Barranco de Masca – mal anders
Vor unseren Augen findet ein Drama statt, heimlich, aber unerbittlich. Rabo de Gato (Pennisetum setaceum), eine als Ziergras eingeschleppte Grasart, breitet sich in den unteren Zonen Teneriffas aus und verdrängt nach und nach die weltweit einmaligen, für die Insel charakteristischen Pflanzen. Auch auf den anderen Inseln ist sie auf breiter Front im Vormarsch. Auf Gran Canaria ist das Borstige Federborstengras, im Volksmund wegen seiner an einen Katzenschwanz erinnernden buschigen Ährenrispen auch „Katzengras“ genannt, schon auf einigen großen ehemals artenreichen Berghängen die nahezu einzige vorhandene Pflanzenart. Das Landschaftsbild wird eintönig und langweilig. Neben dem besonderen Klima ist die Biodiversität in den besonderen Landschaften das wichtigste Kapital der Inseln – nicht nur, aber besonders auch für den Tourismus. Im Barranco de Masca versuchen die Freiwilligen der Asociación Abeque mit Unterstützung durch das Ayuntamiento de Buenavista, das Vordringen aufzuhalten. Auch in anderen Barrancos des Teno-Gebirges, das besonders viele Lokalendemiten beherbergt, ist die Gruppe immer wieder aktiv. Als Lokalendemiten bezeichnet man Organismen, die es weltweit nur an diesem Ort gibt.
Samstagmorgen, Buenavista wirkt noch ziemlich verschlafen. Vor dem Ayuntamiento bereiten sich die Helfer von Abeque auf den heutigen Einsatz im Barranco de Masca vor. Für die meisten ist es nicht der erste. Unter den Anfängern befinde auch ich mich. Der größte Teil der schließlich 29 Personen umfassenden Gruppe kommt mit langen Lanzas, den kanarischen Bergstangen, die man für den Salto del Pastor braucht. Kein Wunder: Die meisten von ihnen haben in der Gruppe Tagoror Chiregua, die im Orotava-Tal zu Hause ist, diese kunstvolle Art der Fortbewegung im steilen Gelände gelernt. Vor Ort wird sich sehr bald zeigen, wie gut angepasst an die steilen Barrancowände diese Technik ist. Außerdem kann man eine Lanza sehr wirkungsvoll als Hebel benutzen, wenn eine Graspflanze sich nicht aus dem Boden ziehen lässt.
Aber noch sind wir in der Vorbereitung. Jeder bekommt eine kleine Hacke und eine Plastiktüte, die wiederum in einen stabilen Sack gesteckt wird. In der Tüte sollen die Ähren der Graspflanzen gesammelt werden, bevor die Pflanze selbst gerodet wird. Solch eine Ähre hat Hunderte von Samen. Jede Pflanze kann also Tausende Nachkommen erzeugen – nicht nur in ihrer Umgebung; denn die leichten federigen Samen fliegen mit dem Wind kilometerweit. Deswegen müssen als Erstes die Ähren entfernt und in der Tüte gesammelt werden, damit man beim anschließenden Roden nicht die Samen verstreut und so ungewollt den Eindringling noch weiter verbreitet. Die verschlossene Tüte kommt in den Schutzsack. Sie darf kein Loch bekommen, durch das unbemerkt Samen ausgestreut werden könnten. Am Ende der Aktion sollen dann alle Ähren gemeinsam der Verbrennung zugeführt werden. Ohne ihre Ähren legt man die ausgerissenen Gräser zum Vertrocknen auf einen Stein.
Ein von der Stadt zur Verfügung gestellter Bus bringt uns und alle Ausrüstung nach Masca. Unterwegs bekommen wir genaue Instruktionen über die einzelnen Arbeitsschritte, vor allem aber auch darüber, wie wir die gesuchte Pflanze von anderen Gräsern, die immer schon hier wuchsen und geschützt bleiben sollten, unterscheiden können. Solange Ähren vorhanden sind, ist das ganz einfach. Kein anderes Gras sieht so aus. Aber die jungen Pflanzen kann man nur identifizieren, wenn man mit den Fingern an den Blättern von der Spitze zur Pflanze streicht. Sie sind so rau und borstig wie ihr deutscher Name. Kein Tier frisst so etwas. Es ist deswegen nicht auszuschließen, dass an einigen Orten die Ziegenweide sogar die Ausbreitung von Pennisetum begünstigt: Während die schmackhaften Pflanzen abgeknabbert werden, bleibt der Neuankömmling unbeschädigt und nimmt den freien Platz ein. In seinen ostafrikanischen Herkunftsgebieten war dieser Fraßschutz vermutlich überlebenswichtig. Auch die deutliche Überproduktion äußerst vitaler Samen war solch eine Anpassung; denn kaum einer von ihnen gelangte dort an einen Platz, an dem er sich zu einer neuen Pflanze entwickeln konnte. Auf den fruchtbaren Böden Teneriffas braucht es jedoch nur noch etwas Feuchtigkeit, und das Verhängnis nimmt seinen Lauf.
Nach dem Gruppenfoto werden kleinere Teams gebildet und bekommen ihre Aufgaben zugewiesen. Als Helfer ohne Lanza werde ich zu den wenigen eingeteilt, die in der Nähe des Weges nach Rabo de Gato suchen, die seit der letzten Begehung Mitte Dezember nachgewachsen oder damals übersehen worden sind. Die Vorgängerteams waren gründlich; wir finden nur wenig. Schließlich erreichen wir unseren eigentlichen Einsatzort. Es geht die steilen Flanken hinauf, und ab und zu bekomme ich Gelegenheit zum Klettern. Es ist ein stetiger Wechsel zwischen festem Fels und lockerem Schutt. Wir bewegen uns sehr konzentriert, sonst würde es schnell gefährlich dort oben. Unten bleiben Wandergruppen stehen, beobachten und fotografieren uns, während wir reichlich zu tun haben. Als wir absteigen, um rechtzeitig das reservierte Boot an der Playa zu erreichen, ist der Hang sauber. In einigen Wochen wird man ihn wieder kontrollieren und gegebenenfalls säubern müssen.
Man kann Pennisetum auf den Inseln nicht mehr ausrotten. Man kann nur der einheimischen Pflanzenwelt Verschnaufpausen verschaffen, damit sie für uns alle erhalten bleibt. Und deswegen braucht die Asociación Abeque auch immer wieder Unterstützer, die zupacken wollen. Als wir mit dem Boot zurückfahren, fragen sie mich: „Wie war’s für dich?“ „Rundum gut.“ „Wirst du wiederkommen?“ „Klar doch“. In der abschließenden Runde in Buenavista schmeckte nicht nur das Bierchen gut.
Michael von Levetzow
Tenerife on Top
mico@tenerife-on-top.de
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