» Teneriffas Wüste lebt «


Die Kanarischen Inseln liegen auf der Höhe der Sahara vor der afrikanischen Küste. Auf Lanzarote und Fuerteventura, den beiden ältesten und niedrigsten dieser Inseln, ist die Nachbarschaft klimatisch gut spürbar. Es regnet dort weniger und ist im Durchschnitt etwas heißer. Die übrigen Inseln sind hoch genug, um während des gesamten Jahres die Passatwolken zu „melken“, was dazu führt, dass dort auch dann Niederschläge, der sogenannte horizontale oder versteckte Regen, zu verzeichnen sind, wenn es nicht regnet. Parallel dazu sorgen die meistens stetigen Winde des Nordostpassats auf den Inseln für angenehme, frühlingsähnliche Temperaturen. Während die vergleichbaren Winde über dem afrikanischen Kontinent aufgeheizt werden und dort das heiße Klima dominieren, kühlen sich die Luftmassen des Nordostpassats über dem Meer ab, bevor sie die Inseln erreichen. Vor allem an deren Nordküsten wirkt sich das aus. Nach Überschreiten der hohen Gebirgskämme erreichen die Winde allerdings die Südküsten etwas trockener und wärmer. Weit genug im Süden ist dann Schluss mit Frühling; Halbwüs­ten prägen die Landschaft. Und dann beginnt die Wüste.

„Viel Steine gab´s und wenig Brot …“. Eine Wüste stellen wir uns gern als  unendliche Weiten voller Sanddünen vor, wo nichts wächst. Da jedoch nach seltenen Regenfällen auch dort sehr schnell Pflanzen wachsen, die Landschaft grün färben und dann wieder vergehen, greift diese Vorstellung zu kurz. Vor allem in den Subtropen definiert man daher als „Wüste“ die Gebiete mit sehr geringem Niederschlag. Wo weniger als 200 mm Regen im Jahr die Regel sind, herrscht Wüstenklima. In Teneriffas Süden trifft das auf eine ganze Reihe küstennaher Regionen zu. Das Malpaís de Rasca im äußersten Süden der Insel bekommt im langjährigen Jahresmittel knapp 100 mm Niederschläge und ist damit die trockenste Gegend der Insel. Unzweifelhaft: Hier ist eine Wüs­te.

La Rasca grenzt unmittelbar an die Siedlung Palm-Mar. In der Calle Cernicalo finden wir ausreichend Parkplätze und jenseits der Straße im unbebauten Gebiet beginnen die Wege. Der Küs­tenweg bis zum Faro de Rasca ist am abwechslungsreichsten und bietet keine Schwierigkeiten. Wer Badesachen mitnimmt, kann sich unterwegs an verschiedenen Stellen in kleinen Buchten im Meer erfrischen. Da fast ständig der Wind weht, kann man hier auch an heißen Sommertagen einigermaßen angenehm wandern. Familiengeeignet ist die Route sowieso, und mit etwas Glück kann man hier auch vom Land aus Wale nahe der Küste beobachten. In diesem Jahr jagt hier auch ein Fischadler, der seine Brut in einem Horst in den Klippen der Steilküste jenseits von Palm-Mar versorgt.

Entlang des Weges begegnen wir den Resten einfacher Steinbehausungen. Gerade, gut geschichtete Trockenmauern sind ein Hinweis darauf, dass sie jüngeren Datums sind. Solange es halbnomadische Ziegenhirten gab (bis in die 1950er-Jahre), wurde das Gebiet als Winterweide genutzt. Mit fortschreitender Jahreszeit wanderten Hirten und Herden dem sprießenden Grün hinterher, bis sie schließlich in den Cañadas die Sommerweiden erreichten, um dann im Herbst wieder zur Küs­te abzusteigen. So war es während 2000 Jahren Brauch; schon die Guanchen lebten hier so, und die Eroberer und Neusiedler taten es ihnen gleich. Einige der Hüttenreste stammen ihrer gröberen Bauweise entsprechend aus vorspanischer Zeit. Concheros, Abfallhaufen aus Schneckenschalen, weisen darauf hin, dass die Hirten vor und nach der Eroberung der Insel im Winter zu erheblichen Teilen von Meeresfrüchten lebten. Sie versorgten sich dadurch mit wichtigen Eiweißen, ohne auf ihre Milcherzeugnisse oder gar das Fleisch ihrer Tiere angewiesen zu sein, und bekamen auch wichtige Mineralstoffe. Zwischen den Schalenabfällen finden sich ab und zu Keramikscherben. Sie mitzunehmen, ist überall auf den Inseln verboten. Betrachten ist aber erlaubt. Manche sind aus feinerem, andere aus sanddurchsetztem Ton, je nachdem, welches Material die Handwerker in der Umgebung zur Herstellung des Tons gefunden hatten. Ohne Glasur handelt es sich meistens um Keramik der Guanchen. Glasurtechnik brachten die Eroberer mit. Solche Scherben zeigen, dass diese Wohnplätze auch nach der Eroberung genutzt worden sind.

Der größte Teil von La Rasca ist Buschland, wo Süße Wolfsmilch (Tabaiba dulce) und Kanaren-Wolfsmilch (Cardón) dominieren. Cardón erkennt man an seiner kaktusähnlichen Säulenform. Die süße Tabaiba ist ein niedriger, rundlicher Strauch mit dicken Ästen und einer rötlich-grauen Rinde. So weit das Auge reicht, sieht man fast nur diese Pflanze. Erst in der Nähe finden wir dazwischen vereinzelte Strauch-Dornlattiche (Aúlaga), die man gut an ihrem Zickzack-Wuchs erkennt, der sie etwas sperrig macht und wohl einen gewissen Fraßschutz darstellt. Ziegen lassen sich davon aber nicht beeindrucken. Hier und da wachsen auch Kleinias (Verode), die von Laien leicht mit den Tabaibas verwechselt werden. Im Gegensatz zur Tabaiba ist aber die Rinde des Verode mit zahlreichen dunklen Punkten übersät. Fadenförmige grüne Blätter besitzen die Plocamas. Sie sind während des ganzen Jahres grün; denn ihre Wurzeln wachsen durch Spalten und Risse 4 – 5 m tief in den felsigen Boden bis zum Grundwasser. Sie alle sind Trockenheitsspezialisten.

Nah am Wasser wachsen Pflanzenarten, die von der feuchten Salzluft profitieren oder zumindest nicht geschädigt werden. Der Kammförmige Strandflieder mit seinen zahlreichen kleinen bläulichen Blüten kann überschüssiges Meersalz durch Drüsen in seinen Blättern wieder ausscheiden. Man sieht sie als kleine helle Punkte. Die Nymphendolde (Lechuga de mar) ist auch solch ein Spezialist. Sie ist reich an Vitamin C und soll früher von skorbutkranken Seeleuten als Heilmittel benutzt worden sein. Wer es mag, kann davon etwas in seinen Salat schneiden. Ich mag es nicht.

Mit den Winterregen wird die Rasca schnell grün. Vor allem die Pflanzen, die neue Blätter bilden wie Verode und Tabaiba müssen sich dann beeilen, um Blüten, Samen und neue Nährstoffe zum Wachstum zu bilden; denn schon bald vertrocknet der Boden wieder in dem Land ohne Schatten. Sie müssen dann ihr Laub abwerfen, um zu überleben, und gehen in die Sommerpause. Ganz analog zur Winterpause der Pflanzen in Deutschland.

Michael von Levetzow
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