Spaniens sanfte Revolution


© EFE

Die Protestbewegung „Echte Demokatie Jetzt“ weiter in Aktion

Wenn die Persönlichkeiten, die den althergebrachten Regeln der Welt zufolge der Gesellschaft als nachahmenswerte Vorbilder dienen sollten, diese Rolle nicht mehr erfüllen, spätestens dann ist es an der Zeit, selbst mit gutem Beispiel voranzugehen.

Madrid / Barcelona – Und genau das nehmen sich anscheinend immer mehr Menschen in Spanien nicht nur zu Herzen, sondern setzen es auch in die Tat um. Und so rollt seit dem 15. Mai eine Welle des friedlichen, aber bestimmten Protestes durchs Land.

Angefangen hat es mit den jungen Menschen, die am meisten unter der derzeitigen vielschichtigen Krisensituation zu leiden haben, an der Spanien seit bald drei Jahren zu ersticken droht. Trotz ausgezeichneter Ausbildung, Auslandspraktika und mehreren Fremdsprachen, sind ihre Chancen auf einen mehr oder weniger menschenwürdigen Arbeitsplatz inzwischen so gut wie aussichtslos, und wenn sie doch einmal Glück haben sollten, dann reicht das Gehalt gerade eben für das Notwendigste und auch das nur, wenn sie weiterhin bei den Eltern leben können.

In vielerlei Hinsicht ist Spaniens Jugend unverschuldet aus dem System gefallen, ihre Zukunft infrage gestellt worden. Zu Opfern des gnadenlosen Diktats einer globalisierten Wirtschaft und ihr ergebener Politiker degradiert, die mehr die Wahrung der Interessen von Bank und Industrie im Auge haben, als das Wohl der Bürger. Dieses Bewusstsein, gepaart mit der Tatsache, dass besonders in den letzten drei Jahren immer mehr Korruptionsfälle bei den politischen Führungskräften des Landes ans Licht kamen, hat Spaniens Jugend wütend gemacht, wütend und empört. Und so nennen sie sich auch „los indignados“, „die Empörten“, nicht zuletzt auch in Anlehnung an die wütende Streitschrift des französischen Schriftstellers Stéphan Hessel. In „Empört Euch“ ruft der Erfolgsautor insbesondere Europas Jugendliche zum Protest gegen ein korruptes System auf, in dem der Mensch bestenfalls an letzter Stelle der Prioriätenliste steht.

Seitdem am 15. Mai die ersten Protestzüge durch rund 50 spanische Städte zogen, ist die Bewegung, die sich „Democracia Real Ya“ („Echte Demokratie Jetzt“) nennt, nicht mehr zu stoppen. Bis zum heutigen Tag campieren in immer mehr Städten empörte Bürger – inzwischen jeglicher Altersstufe – auf den wichtigsten Plätzen, um ihren Unmut zum Ausdruck zu bringen.

Innerhalb weniger Wochen ist aus einer kleinen, aber bestens vernetzenden Gruppe „Em­pörter“ eine schier unaufhaltbare Bewegung geworden, mit einer Wirkungskraft, die die Initiatoren selbst wohl am Wenigsten erwartet hätten. Und mit dem besonderen Merkmal, dass Friedfertigkeit, Sauberkeit, Organisation und ein ausgeglichenes Miteinander bei den Demonstranten mit an oberster Stelle stehen, eben echte Demokratie, die noch eine Vorbildfunktion erfüllt, die die heutigen Führungskräfte gänzlich vergessen zu haben scheinen.

Bislang verliefen die Proteste auch beispielhaft friedlich, allerdings mit einer traurigen Ausnahme. In Barcelona räum­ten Beamte der katalanischen Regionalpolizei Mossos d’Esquadra am 27. Mai mit nicht zu rechtfertigender Gewalt und Brutalität das Protestcamp auf der Plaza de Catalunya – angeblich nur, um den Platz zu säubern. 121 Personen wurden dabei verletzt, 36 davon waren Polizisten. Diverses Fotomaterial zeugt unter anderem davon, dass das Vorgehen der etwa 350 Polizisten in keiner Weise in einem zu rechtfertigenden Verhältnis zum Anlass stand. Trotz der angeblichen Gefahr, die von den Demonstranten ausgegangen war – so hatte der katalanische Innenminister Felip Puig unter anderem die brutale Räumaktion gerechtfertigt – wurde nur einer der „Camper“ verhaftet und nach kurzer Zeit wieder auf freien Fuß gesetzt.

Ganz abgesehen davon, dass die Protestbewegung dadurch nur noch mehr Aufwind bekommen hat, soll jetzt auch auf europäischer Ebene untersucht werden, was sich an jenem 27. Mai auf der Plaza de Catalunya tatsächlich zugetragen hat.

Ob es allerdings bei den Protestcamps in spanischen Städten bleiben oder die Bewegung andere Formen annehmen wird, ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehbar. In vielen Camps wird derzeit darüber diskutiert, die Lager in Kürze abzubrechen und zu anderen Protestaktionen überzugehen.

[bsa_pro_ad_space id=“8,13″ if_empty=“13″ delay=“5″]

About Wochenblatt

Das Wochenblatt erscheint 14-tägig mit aktuellen Meldungen von den Kanaren und dem spanischen Festland. Das Wochenblatt gilt seit nunmehr 36 Jahren als unbestrittener Marktführer der deutschsprachigen Printmedien auf den Kanarischen Inseln.