Gedanken für mich – Augenblicke für Gott
Was uns in aller Regel sehr bald auffällt und was uns schmerzt ist, dass sich die Menschen oft nicht verstehen. Ja, dass sie sich häufig genug sogar feindlich gesinnt sind. Und das wiederum heißt, dass sie sich gar nicht verstehen wollen.
Da ist keine Bereitschaft vorhanden, sich auf die Argumente oder Sichtweisen anderer einzulassen, sondern alles ist nur auf Abgrenzung und Abwehr der Argumente des anderen angelegt. So etwas gibt es bei der Arbeit, wo man es Mobbing nennt, wenn es nur mehr gegen eine oder einen geht. So etwas gibt es aber auch in der Ehe, wenn eine Krise über die beiden Partner kommt und das Miteinanderreden nur von Vorwürfen geprägt ist. Das gibt es in der Politik, wie man anhand der blutigen Konflikte und Kriege weltweit sehen kann, und das gibt es auch zwischen den Religionen und Konfessionen – manchmal sogar innerhalb einer Kirchengemeinschaft, wo dann der Kampf am erbittertsten geführt wird. Denn hier geht es ja um letzte, nicht nur um vorletzte Wahrheiten. Und: das Nichtverstehen gibt es sogar gegenüber uns selbst. Wie oft sagen wir: Ich verstehe mich mal wieder selbst nicht. Wir tun Dinge und sagen Dinge, die uns erschreckend fremd sind und verstehen uns dabei selbst nicht.
Spüren Sie dieses Nichtverstehen derzeit irgendwo sehr schmerzlich? Das Nichtverstehen muss ja nicht immer gleich ein Grund zur Feindschaft sein. Es kann auch Grund dafür sein, sich verständigen zu wollen und Versuche dahingehend zu unternehmen. So etwas ist schon fast ein kleines Wunder – oder auch wie der Unterschied zwischen Himmel und Hölle. In einer Geschichte wird das so klargemacht: Die Hölle ist, wenn Menschen an festlich gedeckten Tischen sitzen, aber mit viel zu langen Löffeln die Speisen zwar erreichen, aber nicht zum eigenen Mund führen können. Sie verzweifeln und verhungern. Der Himmel ist die gleiche Situation, aber nun füttern sich die Menschen mit diesen langen Löffeln gegenseitig. Also: Umschwung von Verschlossenheit und Blindheit und Egoismus hin zu Offenheit, Erbarmen und Liebe. Ich kann das Anderssein des anderen als Bedrohung sehen, mich hüten, mich verteidigen, den anderen weghaben wollen – das ist die Hölle. Ich kann aber auch die Andersartigkeit des anderen als Bereicherung sehen, als Chance, als etwas Staunenswertes und Wunderbares – das ist der Himmel.
Die Wahrnehmung der Andersartigkeit des anderen als etwas Interessantes, ja Schönes, als etwas, das Liebe und den Wunsch nach Verstehenwollen auslöst, hat doch jede/r von uns schon erlebt. Nicht nur beim anderen Geschlecht, sondern einfach bei Menschen. Ich möchte sie dann gerne kennenlernen, und schon das führt dazu, dass man sich zu verstehen beginnt. Jetzt versteh ich Dich! Versteh etwas von Deinem Land, von Deiner/Eurer Geschichte! Dieses Verstehen ist ein großes Geschenk, denn ich sehe die Welt plötzlich mit anderen Augen – mit den Augen des/der anderen. Es gibt eine Horizonterweiterung und damit bessere Aussichten in jeglichem Sinne. Wann ist Ihnen denn letztmals so ein Licht aufgegangen? Wann hat sich da Ihr Horizont erweitert?
Dieser Umschwung von der Angst vor dem Fremden und Unverständlichen hin zum Interesse und freundlichem Verstehenwollen ist so etwas wie ein Wunder. Es ist letztlich das Wunder von Pfingsten. Denn Pfingsten ist das Fest, an dem sich auf einen Schlag wildfremde Menschen verstehen und einander in den Armen liegen – fast wie beim Public Viewing, wenn jetzt dann die WM-Spiele wieder gemeinsam geschaut werden. Die Apostelgeschichte hat uns das sehr deutlich überliefert. Die Predigt der Apostel versteht plötzlich jeder in seiner Muttersprache – super. Wobei es natürlich übertragen gemeint ist in dem Sinne: Endlich verstehen sich die Menschen wieder.
Das ist für mich auch das Schöne an den Treffen mit anderen Auslandsseelsorgerinnen und –seelsorgern. Da erfahre ich, wie Gemeinden in Australien, in Südamerika oder auf den Philippinen ihr Leben gestalten; was ihnen wichtig ist und welche Probleme dort zu lösen sind. Ich bekomme einen Einblick in die Arbeit von Seelsorgerinnen und Seelsorgern in Afrika oder den Kriegs- und Krisengebieten dieser Welt. Und ich erfahre auch, wie Christen häufig in muslimisch geprägten Ländern ein ganz eigenes oft nur hinter vorgehaltener Hand wahrnehmbares Gemeindeleben praktizieren und einander beistehen. Für mich, der ich hier vielfach mit Touristen eine ganz andere Arbeit mache und versuche, ist das ein wunderschönes Gefühl von weltweiter Einheit und gegenseitigem Sich-Verstehen. Es ist eine Erfahrung des Geistes Gottes – eine Erfahrung von Pfingsten.
Übrigens habe ich das auch oft schon mit Christen aus anderen Konfessionen erlebt: tiefe Einheit, ein herzliches Verstehen, auch wenn die Institutionen meiner und die der anderen christlichen Kirchen oft noch weit voneinander entfernt scheinen oder sich schwer tun mit dem, was an der Basis bereits passiert und Alltag ist. Doch der eine Geist eint diese Basis, das ist für mich eine wunderschöne Erfahrung. Es ist für mich eine Ahnung von Pfingsten – auch heute und obwohl es immer noch Trennung und Spaltung und Nichtverstehen gibt. Aber es gibt eben schon den einenden Geist und der ist letztlich stärker, und der wird es schaffen, dass alle eins werden und sich verstehen. So, wie Jesus es vom Vater erbeten hat.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen ein frohes Pfingstfest und den Geist des Einander- und Sich-Selbst-Verstehens.
Herzlichst, Ihr
Bertram Bolz, Diakon
Kath. Touristen- und
Residentenseelsorger
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