Spaniens Kampf ums Überleben


© EFE

Von Sparmaßnahmen, Verfassungsänderung und Arbeitsrechtsreformen

Infolge der wirtschaftlichen Horrormeldungen aus aller Welt stürzte neben vielen anderen Börsenkursen auch der spanische Wertpapierindex IBEX in der ersten Augusthälfte in freiem Fall von ca. 11.300 auf ca. 8.300 Punkte ab. Die Risikoprämie (Rendite, die bei Eingehung eines Risikos erlangt wird) auf spanische Staatsanleihen im Vergleich zu deutschen schoss zeitweilig auf 360 Punkte hoch, bis die Europäische Zentralbank eingriff und spanische Staatspapiere kaufte.

Madrid – Kurz zuvor wurde schon hinter vorgehaltener Hand über eine Rettung Spaniens getuschelt.

Mitte August schlugen die „Nachrichtenbomben“ auf einmal weniger auf den Wirtschaftsseiten der spanischen Zeitungen als vielmehr auf den Politikseiten ein. Zuerst beschloss die Regierung ein umfassendes Paket von Sparmaßnahmen, dann überraschte Präsident José Luis Rodríguez Zapatero die spanischen Abgeordneten mit einer Verfassungsänderung und schlussendlich brachte das Kabinett bedeutende Arbeitsrechtsreformen auf den Weg.

I) Sparmaßnahmen

Am 19. August trat die spanische Regierung zusammen und beschloss per Rechtsverordnung ein Paket von Sparmaßnahmen, mit dessen Hilfe die Ausgaben um fünf Milliarden Euro gekürzt werden sollen (0,5% des BIP), so wie es der Europäischen Zentralbank vor dem rettenden Kauf der spanischen Staatsanleihen versprochen worden war. Weiterhin sollen die Maßnahmen dazu beitragen, die für dieses Jahr vorgesehene Neuverschuldung in Höhe von 6 % des BIP einzuhalten. Die wichtigsten Regelungen im Überblick:

Billigerer Hauskauf

Zum einen entschied das Kabinett, die beim Kauf neuer Immobilien anfallende Mehrwertsteuer IVA von 8% auf 4% abzusenken, jedoch nur bis zum 31. Dezember 2011 (zur Erläuterung: beim Kauf einer gebrauchten Immobilie fällt keine Mehrwertsteuer an). Ein Beispiel: der Käufer einer neuen Immobilie mit einem Wert von 200.000 Euro wird bei Kaufabschluss vor Jahresende statt 16.000 Euro nur 8.000 Euro Mehrwertsteuer abführen müssen.

Hintergrund ist die schlechte Lage der von einer Tageszeitung als „Achillesfersen der spanischen Wirtschaft“ bezeichneten Sektoren Bank und Bau. Durch den Bauboom und die nachfolgende Wirtschaftskrise ist der Stock unverkaufter Immobilien in Spanien auf ca. 700.000 angewachsen; zwischen 300.000 bis 400.000 Immobilien im Wert von ungefähr 20 Milliarden Euro sind Eigentum von Banken und Sparkassen. Diese verfügen im Gegenzug jedoch über wenig Liquidität und vergeben kaum Kredite, auf die die Bauunternehmen aber angewiesen sind.

Mit der Senkung der Mehrwertsteuer zielt die Regierung darauf ab, den Immobilienstock zu verringern, den Banken zu mehr Liquidität zu verhelfen und die Kreditvergabe an Bauunternehmen sowie die Schaffung von Arbeitsplätzen beim Bau anzukurbeln. Auf der anderen Seite wurde die Regelung bis Jahresende beschränkt, da laut Wirtschaftsministerin Elena Salgado langfristig das Mietmodell angekurbelt werden müsse, so wie es von vielen internationalen Institutionen angeraten wird.

Vorschuss der Unternehmen

Außerdem wurde beschlossen, dass Firmen, die mehr als 20 Millionen Euro im Jahr umsetzen (3.900 der 1,4 Millionen spanischen Unternehmen, d.h. 0,5%), 2011, 2012 und 2013 einen höheren Anteil der Unternehmenssteuer im Voraus bezahlen müssen – statt 21% von 30% Unternehmenssteuer nun zwischen 24% und 27%.

