Kirche ist fehlerhaft


Gedanken für mich ­– Augenblicke für Gott

Wie oft habe ich in den letzten Jahren gehört: „Mit dieser Kirche will ich nichts mehr zu tun haben!“ Es waren Aussagen von Menschen, die der Kirche den Rücken gekehrt haben, die ausgetreten sind. Und warum?

Zum einen verstehen viele nicht, warum man Menschen, die in der Kirche versagt haben (ich denke da z.B. an die vielen Missbrauchserkenntnisse), über viele Jahre gedeckt und die Vorfälle vertuscht hat. Zum anderen fühlen sich viele (ich denke da an die wiederverheirateten Geschiedenen) ausgegrenzt, nicht dazugehörig, ausgeschlossen. Und wieder andere können nicht erkennen, welchen Sinn es machen soll, die Traditionalisten in unserer Kirche zu stärken und sich als Amtskirche gleichzeitig jeglichen Reformwünschen nach mehr Offenheit und Mitbestimmung zu verweigern. Wenn Menschen dann diesen Schritt vollziehen, wenn sie sich definitiv abwenden, dann schmerzt das ganz gewaltig.

Aber unsere Kirche besteht nun mal nicht aus vollkommenen Menschen. Denn dann, dann könnte auch ich nicht zu ihr gehören. Wenn Kirche nicht aus Menschen bestehen darf, die fehlerhaft sind, die versagen und hinter dem zurückbleiben, was sie sich vorgenommen haben, wäre sie doch unmenschlich. Kirche besteht aber immer aus Menschen, die Fehler haben und die Fehler machen. Wichtig ist nur, sich diese einzugestehen und bereit zu sein, die Folgen daraus zu tragen.

Sicherlich: manche sagen, dass die Kirche einen so hohen Anspruch an sich selbst stelle, dass sie diesen doch gar nie erfüllen könne. Und es stimmt ja auch: die Kirche stellt einen hohen Anspruch – nämlich den, dass zu ihr alle gehören dürfen, die versagt haben, gerade die!! Jesus hat doch auch nicht ideale Menschen um sich gesammelt, sondern einfache, die um ihre Begrenztheit wussten, die versagt hatten und auf die man mit dem Finger gezeigt hat. Man! Wer oder was ist denn dieses „Man“? Da gab es z.B. die Pharisäer, die sich für vollkommen hielten und deshalb verächtlich auf die anderen herabschauten. Ihnen galt das Jesus-Wort: „Was siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, den Balken in deinem eigenen aber siehst du nicht!“ ganz besonders. Und es stimmt ja auch. Es ist so leicht, auf den anderen mit dem Finger zu zeigen und sich selbst für besser zu halten. Wohlgemerkt, Jesus rechtfertigt ja nicht die Tat des Sünders, sondern schenkt dem, der umkehrt von seinem falschen Weg eine neue Lebensmöglichkeit. Er sagt nicht einfach: „Schwamm drüber!“, sondern dem, der neu anfangen will, der wiedergutzumachen sucht, was er angerichtet hat, dem gibt er Halt und Zuversicht und dem verzeiht er von ganzem Herzen. Natürlich ist mir auch klar, dass man nicht alles immer wiedergutmachen kann; aber wo eine Wunde ist, da soll sie geheilt werden können. Wer immer nur in der Wunde herumstochert, der verhindert, dass sie heilen kann. Und „Narben“ müssen nicht immer entstellen, sondern können Mahnung sein, dass da etwas war, was nie mehr wiederkehren soll.

Der evangelische Theologe Helmut Thielicke hat mal ein Buch geschrieben mit dem Titel: „Leiden an der Kirche“. Darin zeigt er, dass Solidarität mit der kirchlichen Gemeinschaft eben auch mit einschließt, mit und an ihr zu leiden. Wahrhafte Solidarität ist immer bereit, auch das mitzutragen, was nicht gut ist am Anderen oder den Anderen. Nur bedeutet das noch lange nicht, eine schlechte Tat zu rechtfertigen, wohl aber, den Täter mitzutragen, und zwar so, dass er umkehrt, sein falsches Verhalten einsieht und bereit ist, die Folgen zu tragen. 

Der Apostel Paulus sagt in einem Abschnitt des Kolosserbriefes: „Für den Leib Christi, die Kirche, ergänze ich in meinem irdischen Leben, was den Leiden Christi noch fehlt.“ Katharina von Siena hat in ihrem Leben gezeigt, wie Paulus das wohl verstanden hat. Sie war ja eine große Kirchenlehrerin im 14. Jahrhundert, und es gab damals eine Kirchenspaltung mit zwei Päpsten, was sie sehr geschmerzt hat. Die Schmerzen, die sie erlitt, ertrug sie für einen Papst, den sie unterstützte, der sich aber leider als völlig unwürdig erwies. Aber Katharina konnte diesen Schmerz ertragen, weil sie dieses Leiden und ihr ganzes Sehnen in eine bessere und glaubwürdigere Kirche hineinlegte. 

Ich glaube schon, dass überall da, wo Menschen bereit sind, eine Gemeinschaft zu tragen – auch wenn sie alles andere als ideal ist; wo sie an dieser Gemeinschaft leiden und dennoch solidarisch bleiben, eben genau dieses Negative auch verwandelt wird. Es wird nicht vertuscht oder gar gerechtfertigt, aber es wird zum Impuls dafür, gemeinsam Sorge zu tragen, dass es mit dieser Gemeinschaft wieder besser wird. Das gilt übrigens nicht nur für die Kirche, sondern für jede Gruppierung und jede Institution. Wo Menschen sind, gibt es immer auch Negatives, gibt es viel Schatten. Doch Schatten besagt eben auch, dass es Licht gibt. Und es ist wichtig, genau an dieses Licht zu glauben, ohne die Schatten zu übersehen. Denn wo eine positive Kraft da ist, da kann auch das Schlechte verbessert werden – durch Menschen wie Sie und mich. 

Ihr

Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und

Residentenseelsorger

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