Mehr als 700 Bürgermeister verweigern der Regierung und der Justiz den Gehorsam
Barcelona – Die Regionalregierung will am 1. Oktober ein Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens vom spanischen Staat abhalten. Und je näher dieser Termin heranrückt, umso mehr überschlagen sich die Meinungen und die Meldungen über das Für und Wider dieser Volksabstimmung. Es handelt sich dabei um das wichtigste Versprechen, welches die nationalistisch gefärbten Parteien „Junts pel Si“ und CUP bei den Regionalwahlen von 2015 gegeben hatten und die bei diesen Wahlen als Sieger hervorgegangen sind.
Die Regierung von Mariano Rajoy lehnt diese katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen ab, weil sie der Meinung ist, dass die spanische Verfassung keinerlei Abstimmungen über die Abspaltung einer autonomen Region zulasse. Die Unabhängigkeitsverfechter dagegen berufen sich auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Die Bevölkerung Katalonien jedoch ist in dieser Frage tief gespalten.
Im Juni war eine entsprechende Abstimmung öffentlich angekündigt worden, und am 6. September verabschiedete das katalanische Parlament das betreffende Gesetz. Die Regierung Kataloniens ist entschlossen, das Referendum auch gegen den Willen der spanischen Regierung durchzuführen. Spricht sich eine Mehrheit der Teilnehmer an der Volksbefragung für die Unabhängigkeit aus, hat die Regierung von Katalonien angekündigt, in einem Zeitraum von 48 Stunden die Sezession von Spanien und damit ihre Unabhängigkeit auszurufen.
Die dafür geltenden gesetzlichen Bestimmungen wurden am 7. September im sogenannten „Llei de Transitorietat“ dem Gesetz für den Übergang in die Unabhängigkeit vom katalanischen Parlament verabschiedet. Die Gesetze über die Abstimmung bzw. den Übergang zur Unabhängigkeit wurden auf Antrag der spanischen Regierung vom Obersten Gerichtshof und dem Verfassungsgericht für ungültig erklärt.
Aufforderung zum Dialog
Die Führer der Unabhängigkeitsbewegung, die Bürgermeisterin von Barcelona und die Parlamentspräsidentin haben in Briefen an Mariano Rajoy und König Felipe einen Pakt verlangt, um das Referendum am 1. Oktober möglich zu machen. Parlamentspräsident Carles Puigdemont, sein Vizepräsident Oriol Junqueras sowie Bürgermeisterin Ada Colau fordern einen offenen Dialog ohne Bedingungen, um zu ermöglichen, dass es in der Demokratie kein Problem und noch weniger ein Delikt sein darf, auf die Stimme des Volkes zu hören.
Nicht zum Äußersten zwingen
Nur einen Tag nachdem offiziell die Kampagne für die Volksbefragung begonnen hat, verschärfte Präsident Rajoy nicht nur seinen Ton, sondern auch die Maßnahmen gegen die aufmüpfigen Katalanen. „Ein Präsident kann derartige Pläne nicht akzeptieren. Sie werden uns noch zu etwas zwingen, das wir gar nicht wollen“, sagte er wörtlich, erklärte jedoch nicht näher, welche Maßnahmen er noch zu ergreifen gedenke.
Bislang werden sämtliche Konten der Regionalregierung überprüft, um zu verhindern, dass Kosten für das Referendum aus der Staatskasse gezahlt werden. Banken sind gehalten, entsprechende Überweisungen zu melden.
Wer sich als Staatsdiener an den Vorbereitungen für die Abstimmung beteiligt, kann wegen Ungehorsams, Amtsmissbrauchs und Veruntreuung öffentlicher Gelder belangt und verurteilt werden. Das trifft auch auf die 948 katalanischen Bürgermeister zu, die Lokale für die Abstimmung zur Verfügung stellen oder diese anderweitig unterstützen.
Ob die Zentralregierung das Referendum tatsächlich noch stoppen kann, wird immer fraglicher, denn die Spannungen nehmen weiter zu. Am 16. September haben sich mehr als 700 Bürgermeister in Barcelona versammelt, die trotz des Verbots die Abstimmung durchführen wollen. Der katalanische Regierungschef Carles Puigdemont empfing sie vor dem Regierungspalast. Sie schwenkten ihre Amtsstäbe und riefen „Unabhängigkeit“ und „wir werden abstimmen“. Das wartende Publikum unterstützte sie mit dem Zuruf: „Wir stehen hinter euch“.
Die spanische Generalstaatsanwaltschaft hatte erst vor einigen Tagen die katalanischen Staatsanwälte angewiesen, Bürgermeister, die sich an der Organisation der illegalen Abstimmung beteiligen wollen, vorzuladen. Wenn sie dieser Aufforderung nicht nachkommen, könnten sie verhaftet werden. „Wir sind keine Verbrecher“, erklärten viele von ihnen und versicherten, nach wie vor ruhig zu schlafen.
Angesichts der zunehmenden Polarisierung der Debatte lehnen es viele Katalanen ab, überhaupt noch Stellung zu beziehen, weil sie Angriffe von der einen oder der anderen Seite fürchten.
„Unterschätzen Sie nicht die Kraft der spanischen Demokratie“ hatte Rajoy den Regionalpräsidenten gewarnt – „unser Rechtsstaat funktioniert“. „Unterschätzen Sie nicht die Kraft des katalanischen Volkes“, hatte Carles Puigdemont ihm geantwortet.
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