähnlichkeiten mit dem Apfel Evas und der Schlange im Paradies sind wohl kaum zufällig.

Wie auch immer, die Geschichte des Hesperiden-Gartens „irgendwo weit im Westen“ hat über Jahrhunderte die Phantasie der Menschen beflügelt, und so sind auch die Kanarischen Inseln als Kandidaten im Gespräch.

Der feuerspeiende Drache könnte auf aktive Vulkane schließen lassen, oder auf die ausgestorbene kanarische Riesenechse, die 1,50 m lang gewesen sein soll. Auch der Name „Drachenbaum“ läßt eine Verbindung vermuten, wobei die genaue Herkunft des Namens im Dunkel der Geschichte verborgen bleibt. Nach einer alten Guanchen-Sage sollen vor Urzeiten die Drachen in der Erde geschlafen haben, bis sie eines Tages geweckt wurden und sich zu einem Flug hoch in die Lüfte aufschwangen. Unterwegs verloren sie einige Schuppen ihrer Reptilienhaut, und überall, wo eine solche Schuppe auf die Erde fiel, wuchs ein Drachenbaum. Es heißt, die Guanchen betrachteten den Drachenbaum als die Manifestation einer schützenden Gottheit.

Der Schrecken des Seefahrers

Eine andere Legende spielt zu der Zeit, als die Inseln noch nicht erobert waren, aber schon gelegentlich europäische Seefahrer dort anlandeten. Objekt der Begierde war eine Flechtenart, aus der man, noch bevor die Cochenille-Laus aus Amerika eingeführt wurde, roten Farbstoff herstellte, und das „Blut des Drachenbaumes“.

Verletzt man einen Drago, dann tritt ein roter Saft heraus, der von den Ureinwohnern als Heilmittel verwendet wurde. Als die „alte Welt“ davon erfuhr, wurde der getrocknete Saft, das Harz, ebenfalls bei den Apothekern sehr begehrt und teuer, wie alles Seltene.

So kam es, dass wieder einmal ein Seefahrer an den Gestaden Teneriffas anlegte auf der Suche nach dem teuren Harz. Es war die Bucht von San Marcos, wo er an Land ging, und er traf auf eine Gruppe junger Guanchen, die dort badeten. Eines der Mädchen schenkte ihm wunderbare Früchte der Insel, die er gleich probierte. Plötzlich lief das Mädchen los und sprang mit der Kraft einer Gazelle über einen Barranco und verschwand im Dickicht. Der Seefahrer verfolgte sie und fand sie auch im Schutze eines riesigen, seltsamen Baumes, dessen im Wind bewegte Äste mit den spitzen, schmalen Blättern auf ihn wie Hunderte mit Schwertern bewaffnete Arme wirkten. Vor Schreck warf er mit seinem Messer nach dem Baum, worauf dieser anfing zu bluten. Der Seefahrer glaubte nun dem berühmten Drachen gegenüberzustehen, der nach der Sage den Hesperiden-Garten bewacht, und ergriff voll Panik die Flucht.

Heute müssen die ehrwürdigen Drachen selbst bewacht werden, einmal vor Vandalismus, zum anderen davor, dass ihre alten Äste so schwer werden, dass sie beim nächsten Sturm auseinanderbrechen. Doch ihre Nachkommen haben längst ihren Siegeszug in die Ziergärten der ganzen Welt angetreten, so dass sie keineswegs vom Aussterben bedroht sind. Und kein kanarischer Garten, der etwas auf sich hält, würde auf einen Drago als Wächter verzichten, egal ob er nur einen Kopf oder sich nach Drachenart schon aufgeteilt hat.

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