Dadurch werden noch in diesem Jahr 2,5 Milliarden Euro mehr und in den folgenden zwei Jahren je 400 Millionen Euro mehr in die Kassen des spanischen Finanzamts gespült.

Inhalt statt Marke

Bei den Arzneimittelkosten wurde der Rotstift angesetzt. Ärzte dürfen nun nur noch den Wirkstoff und nicht die Marke verschreiben. Die Apotheken wurden verpflichtet, entsprechend dem Wirkstoff die billigste Marke zu verkaufen.

Auf diese Weise sollen 2,4 Milliarden Euro, d.h. 20% der jährlichen Arzneimittelkosten in Höhe von rund 11,4 Milliarden Euro, von den zuständigen autonomen Regionen eingespart werden.

Kritik

José García Montalvo, Professor für Wirtschaft an der Universität Pompeu Fabra, nahm Bezug auf die Senkung der Mehrwertsteuer beim Kauf neuer Immobilien und erklärte, die Regelung würde keinen Anstieg, sondern allenfalls eine Vorverschiebung der Verkäufe bewirken. Fraglich sei die Wirkung, denn insgesamt würden mögliche Immobilienkäufer auf einen weiteren Preisabfall im nächsten Jahr warten. Als sinnvoller erachte er die Grundlagenschaffung für günstigere Hypotheken, da diese bei einer Kaufentscheidung ausschlaggebender seien als eine gesenkte Mehrwertsteuer.

Nach seiner Meinung handele es sich sowieso um eine Wahltaktik von Zapateros Partido Socialista Obrero Español (PSOE), denn die Oppositionspartei, der wahrscheinliche Wahlgewinner Partido Popular (PP), habe bereits angekündigt, den Steuerfreibetrag beim Immobilienkauf wiedereinführen zu wollen. Nach Bekanntgabe der Regierungsmaßnahme setzte Mariano Rajoy, Parteichef und Präsidentschaftskandidat der PP, übrigens noch einen drauf und gab an, die gesenkte Mehrwertsteuer – neben dem wiedereingeführten und rückwirkenden Steuerfreibetrag – ein weiteres Jahr beibehalten zu wollen.

Hinsichtlich der Anhebung des Unternehmenssteuervorschusses erklärte der Unternehmerverband CEOE, es handele sich dabei um eine „zusätzliche Last“ für die Firmen. Die aufgrund des Zahlungsverzuges vieler öffentlicher Verwaltungen und fehlender Kreditvergabe sowieso schon stark eingeschränkte Liquidität der Unternehmen würde noch mehr abnehmen. Der Staatshaushalt sollte nicht über eine Anhebung der Steuerbeiträge oder eine Vorverlegung der Steuerzahlungen, sondern über einen Abbau der Kosten saniert werden. 

II) Verfassungsänderung

Am 23. August trat das Abgeordnetenhaus zusammen. Auf dem Plan stand die parlamentarische Bestätigung des Maßnahmenpakets. Doch statt den Volksvertretern die Regelungen im Detail zu erklären, ließ Präsident José Luis Rodríguez Zapatero eine regelrechte „Bombe“ einschlagen und eröffnete seine Rede mit dem Vorschlag, die Constitución, die spanische Verfassung, zu ändern und die Pflicht zu einem ausgeglichenen Haushalt auf allen Verwaltungsebenen – Staat, autonome Regionen und Gemeinden – darin aufzunehmen.

Zapatero beabsichtigte, mit einer selbst auferlegten Ausgabenbremse die Märkte und die Europäische Zentralbank zu beruhigen und Spanien vor einer Rettungsaktion zu bewahren. Insbesondere scheint er der Welt Spaniens Willens- und Tatkraft vor Augen führen zu wollen, denn erst eine Woche vorher hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy gefordert, alle EU-Staaten sollten in ihre Verfassungen eine Schuldengrenze aufnehmen – nach deutschem  Vorbild.

Noch größer wurde die Überraschung bei den Abgeordneten, als bekannt wurde, dass sich Zapatero mit seinem ewigen Gegenspieler, dem PP-Präsidentschaftskandidaten Mariano Rajoy, über die Verfassungsänderung verständigt hatte und beide gemeinsam dafür eintraten. Und das, nachdem Rajoy denselben Vorschlag bereits vor einem Jahr vorgebracht hatte und dafür ausgelacht worden war. 

