Hütten aus Stein in den Cañadas
Nur wenige Wochen nach seiner Entdeckung von Guanchen-Höhlen auf einem Berg im Tal von Tegueste, die vermutlich ein ehemaliges Kloster der Harimaguadas (Nonnen zur Zeit der Ureinwohner) darstellen, machte der deutsche Resident und Forscher Manfred Jantzon eine weitere interessante Entdeckung aus prähispanischer Zeit der Guanchen, und zwar diesmal in den Cañadas, dem Gebiet unterhalb des Teide.
Mit „Las Cañadas“ wird die Caldera (Kessel) bezeichnet, eine Einbruchstelle in Kesselform, die entstand, als nach dem Aufbau eines grossen Vulkans die entleerte Magmakammer darunter durch das enorme Gewicht in sich zusammen-brach und somit auch der Vulkan wieder von der Erdoberfläche verschwand.
Auf seiner Wanderung, beginnend beim Parador-Hotel und in Richtung Talstation der Seilbahn führend, wurde er begleitet von J. Happ, dem Verleger eines seiner Bücher über die Ureinwohner der Kanarischen Inseln. Der Weg führte sie auch vorbei an dem in den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts von der kanarischen Regierung erbauten Sanatorium, welches in den Cañadas aufgrund der guten klimatischen Bedingungen zur Heilung von Lungenkrankheiten entstand. Diese Bauten wurden aber nie ihrem gedachten Zweck zugeführt und so sind sie dem Zerfall preisgegeben.
Kurz hinter dem Sanatorium entdeckte M. Jantzon zu beiden Seiten des Weges die Reste von aus Lavagestein erbauten uralten Hütten nebst von Steinmauern umgebene Tiergehege. Solche Konstruktionen der Hirten aus der Zeit der Urbevölkerung waren ihm schon zuvor auf seinen Exkursionen im Gebiet unterhalb des Teide aufgefallen, wie beispielsweise bei den Roques de Garcia, in der Montaña Amarilla und in der Ucanca-Ebene, einem zweiten Einsturzkrater.
Aus der geschichtlichen Überlieferung ist bekannt, dass in vorspanischer Zeit die Hirten der insgesamt neun Menceyato (Königreiche) in den heißen Sommermonaten mit ihren Ziegenherden hinauf in die kühleren Regionen der Bergwelt wanderten und hier mehrere Monate verbrachten. So wurden von den hiesigen Archäologen gerade in diesem Gebiet auch die meisten Funde aus der Guanchenzeit gemacht.
Zu diesen zählen vor allem Keramik und Abschläge des vulkanischen Glases „Obsidian“, welches an der Oberfläche nur am Fuße des Teide (zwischen Km 37 und 42) in Form von teils großen Blöcken zu finden ist. Aus Abschlägen diesen harten und besonders scharfen Materials stellten die Hirten in ihrer Freizeit Schaber, Bohrer, Messer und die vom Feind gefürchteten Lanzenspitzen her. Die Messer dienten nicht nur dem Hausgebrauch, sondern auch als Instrument für die Trepanation, einem chirurgischen Eingriff durch Schädelöffung bei Epilepsie etc. und zur Auslösung von Blutungen bei infizierten Wunden.
Weitere Obsidianvorkommen gibt es nur noch an einer einzigen Stelle im Westen von Gran Canaria, wo es mittels der „Stollen von Hogarzales“ (einem Berg bei San Nicolás de Tolentino) von der Urbevölkerung der Insel abgebaut wurde.
Bei dem heute gut ausgebauten Wanderweg inmitten einer Mondlandschaft gleichenden Kulisse aus erkalteten Lavazungen und bizarrem Felsgestein, handelt es sich um einen alten Pfad der Guanchenhirten und ihrer Ziegen. Bald nach dem Sanatorium, kann ein geübtes Auge zu beiden Seiten und in unmittelbarer Nähe des Weges, die baulichen Relikte aus geschichtlicher Vorzeit erkennen – die von Hand aufgeschichteten Steine, die sich in Form und Farbe nicht von den übrigen Gesteinsformationen der Umgebung unterscheiden. Diese Unterkünfte entstanden dort, wo es auch geeignete Weideflächen für die Tiere gab, die sich vom Teide-Ginster, -Gras, -Margariten, -Veilchen, Geisklee und dem sogenannten Guanchen-Rosenstrauch ernährten.
Aus der mitgeführten Wanderkarte war ersichtlich, dass sich weiter westlich des Pfades eine Wasserentnahmestelle befand, von der aus das lebensnotwendige Nass mittels einer von Geröll abgedeckten Rohrleitung einst zum Sanatorium geführt wurde.
Hier oben in dem weiten Rund des Kessels gibt es also Wasservorkommen, die gerade für die Hirten der Urbewohner für das Leben unentbehrlich waren. Doch wie kamen diese an das unterirdische Reservoir heran, das gespeist wird vom Regen- und Schmelzwasser? Die Antwort auf diese Frage fanden der Forscher und sein Begleiter in drei kaum auszumachenden Eingängen zu einem Höhlen- bzw. Tunnelsystem nicht weit entfernt von der zur Zeit stillgelegten Pumpstation.
In deren unmittelbarer Nähe erkannten die beiden zunächst einige Mauerreste von Hütten, doch bald darauf wurden es weitere. Schließlich waren es etwa 15 einstige Behausungen, einer Siedlung gleichkommend, die sich in einem Rund von 150 Metern befand.
Im Innern einiger dieser ca. 3,5 m langen und 1,7 – 2,5 m breiten Bauten liegen stark verwitterte, dicke Retama-Äste (Ginster) die vermuten lassen, dass diese als Dachabdeckung gedient hatten. Es ist das einzige geeignete Material hierfür weit und breit, da Kiefern in Form von Krüppelbäumen in dieser Höhe von rund 2.000 Metern nur bis zum Eingang der weiten Ebene des Cañada-Kessels wachsen.
Etwa in der Mitte der einstigen Wohnanlage, erheben sich drei zum Teil eingefallene Steinkonstruktionen in Hufeisenform mit einem Durchmesser von 60 – 70 cm, die den Hirten vermutlich als Grillstätte gedient hatten. Dies ist deshalb anzunehmen, weil den Menschen hier in der Bergwelt als Nahrung nichts anderes als das Fleisch ihrer Tiere zur Verfügung stand.
Die heute überall auf den Inseln anzutreffenden Kaninchen, wurden erst von den spanischen Eroberern bzw. den nachfolgenden Siedlern zu Jagdzwecken eingeführt und ausgesetzt.
Immer wieder werden in den Cañadas neue archäologische Funde von Relikten aus der Guanchenzeit gemacht. So zuletzt im Oktober 2009, wo einem deutschen Ehepaar auf seiner Wanderung ein unversehrtes Tongefäß auffiel. Wie auch Manfred Jantzon, meldeten sie ihre Entdeckung unverzüglich den für das Kulturerbe zuständigen Behörden (z.B. dem Museum).
Ein Beitrag von Manfred Jantzon
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