Kinder als Ratgeber


Gedanken für mich – Augenblicke für Gott

Sie meinen, das geht nicht? Ein älterer Mann hat das erlebt, wie Kinder einen wieder ins Leben hineinnehmen können, obwohl man eigentlich gedacht hat, man steht irgendwie außen vor. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie er mit leuchtenden Augen erzählt hat, wie es ihm besonders die Gruppe der Schulanfänger im Kindergarten angetan hatte. Sie seien es gewesen, die ihn im wahrsten Sinne des Wortes wieder lebendig gemacht hätten.

Es war nämlich so:

Als er vor ein paar Jahren in den Ruhestand ging, da war alles ziemlich öde, irgendwie leblos und leer. Die Arbeit war eigentlich das einzige gewesen, was er noch hatte. Seine Frau war bereits verstorben und eigene Kinder hatte er nicht. „Das war bitter“, sagte er. Als dann auch noch wegen der Berentung seine Arbeit wegfiel, da sei es ihm ganz schlecht ergangen. „Wissen Sie, irgendwie wollte ich nicht mehr. Und dann, dann hab’ ich das mit den Kindern angefangen.“ Was war passiert? Eine Nachbarin war auf ihn zugekommen und hatte ihn gefragt, ob er auch mitmachen würde bei dem Projekt im Kindergarten; da würden Omas und Opas zum Vorlesen gesucht. Erst wollte er nicht so recht, aber dann sei er mal mitgegangen. Und seitdem ist er dabei. Er liest Kindern Geschichten vor und zwar solche, die ihn selbst auch begeistern, ihn zum Lachen bringen oder nachdenklich stimmen. Er fiebert mit den Kleinen mit und das Schönste ist eben für ihn, zu sehen, wie sich die Kinder freuen. Sie haben ihn gleich als ihren „Vorlese-Opa“ angenommen und liebgewonnen. Wenn er kommt, dann laufen sie ihm schon entgegen, hängen ihm regelrecht am Hosenbein und dann natürlich an seinen Lippen, wenn er vorliest. Sie sind gespannt, was kommt; sie sind neugierig und offen. Genau das hat ihn angesteckt. „Jetzt“, so sagt er unumwunden, „stehe ich morgens sogar wieder gerne auf.“ Die Lebensfreude und der Lebensmut der Kinder haben sich auf ihn übertragen. Sie haben ihn wieder ins Leben hineingezogen.

Jesus hat mal gesagt: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.“ Sicherlich: Man kann viel darüber nachdenken, was das bedeutet. Denn schließlich ist man ja mit so einer Geschichte nie fertig. Wie soll man denn als Erwachsener noch einmal werden wie ein Kind? Aber dieser ältere Herr und seine Geschichte haben mich eine ganz praktische Seite gelehrt. Sie haben mir gezeigt: Von Kindern kann man lernen, das Leben zu lieben. Die leichten und schönen Seiten wieder zu entdecken und Vertrauen zum Leben gewinnen, gerade dann, wenn man es mal so richtig schwer hat. Wenn das gelingt, dann ist das doch wie ein Stück Himmel auf Erden.

Von Kindern kann man also wirklich lernen. Nicht weil sie so lieb oder so süß oder so knuddelig sind; das sind sie ja schließlich nicht immer. Nein, man kann von ihnen lernen, weil sie mit ihrer offenen und neugierigen Art uns Erwachsene anstecken können und wir so wieder Vertrauen ins Leben gewinnen. Mit Sicherheit kann man so auch ein Stück Gottvertrauen von den Kindern lernen. So sagte mir mal eine Mutter, dass sie durch ihre Tochter wieder das Beten gelernt habe. Die wollte abends unbedingt ein Nachtgebet sprechen und so hat sich die Mutter damit auseinandergesetzt und wieder einen Zugang zu Gott gefunden. Mit dem Kind zusammen ist das auch unkompliziert zu Gott Du zu sagen – und die Geborgenheit, die man da findet, die trägt auch einen Erwachsenen weiter.

Also ich persönlich finde es schön, wenn das gelingen könnte: Wenn über das Vertrauen, das Kinder zu Gott haben, auch Erwachsene einen Weg zum Glauben finden, vielleicht wieder einen ersten vorsichtigen Schritt nach Zeiten des Zweifels oder auch der Gleichgültigkeit. Manchmal vergisst man ja als Erwachsener einfach, was einem als Kind gut getan hat oder man wehrt es als bloßen Kinderkram ab. Aber es geht ja nicht darum, einen Kinderglauben eins zu eins auf einen Erwachsenen zu übertragen – das funktioniert nicht. Dazu haben wir Erwachsenen zu viele Lebensjahre auf dem Buckel und wohl auch zu viel Schwieriges schon erlebt. Viele sind enttäuscht von Gott, der scheinbar so weit weg ist und sich nicht um ihre Sorgen kümmert. Da wird einem Gott mit der Zeit eben irgendwie fremd. Aber mit einem Kind kann man erleben, wie Gottvertrauen entstehen und neu wachsen kann. Wie man vielleicht an Vertrautes aus den eigenen Kindertagen anknüpfen kann – so wie diese Mutter im Beten mit ihrer Tochter. Sie konnte als erwachsene, gereifte Person eine Beziehung zu Gott aufbauen; sie hat gelernt ihn von neuem mit Du anzureden.

Übrigens: Als Erwachsene sind wir ja nicht die „Macher“ des Lebens. Deshalb setze ich mein Vertrauen auf Gott, der in guten und in schlechten Zeiten zu mir steht. Das gibt mir Halt und Geborgenheit und das ist für mich täglich neu – ein Stück Himmel auf Erden.

Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und

Residentenseelsorger

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