Dabei trat die Abstimmung über das Sparmaßnahmenpaket fast in den Hintergrund, das schließlich ohne großen Widerspruch verabschiedet wurde.

Verfassungszwang

Am Morgen des 26. August einigten sich die zwei größten Parteien Spaniens, die PSOE und die PP, über die Einzelheiten der Verfassungsänderung. Demnach werden im Artikel 135 alle öffentlichen Verwaltungen zur „Stabilität des Haushalts“ verpflichtet. Per Ley Orgánica (Gesetz mit Verfassungsrang) soll das maximale Defizit für Staat und autonome Regionen festgelegt werden. Allerdings wird der Verfassungstext dieses Defizit als „Strukturdefizit“ bezeichnen und einen gewissen Handlungsspielraum für Notfälle eröffnen, beispielsweise im Fall hoher Arbeitslosigkeit und der sozialen Notwendigkeit einer Verlängerung der Arbeitslosenhilfe. Auch bei Naturkatastrophen oder ähnlichem werden Abweichungen möglich sein. Die Gemeinden sollen verpflichtet werden, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen.

 Aus dem politischen Abkommen zwischen PSOE und PP geht weiterhin hervor, dass das Ley Orgánica, das Mitte 2012 verabschiedet werden soll, die Defizitsgrenze bei 0,4% festsetzen wird. Angesichts des hohen Schuldenberges, den es erst einmal abzubauen gilt, soll die neue Regelung erst 2020 in Kraft treten.

Beide Parteien zeigten sich höchst zufrieden über das Ergebnis ihrer Verhandlungen. Ende September könnte die erste bedeutende Verfassungsänderung abgeschlossen sein; vorher müssen noch Abgeordnetenhaus, Senat und möglicherweise das Volk ihre Zustimmung erteilen.

III) Arbeitsmaßnahmen

Ebenfalls am 26. August beschloss die spanische Regierung per Real Decreto Ley (Königliche Rechtsverordnung) eine Reihe von Arbeitsrechtsreformen:

Zum einen wurde die 2006 eingeführte Beschränkung zeitlich begrenzter Arbeitsverträge für die nächsten zwei Jahre aufgehoben (bisher galt: war ein Arbeitnehmer innerhalb von 30 Monaten insgesamt über zwei Jahre bei einem Unternehmer tätig, konnte er nur noch fest weiterbeschäftigt werden). Arbeitsminister Valeriano Gómez verteidigte diese Auflockerung des Arbeitnehmerschutzes mit den Worten: „Besser eine Zeitarbeit als keine Arbeit.“

Außerdem wurde ein neuer Ausbildungsvertrag eingeführt, der jungen Menschen zwischen 16 und 25 Jahren (bis Ende 2013 bis 30 Jahren) ohne Ausbildung eine Chance auf dem Arbeitsmarkt ermöglichen soll. Das neue Vertragsmodell sieht vor, dass die Auszubildenden über einen Zeitraum von ein, zwei oder maximal drei Jahren sowohl entgeltlich im Unternehmen arbeiten als auch von diesem ausgebildet werden – im Verhältnis 75% zu mindestens 25%. Bei Festanstellung nach Beendigung des Ausbildungsverhältnisses winken den Unternehmen Vergünstigungen bei den Sozialversicherungsbeiträgen von 1.500 Euro jährlich bei Männern und 1.800 Euro jährlich bei Frauen, begrenzt auf drei Jahre und vorausgesetzt, die Anzahl der Festanstellungen im Unternehmen wurde erhöht.

Des Weiteren wurde der Plan Prepara, der Arbeitslosen ohne Recht auf Unterstützung eine letzte Hilfe von 400 Euro zugesteht, um ein halbes Jahr bis zum 15. Februar 2012 verlängert. Viele Menschen, die bei Auslaufen des Programms am 16. August keinen Ausweg mehr sahen (das Wochenblatt berichtete), konnten erst einmal aufatmen.

Über Wochenblatt

Das Wochenblatt erscheint 14-tägig mit aktuellen Meldungen von den Kanaren und dem spanischen Festland. Das Wochenblatt gilt seit nunmehr 36 Jahren als unbestrittener Marktführer der deutschsprachigen Printmedien auf den Kanarischen Inseln.