» Hinterm Berg «


Wo und was „hinterm Berg“ ist, hängt gewöhnlich vom eigenen Standort ab. Die anderen, die hinter dem Berg, sind nicht ganz auf der Höhe der Zeit und folglich ohne den Überblick, der sich dem Betrachter vor dem Berg fast von selbst erschließt. Manche Zeitgenossen steigen auf Berge, um zu sehen, was dahinterliegt; denn manchmal ist das spannender als das, was schon jeder kennt. Um einige Berge geht man dazu besser herum. Wie auch immer – hinterm Berg weitet sich manchmal der Horizont.

Zum Volcán de Garachico gelangt man auf mehreren Wegen, am leichtesten von San José de los Llanos. Von La Montañeta über den Grillplatz von Arenas Negras dauert es länger und geht auch mehr bergauf. Dafür wandert man aber in einem schönen Kiefernwald, also an heißen Tagen mit Aussicht auf einige schattigere Abschnitte, und kann unterwegs mächtige Stämme bewundern. Am liebs­ten gehe ich vom westlichen Ende von San José de los Llanos erst zum Chinyero, umrunde diesen zu drei Vierteln und komme dann von Süden zum Volcán Negro, dem schwarzen Vulkan, wie der Vulkan auch genannt wird, der 1706 Garachico zerstörte.

Der Chinyero besitzt einen prachtvollen Krater, in dessen offenes Hufeisen man vom Rundweg hineinsehen kann. Betreten darf man die jungen Schlackenberge Teneriffas nicht. Die nur wenige Jahrhunderte alten Feuerspucker sind zu empfindlich gegen Trittschäden. Auch den nahen Volcán Negro darf man nicht ersteigen. Dass dort oben Menschen waren, beweisen unübersehbare Trittspuren. Sie sind vor dem Verbot entstanden und zeigen überdeutlich, dass solche Schäden nicht so bald verheilen. Auf Teneriffa sind fast alle Krater, deren Vulkane nur einmal für ein paar Tage, Wochen oder Monate ausbrachen, hufeisenförmig. Nicht so der Volcán Negro. Auf welchem der Wege wir uns ihm nähern, er erscheint immer als gleichmäßiger dunkler Kegel. Man sieht auf den ersten Blick: er hat keine Vorderseite, keine Rückseite – schön, aber langweilig und in Wirklichkeit eine Täuschung.

Die markierten Wanderwege halten uns hier „hinter dem Berg“, dort wo etwas fehlt. Denn die nach Garachico gerichtete Seite können wir so nicht sehen. Aber dort ist es spannend. Dort kann man in Spuren lesen, was sich hier kurz vor und während der Katastrophe von Garachico zugetragen hat, was 1706 niemand beobachtet hat, weil hier oben niemand war und alle Aufmerksamkeit dem Unheil galt, das über die Stadt hereinbrach. Schon seit Weihnachten 1704 bebte wiederholt die Erde, entstanden Schäden an den Häusern, und manchmal wurden Menschen von herabstürzenden Steinen verletzt, auf der ganzen Insel. Zum Jahreswechsel öffnete sich an der Südabdachung, auf der anderen Seite des Teide, eine lange Eruptionsspalte. Drei neue Vulkane entstanden: bei Siete Fuentes, oberhalb von Fasnia und oberhalb von Arafo. Nach einem Vierteljahr war wieder Ruhe, nur die Erde bebte gelegentlich. Ein ganzes Jahr lang. Dann öffnete sie sich wieder. Diesmal oberhalb von Garachico. Wieder eine lange Spalte. Zuerst trat an ihrem westlichen Ende Lava aus, dann verlagerte sich die Aktivität schrittweise in östlicher Richtung. Insgesamt waren es rund 40 Austrittsöffnungen. Die meisten liegen unter dem Kegel des Volcán Negro begraben. Ein Dutzend haben die Geologen noch identifizieren können. Am 5. Mai 1706, nur wenige Stunden nach Eruptionsbeginn, verschüttete ein Lavastrom große Teile des Hafens, ließ die Stadt aber unbehelligt. Erst eine Woche später, am 12. Mai, bewegten sich gleich zwei Lavazungen von oben auf die Stadt zu. Aus ihnen lösten sich große glühende Bälle von bis zu einem Meter Durchmesser, polterten den Hang hinab und setzten die Häuser in Brand. Nur wenige Häuser wurden durch die Lava direkt geschädigt, aber fast die gesamte Stadt brannte ab.

Ein schmaler, unmarkierter Pfad führt auf der Garachico zugewandten Seite entlang der Spalte und über die dort geflossene Lava. Von Arenas Negras aus gehen wir quasi vom Ende zum Anfang dieser Eruption.

Gleich nachdem wir aus dem Wald treten, liegt der ebenmäßige Kegel vor uns, schwarz von kleinen Lapilli, die er gegen Ende der Aktivität über das Land verteilt hat. Die meisten Lavarippen sind davon verdeckt, ragen nur ab und zu etwas heraus. Noch prägen sanfte schwarze Formen den Weg. Mit der ersten, blockigen Anhöhe besteigen wir den Seitenwall eines großen Lavakanals. 20 – 30 m mag er tief sein. So hoch ist der Glutstrom geflossen. Jenseits davon wechselt die Szene erneut. Zahlreiche Steinwälle verlaufen hier parallel oder kreuz und quer. Es sind die stehen gebliebenen Wände kleiner Lavakanäle. Selten waren sie breit. Ein solch dichtes Netz von Kanälen entsteht nur sehr nahe an der Austrittsöffnung. Nach wenigen hundert Metern verschmelzen sie zu einem einzigen breiten Strom. Ein Feld mit Lapilli, kleinen Basaltkörnern, nicht größer als eine Euromünze, schließt sich an. Sie wurden vom Vulkan als Feuergarben ausgespien, Folge eines großen Gasdrucks in der Lava. Etwas weiter nimmt die Größe einiger Steine zu, erreicht aber selten mehr als 10 cm. Hier wurde die Lava explosionsartig in der Luft zerrissen. Noch größere Schlacken entstehen nur, wenn die Eruption weniger explosiv ist.

Wie aufgefädelt reihen sich die hufeisenförmigen Krater aneinander. Auch der bereits hinter uns liegende, größte begann so. Aber in diesem wuchsen zwei neue ringförmige Schlackenkegel empor und füllten schließlich das Hufeisen. Einer der seltenen ringförmigen Vulkankegel war entstanden. Gegen Ende der Aktivität müssen noch Innenwände dieses Kraters eingestürzt sein und verschlossen die Öffnung. Ein kleiner letzter Krater, schon am Waldrand, markiert den Ort, an dem sich die Spalte zuerst öffnete.

Unbestritten: Auf der Schauseite des Berges betreten wir eine wunderbare Landschaft aus schwarzen Lapilli und grünen Pflanzen mit tollen Farben und Formen, aber hinter dem Berg erzählen die Steine ihre Geschichte. Wir können sie begreifen. Tatsächlich. Im Wortsinn.

Michael von Levetzow
Tenerife on Top

Über Tenerife on Top

Tenerife on Top: einzige Adresse auf Teneriffa für individuelles Wandern und andere Outdoor-Aktivitäten. Nur Wunschtouren. Technisch und fachlich auf höchstem Niveau. Für jeden Anspruch. Auf der gesamten Insel. Gruppengröße 1 – 7 Personen.