Ermittlungsrichter Baltasar Garzón ordnete die Anfertigung eines Registers aller Opfer an
Nach Untersuchungen renommierter Hispanisten sind zwischen dem 17. Juli 1936 – Tag des Militärputsches in Spanien, der in den Bürgerkrieg mündete – und den ersten Jahren der Franco-Diktatur zwischen 90.000 und 180.000 Menschen, größtenteils Republikaner, in Spanien umgebracht und in Massen-Gräbern verscharrt worden.
Madrid – Bis zum heutigen Tag ist nur wenig bekannt über die tatsächlichen Umstände ihres Todes, ihre Namen und die genauen Orte dieser Massen-Gräber. Entsprechend hoch ist immer noch die Anzahl der Familien in Spanien, die nichts über den Verbleib von mindestens einem Angehörigen wissen. Die „Transición“, die Übergangsphase von der Diktatur zur parlamentarischen Demokratie in Spanien, die unter anderem eine Generalamnestie für alle Verbrechen dieser Zeit beinhaltete, war nur dadurch möglich geworden und erfolgreich, dass ein Großteil der schwärzesten Zeit in der jüngsten spanischen Geschichte bis heute nicht aufgearbeitet ist.
Erst jetzt, über 33 Jahre nach Francos Tod, hat es in Spanien erstmalig jemand gewagt, Aufklärung einzufordern. Es handelt sich um den weit über die Landesgrenzen hinaus bekannten Richter am Nationalen Gerichtshof, Baltasar Garzón, der Anfang September erste Schritte zur Aufklärung des Schicksals zahlloser Franco-Opfer angeordnet hat und sich damit öffentlich auf die Seite der Angehörigen stellte. Seit Jahren schon fordern sie das Recht ein zu erfahren, was mit ihren verschwundenen Angehörigen passiert ist und wo sie womöglich begraben sind. Letzter Anstoß war schließlich eine Sammelklage von über 1.000 Nachfahren von Franco-Opfern, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter der Diktatur angezeigt hatten. Die Staatsanwaltschaft hatte die Anzeige mit dem Argument abgelehnt, den Strafbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit gebe es in Spanien erst seit 2004. Garzón sah das jedoch anders. Er hat nun nicht nur gefordert, dass die Militärarchive geöffnet werden. Auch die Bischofskonferenz, die Rathäuser und Universitäten sollen Zugang zu ihren Unterlagen gewähren. Ziel ist es, ein spanienweites Register der Franco-Opfer zu erstellen, das nicht nur die Namen der Verschwundenen beinhaltet, sondern möglichst auch die Umstände ihres Todes und den Ort ihres Grabes. Der Richter hat die Bischofskonferenz angewiesen, ihre weit über 20.000 Pfarreien zur Offenlegung sämtlicher über diese Zeit vorliegenden Unterlagen anzuhalten.
„Alte Wunden aufreißen“
Während sich die einen jedoch über die endlich beginnende Aufarbeitung der Vergangenheit freuen, gibt es auch ein anderes Lager in Spanien, das Garzón und der ihn unterstützenden sozialdemokratischen Regierung vorwirft, „sinnlos alte Wunden aufzureißen“. Allen voran die konservative Opposition, die nicht zuletzt Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero beschuldigt, auf diesem Weg von der herrschenden Wirtschaftskrise ablenken zu wollen.
Tatsache ist, dass die sozialdemokratische Regierung es als erster politischer Entscheidungsträger Ende vergangenen Jahres gewagt hat, das Ley de la Memoria Histórica zu verabschieden, ein Gesetz zur Aufarbeitung der Franco-Diktatur. Unter anderem ist darin das Abschaffen sämtlicher an das Franco-Regime erinnernde Denkmäler und Straßennamen vorgesehen. Eine Auflage, die nicht von allen autonomen Regionen gleich eingehalten wird. Zu stark ist noch immer die „alte Rechte“, zu tief verankert sind in einem breiten Teil der spanischen Gesellschaft noch immer die „alten Werte“.
„Nur wer die Wahrheit weiß, kann ein so trauriges Kapitel auch wirklich abschließen“, setzen die Betroffenen den Argumenten der konservativen PP entgegen, die nichts davon hält, „in der Vergangenheit herumzustochern, anstatt sich um die wichtigen Probleme der Gegenwart zu kümmern“.
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