Spanien ignoriert das Luther-Jahr


Repräsentanten der Evangelischen Kirchen bei einem Empfang, den das Königspaar für sie im Zarzuela-Palast gab (Links neben dem König: Justizminister Rafael Catalá). Foto: CASA DE SM EL REY

Anfragen der Evangelischen Kirchen mit insgesamt 1,5 Millionen Gläubigen werden von der spanischen Regierung nicht beantwortet

Madrid – Spanien führte vor 500 Jahren den Kampf gegen Luther an und ist heute Schlusslicht bei den Fünfhundertjahrfeiern zum Gedenken an die Reformation. Damit verhält sich der spanische Staat zum wiederholten Mal in seiner Geschichte „päpstlicher als der Papst“ selbst, denn im Oktober letzten Jahres reiste Franziskus nach Schweden, um gemeinsam mit dem Lutherischen Weltbund den Auftakt zum Gedenken an 500 Jahre Reformation zu begehen.

„Man hat uns nicht einmal eine Gedenkbriefmarke gewidmet, wie es sogar der Vatikanstaat getan hat“, bedauert der Direktor des Nachrichtenportals „Protestante digital“ Pedro Tarquis. Eine Petition der Evangelischen Kirchen, den 31. Oktober, den Tag, an dem Martin Luther seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg schlug, zum Feiertag zu erklären, wurde von der Regierung nicht einmal beantwortet.

Die Protestanten in Spanien bemängeln schon lange, dass der religiöse Übergang von der Franco-Diktatur zum demokratischen säkularen Staat nicht vollzogen worden sei. Obwohl Artikel 16.3 der Verfassung von 1978 besagt, dass keine Konfession den Charakter einer Staatsreligion hat, würden sogenannte Staatsbegräbnisse regelmäßig in Katholischen Kirchen unter der ausschließlichen Leitung katholischer Geistlicher begangen. Die Katholische Kirche hat einen Platz für die freiwillige Zuweisung eines Teils der Steuerleistungen in der spanischen Steuererklärung, die Evangelische und andere Konfessionen jedoch nicht. Dasselbe gilt für verschiedene weitere Privilegien. Die regelmäßigen Proteste der anderen Religionsgemeinschaften, die in Spanien mehrere Millionen Gläubige umfassen, bei der jeweils aktuellen Regierung, bleiben stets unbeantwortet.

Weniger abweisend gibt sich das spanische Königspaar, das im Juli im Zarzuela-Palast einen Empfang für die „Ständige Kommission des Bundes der Evangelischen Religionsgemeinschaften Spaniens“ (FEREDE) gab, welcher deren Repräsentanten Gelegenheit gab, die schon durchgeführten und noch geplanten Gedenkfeierlichkeiten im Jubiläumsjahr der Reformation zu präsentieren. Der Exekutivsekretär und Repräsentant der Protestantischen Kirchen, Mariano Blázquez Burgo, erklärte bei dieser Gelegenheit: „In den letzten 500 Jahren gab es nur 50 Jahre lang Religionsfreiheit. Wir möchten diese Statistik umkehren und ein neues Szenario schaffen, mit mehr Verständnis, Toleranz und Eintracht“. Zu dem Empfang war auch ein Mitglied der spanischen Regierung, Justizminister Rafael Catalá, geladen, in dessen Ministerium die in Spanien praktizierenden Religionsgemeinschaften registriert werden.

Seit der Reformation und noch bis vor einem halben Jahrhundert sind von der katholischen Doktrin abweichende Glaubensrichtungen mit aller Härte verfolgt worden. 1838 beispielsweise wurde der Anglikaner George Borrow, der in Madrid die Bibel in spanischer Sprache, statt in Latein, verkaufte, kurzerhand in den Kerker geworfen. Er wurde schnell wieder freigelassen, als kein Geringerer als der König von England drohte, seinen geplanten Besuch in Madrid deswegen abzusagen. Doch noch im 20. Jahrhundert unter Franco ging es nicht weniger drakonisch zu. Eine Anekdote berichtet, dass Pastor Juan Antonio Monroy, der berühmteste zeitgenössische Verfechter des Protestantismus in Spanien, als er in den 1950er-Jahren den Militärdienst in Francos Heer ableistete, verweigerte während eines katholischen Feldgottesdienstes das Knie vor dem Altar zu beugen. Sein Feldwebel soll ihn mit der Waffe bedroht und geschrien haben: „Du kniest nieder, Monroy, oder ich töte Dich!“

Für Franco war der Nationalkatholizismus eine Säule seiner Herrschaft, und entsprechend eifersüchtig verteidigte er die Vorherrschaft der Katholischen Kirche, die ihm sogar ein Gottes- gnadentum zuerkannte. Gelockert wurde diese Haltung erst, als ein Besuch des amerikanischen Präsidenten Eisenhower in Spanien anstand. In Vorbereitung zu diesem Besuch trafen zwei US-Senatoren und ein General mit Franco zusammen, um herauszufinden, wie der Präsident empfangen werden würde. Franco stellte sich als Bekämpfer des Kommunismus und spirituelle Trutzburg des Westens dar und kündigte die Auslöschung der Freimaurerei an. Worauf einer der Senatoren erwidert haben soll: „Präsident Eisenhower ist Protestant, ich bin Freimaurer, und mein Senatskollege ist jüdischen Glaubens. Wir alle drei säßen in diesem Land im Gefängnis.“ – Wenige Wochen später wurde unter scharfem Protest der Katholischen Kirche die Gründung zweier Evangelischer Kirchen in Madrid und Barcelona erlaubt.

Eine geheime Kommission zur Verteidigung der Evangelischen Kirchen, die seit 1956 bestand und sich um inhaftierte Pfarrer und Gläubige kümmerte, wurde erst 1967 legalisiert, unter anderem auf Drängen des Vatikans hin, der sich einmal mehr als toleranter gegenüber Andersgläubigen verhielt als das spanische Establishment.

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