Verloren im Atlantik

Die einzige Überlebende aus einem Schlauchboot, in dem sie mit anderen 39 Insassen unterwegs war, wurde mit dem Hubschrauber in das Krankenhaus gebracht. Foto: efe

Die einzige Überlebende aus einem Schlauchboot, in dem sie mit anderen 39 Insassen unterwegs war, wurde mit dem Hubschrauber in das Krankenhaus gebracht. Foto: efe

Regelmäßig treiben Migranten in Booten mit ausgefallenem Motor abseits der Kanarenroute einem langsamen qualvollen Tod entgegen

Kanarische Inseln – Szenen, die man früher nur vereinzelt aus Seefahrerromanen kannte: Schiffbrüchige, auf hoher See in offenen Booten treibend, von der Sonne verbrannt, in nächtlicher Kälte zitternd, während sie hilflos dabei zusehen müssen, wie der Wasservorrat dahinschrumpft und einer der Leidensgenossen nach dem anderen verdurstet oder Salzwasser trinkt und sich verzweifelt im Wahn über Bord stürzt.

Solche Szenen spielen sich zurzeit mehrfach täglich auf dem Atlantik ab, oft ohne dass das Drama überhaupt bemerkt wird. Am Ende der Agonie gehen diese Pateras, wie die kleinen Boote genannt werden, meist mitten im Nirgendwo, mit den Strömungen auf dem Weg in die Karibik, unter, verschwinden ohne dass man weiß, wo sie geblieben sind und welches Schicksal die Passagiere dieser Nussschalen ereilt hat.

Dass zwei dieser prekären offenen Boote mit ihrer Fracht toter, verwesender Menschen in diesem Jahr sogar die unwahrscheinliche Fahrt zu den Karibikinseln Trinidad und Tobago sowie Turks & Caicos geschafft haben, lässt erahnen, wie sehr diese Tragödien heute, auf dem Höhepunkt der Migrationsbewegung von Afrika zu den Kanaren, geradezu zur Normalität geworden sind.

Drei dieser Fälle, bei denen zumindest einige der Passagiere noch gerettet werden konnten, haben sich erst Mitte August wieder vor den afrikanischen und kanarischen Küsten ereignet.

Am 20. August erreichte ein Boot mit 57 Migranten, darunter mehrere Frauen und Kinder, den Strand von Los Cristianos auf Teneriffa. Foto: EFE

Am 28. Juli stach eine Patera mit 46 Personen aus Ländern der Sahelzone und dem arabischen Raum von Dakhla in Westsahara aus in See. Sie kam vom Kurs ab und trieb mit den Strömungen in die entgegengesetzte Richtung. Zwölf Tage später wurde das Boot 640 Kilometer südlich von Gran Canaria von einem Frachter gesichtet, der die Seenotrettung verständigte. Angesichts der großen Entfernung forderte diese den Massengutfrachter „Ever Grace“, der sich in der Nähe befand, dazu auf, den Überlebenden Hilfe zu leisten, bis die Rettungskräfte eintreffen würden.

Trotz der rauen See und einer Bordwandhöhe von rund 15 Metern musste die Besatzung der „Ever Grace“ versuchen, die Insassen der Patera heraufzuholen. Ein anderes Schiff, die „Fortaleza Knutsen“, unterstützte die Operation, indem es das Boot, so gut es ging, von dem hohen Wellengang abschirmte. Zu diesem Zeitpunkt waren schon neun der 47 Passagiere gestorben und ins Meer geworfen worden. Die verbleibenden 38 waren so geschwächt, dass vier von ihnen die Bergung nicht durchhielten und ins Meer stürzten. 34 schafften es auf die „Ever Grace“, doch eine Frau verstarb, kurz bevor der Rettungshubschrauber eintraf. Drei Personen in lebensbedrohlichem Zustand wurden ausgeflogen, die verbliebenen dreißig Überlebenden, darunter eine Schwangere und acht weitere Frauen, setzte die „Ever Grace“ einige Tage später auf Gran Canaria an Land. Insgesamt starben dreizehn Menschen bei dieser Odyssee.

Die Organisation Caminando Fronteras berichtet von einem weiteren Unglück, bei dem vor der Küste von Tarfaya im Süden Marokkos mindestens 18 Migranten ums Leben kamen. Ein mit 58 Personen besetztes Boot, das vergeblich versucht hatte, zu den Kanaren überzusetzen, war mit defektem Motor rauer See ausgesetzt. Die Wogen spülten immer wieder Insassen ins Wasser. Auch ein dreijähriges Kind soll aus den Armen seiner Mutter gerissen worden sein. Die marokkanische Gendarmerie soll die Überlebenden verhaftet haben.

Am 2. August begann eine weitere Tragödie, als 54 Personen aus Mali, Senegal, Elfenbeinküste, Mauretanien und Guinea in einem Schlauchboot von Tarfaya aus die gefährliche Überfahrt antraten. 47 von ihnen sollten die Fahrt nicht überleben. Zwei Tage nach der Abfahrt fiel der Motor aus, das Boot trieb führerlos mit den Strömungen. Wenige Tage später waren die letzten Vorräte an Wasser und Essen bereits verbraucht. Sie trafen auf einige Fischer, doch diese wagten aus unbekannten Gründen nicht, ihre Sichtung den Behörden zu melden, gaben den Migranten aber etwas Wasser. Die zwei oder drei Flaschen für über fünfzig Menschen konnten das Unglück nicht aufhalten, und das Sterben begann. Zuerst die Kinder, dann die Frauen, wie die Überlebenden berichten. Nur sieben von ihnen konnten nach zweiwöchiger Irrfahrt 42 Kilometer südlich von Nouadhibou im Norden Mauretaniens durch die dortige Küstenwache gerettet werden.

Großes Glück hatten die Insassen dieser Patera, die am 13. August den Norden von Lanzarote erreichte. Beamte signalisieren den Migranten aus dem Maghreb, zu warten, bis das Schiff der Seenotrettung eintrifft, um sie aufzunehmen. Foto: EFE/Consorcio de Emergencias de Lanzarote
Großes Glück hatten die Insassen dieser Patera, die am 13. August den Norden von Lanzarote erreichte. Beamte signalisieren den Migranten aus dem Maghreb, zu warten, bis das Schiff der Seenotrettung eintrifft, um sie aufzunehmen. Foto: EFE/Consorcio de Emergencias de Lanzarote

Eine einzige Überlebende aus einem sinkenden Schlauchboot gerettet

Wie viele Boote in den Tiefen des Atlantiks verschwinden, lässt sich wohl nur erahnen. Am 20. August erschütterte die Nachricht von einem sinkenden Schlauchboot, auf dem nur noch eine Überlebende lag, die Kanaren. Ein Öltanker hatte das sinkende Gummiboot gesichtet und blieb so lange in dessen Nähe, bis der Rettungshubschrauber eintraf. Die völlig geschwächte und lebensbedrohlich dehydrierte Überlebende, eine Frau um die 30, lag im Boot neben zwei Toten. Während des Transports in das Krankenhaus auf Gran Canaria erzählte sie ihren Rettern, dass mit ihr 52 Personen in dem Boot unterwegs waren, die nach und nach gestorben seien.

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