Rettungsschirm und noch mehr Opfer


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Was der September bringen könnte …

Für Präsident Mariano Rajoy scheint es offenbar so gut wie sicher, dass Spanien in Kürze bei der Europäischen Union die Rettung beantragen wird. Umso mehr will er jetzt für das Einhalten der Defizitgrenze kämpfen und brütet bereits über neuen Sparmaßnahmen und Abgabenerhöhungen. Selbst die bisher unantastbaren Renten sollen nicht mehr sicher sein.

Madrid – Noch im Juli hatte Mariano Rajoy kategorisch abgelehnt, dass Spanien unter den eu­­ropäischen Rettungsschirm schlüp­­­fen würde, doch nun eröffnete er: „Wir werden warten, was die Europäische Zentralbank machen wird und dann die für die Spanier beste Entscheidung treffen.“ Ob sich die EZB zum Ankauf von Staatsanleihen krisengeschüttelter EU-Länder, darunter Spanien, durchringen wird, ist so ungewiss wie die Frage, ob eine solche Entscheidung eine nötige Rettung Spaniens überhaupt noch erreichen könnte. Kaufen „die Frankfurter“, wird die Risikoprämie sinken und der spanische Staatshaushalt wieder eine realistische Zukunft bekommen. Trotzdem wird wohl selbst das nicht ausreichen. Kauft die EZB nicht, wird Spanien auf jeden Fall unter den europäischen Rettungsschirm schlüpfen müssen.

Zunächst will die EU wissen, ob Spanien die für dieses Jahr vorgeschriebene Defizitgrenze von 6,3% des Bruttoinlandsproduktes (BIP) einhalten wird. Mitte September wird Finanzminister Cristóbal Montoro einen ersten konkreten Rechenschaftsbericht über Einnahmen und Ausgaben des Staatshaushaltes abliefern, und man wird eine erste Einschätzung treffen. Bei Unterschreiten der Marke werden die EU-Partnerländer dies wohl als Zeichen der Opferbereitschaft für eine mögliche Haushaltssanierung und als Vertrauensbeweis ansehen. Bei Überschreiten ist davon auszugehen, dass Brüssel an Rajoy neue Maßnahmen herantragen wird. Da es eng zu werden scheint, denkt der Präsident selbst bereits darüber nach, wo noch mehr gekürzt oder eingenommen werden kann, um den Kurs wieder zu richten und das Jahr unterhalb der vorgegebenen Marke abzuschließen. Sogar die Renten scheinen nun nicht mehr sicher, knüpft Rajoy doch mittlerweile seinen Erfolg – oder sein Versagen – im Amt an das Erreichen dieses Zieles, wurde aus Regierungskreisen gegenüber einer Tageszeitung berichtet.

Noch herrscht Ungewissheit …

Ob der Finanzminister im September ein zufriedenstellendes Bild des Staatshaushaltes und der Neuverschuldung präsentieren wird, ist noch ungewiss.

Insbesondere bei der Gesamthöhe der Einnahmen gibt es noch viele Unklarheiten, sicher scheint nur, dass die Prognosen der Regierung nicht erreicht werden. Die Rezession hat die staatlichen Einnahmen geschmälert, die Erhöhung der Einkommenssteuer wirkt sich nur langsam aus, der schwache Konsum bewirkt, dass sich die Anhebung der Mehrwertsteuer und der Sondersteuern in der Staatskasse kaum auswirken wird.

Sicher scheint auch, dass die aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit auf Einnahmen- und Ausgabenseite strapazierten Sozialkassen und die Finanzprobleme das Defizit erhöhen werden.

Mögliche Maßnahmen

Sollten die konkreten Zahlen auf ein Überschreiten der Defizitgrenze hinweisen, wird Rajoy wohl wieder die Schere bei den Ausgaben ansetzen und den Bürgern noch tiefer in die Tasche greifen.

Da die Regierung so gut wie in allen Bereichen bereits harte Kürzungen vorgenommen hat, bleiben nur noch die bisher als unantastbar geltenden Renten, die jährlich 115 Milliarden Euro verschlingen. Diese könnten nun ins Visier der Regierung gelangen, so wie von den europäischen Institutionen gefordert. Wirtschaftsminister Luis de Guindos hat bereits bestätigt, dass die Frührente eingeschränkt werde, um das tatsächliche Rentenalter an das gesetzliche Rentenalter von 67 Jahren anzunähern. Außerdem soll in Kürze bei Berechnung der Rentenhöhe der sogenannte Nachhaltigkeitsfaktor zwingend hinzugezogen werden, was bedeutet, dass Lebenserwartung und Vermögenslage eine Rolle spielen. Selbst ein Einfrieren der Renten scheint nicht mehr ausgeschlossen.

Auf der Einnahmenseite ergeben sich mehr Möglichkeiten. Die Abschreibung der privaten Altersvorsorge könnte abgeschafft oder eine Reichensteuer erhoben werden. Während eine weitere Erhöhung der Mehrwertsteuer IVA wegen der gerade am 1. September in Kraft getretenen Anhebung wohl erst einmal ausgeschlossen ist, könnten Energie-, Kraftstoff-, Alkohol- und Tabaksteuern weiter angehoben werden.

Maßnahmenmarathon

Während der acht Monate, in denen Ministerpräsident Mariano Rajoy und sein Kabinett nun schon die Geschicke des Landes leiten, hat die Exekutive eine Vielzahl von Reformen und Maßnahmen beschlossen. Im Folgenden ein kurzer Rückblick auf die bisherigen sozialen Zugeständnisse, die Kürzungen und die Abgabenerhöhungen:

Dezember 2011: Rentenerhöhung um 1%, Wiedereinführung der Abschreibung auf den Eigenheimkauf – Einfrieren der Beamtengehälter, keine Neueinstellungen von Staatsangestellten, Anhebung der Arbeitszeit der Beamten, Kürzung der Subventionen für Parteien, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, Milliardenkürzungen bei allen Ministerien, u.a. – Anhebung der Einkommenssteuer IRPF, Anhebung der Grundsteuer für wertvolle Immobilien.

Februar: Verlängerung des Plan Prepara (400-Euro-Sozialhilfe für Langzeitarbeitslose, die alle Hilfen ausgeschöpft haben).

April: Erhöhung der Medikamentenzuzahlung (zum ersten Mal werden auch die Rentner zur Kasse gebeten), den illegalen Einwanderern wird die Krankenversicherungskarte und somit der Krankenversicherungsschutz entzogen, u.a. – Anhebung der Studiengebühren, Anhebung der Gerichtskosten.

Juni: 417 Arzneimittel, welche lediglich die Symptome bekämpfen, werden kostenpflichtig.

Juli: Streichung des Weihnachtsgeldes der Beamten, Abschaffung der Abschreibung auf den Eigenheimkauf – Erhöhung der Mehrwertsteuer IVA.

August: Verlängerung des Plans Prepara.

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