Gedanken für mich – Augenblicke für Gott
Was wurde über diese Spiele im Vorfeld nicht schon alles berichtet und vor allem diskutiert. Wir alle haben die Bilder aus Tibet noch vor Augen, die zu heftigsten Diskussionen darüber geführt hatten, ob man Spiele an ein Land wie China, das die Menschenrechte nicht in vollem Umfang achtet, überhaupt hätte vergeben dürfen.
Wir sahen die Demonstrationen während des Fackellaufes mit dem olympischen Feuer und wir werden sicherlich auch jetzt bei den Spielen immer wieder durch gezielte Aktionen genau daran erinnert werden, was die Menschen seit Wochen und Monaten vom politischen System Chinas und seiner Führung halten.
Ich finde diese Auseinandersetzung wichtig. Aber ich möchte mit diesen Zeilen jetzt diesbezüglich nicht noch mehr Öl ins sprichwörtliche Feuer gießen, sondern einfach mal unseren Blick dafür schärfen, was denn bei einer Olympiade so passiert und was sich da eigentlich abspielt. Und: ob das heute so viel anders ist als früher, in der Antike!
Das fängt ja mit dem Starkult an. Es gab auch früher schon die Situation, dass Sportler nach einem Sieg durchdrehten oder die Bodenhaftung verloren, oder dass sie wegen einer Verletzung oder ob der großen Enttäuschung am selben waren. Es gab schon immer bittere Niederlagen von Favoriten und überraschende Siege von sogenannten „No-Names“. Es gab schon früher gedopte Sportler, bestochene Schiedsrichter und korrupte Veranstalter. Es gab vom Diskus oder Speer verletzte Zuschauer und niedergebrochene Tribünen. Und auch die wundervolle Vorstellung, dass während der Spiele die Menschen die Waffen niedergelegt hätten, halte ich nur für einen schönen Traum. Die Kriege gingen nämlich weiter, obwohl sich doch alle einen heiligen Waffenstillstand vorgenommen hatten. Und um die Sicherheit der Spiele musste man sich damals bereits genau so Sorgen machen, wie heute. Früher war alles besser! Immer wieder tappen wir in diese Falle. Das stimmt einfach nicht – auch nicht beim Thema Olympia.
Glauben wir denn wirklich, dass sich die Menschen seither so gravierend geändert hätten? Sie – wir – sind nicht besser und nicht schlechter geworden. Allerdings haben sich die Dimensionen verändert – zweifelsfrei. Alles ist größer und opulenter geworden. Wo sich früher eben nur ein paar Sportler aus den zersplitterten griechischen Stadtstaaten trafen und in einen gemeinsamen Wettbewerb traten, da treffen sich heute Menschen aus der ganzen zersplitterten Welt, mit eben auch ganz unterschiedlichen Denk- und Verhaltensweisen, mit unterschiedlichen Mentalitäten und politischen Meinungen.
Da siegen Repräsentanten aus den allerärmsten afrikanischen Staaten im leichtfüßigen Lauf gegen die hochtrainierten Luxusathleten der Industrienationen, die uns von mannigfachen Werbeplakaten karies- und parodontosefrei anlächeln. Da treten Iraker gegen Amerikaner an und messen sich friedlich, jenseits von Übermacht und Demütigung. Da kämpfen palästinensische gegen israelische Sportler – einmal ganz ohne Waffen.
Und noch eines hat sich seit früher geändert. Die olympischen Spiele waren den Göttern geweiht. So rannten die Läufer damals auf einen Altar zu und in den Stadien gab es Gottesdienste. Viele Sportler sehen das auch heute noch so. Es berührt mich, wenn ich sehe, wie sich manche vor dem Start bekreuzigen, denn ich gehe mal davon aus, dass sie damit ihr Schicksal in den bevorstehenden Minuten ganz bewusst in die Hände Gottes legen. Und wenn man dann die Eröffnungsfeierlichkeiten verfolgt, dann wird noch einmal deutlich: Es hat mit Religion zu tun, wenn junge Menschen aus der ganzen Welt zusammenkommen und sich friedlich messen, das Äußerste aus sich herausholen, siegen und verlieren, weinen und lachen.
Ja, ein klein wenig erinnert es an einen Got-tesdienst. Das liegt wohl an dem tief heiligen Gedanken, der diesen Spielen immer zugrunde liegt. Und der heißt: Frieden ist möglich. Es ist möglich, dass das Töten und die Unterdrückung aufhören. Es ist möglich, die Kluft zwischen arm und reich auszugleichen. Es ist möglich, dass Verlierer zu Siegern werden. Es ist möglich, dass die jungen Menschen, die ihre Zukunft noch vor sich und in ihren Händen haben, aus dieser alten Welt eine neue machen. Eine andere.
Das ist im Kern der Gedanke der olympischen Spiele, der olympischen Bewegung. Da geben sich Sport und Religion friedlich die Hand. Und da ist es eben im Sport wie im normalen Leben, dass uns die Idee trägt, dass wir Konflikte lösen oder dass sie eines Tages enden; dass wir Enttäuschungen überwinden und Verletzungen ausheilen können. Natürlich bleiben wir immer wieder hinter dieser Idee zurück, das wird auch in China kein Haar anders sein – aber überlegen Sie doch selbst mal: Was wären wir denn ohne solche Ideen? Was wären wir ohne die Hoffnung, die dieser Idee zugrunde liegt?
Deshalb – und nicht, damit sich eine Regierung etwas auf ihre Fahne schreiben kann hoffe ich auf Spiele, die uns in positiver Erinnerung bleiben.
Bertram Bolz, Diakon
Kath. Touristen- und
Residentenseelsorger
Diesen und frühere Artikel können Sie nachlesen unter: www.katholische-gemeinde-teneriffa.de oder www.wochenblatt.es
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