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»Der Patriarch«

Er hat gute Chancen, älter zu sein als der berühmte „Drago Millenario“ aus Icod de los Vinos. Anders als dieser wächst er aber ziemlich verborgen, obwohl er sich nur wenige Gehminuten vom Parkplatz „Minas de San José“ im Cañadas-Nationalpark erhebt. Hier oben auf gut 2300 m Höhe Jahrhunderte lebend zu überdauern, extremen Temperaturwechseln ausgesetzt zu sein, Stürmen zu trotzen, trockene Luft, Wassermangel und hohe UV-Strahlung zu ertragen, verlangt jedem Organismus mehr ab, als die meisten verkraften können. Man sieht dem uralten Zedernwacholder (Juniperus cedrus) auf den ersten Blick den täglichen Überlebenskampf nahe der natürlichen Baumgrenze an. Mit der Mächtigkeit des „Drago Millenario“ und dessen Stammumfang kann er bei Weitem nicht mithalten. Klein und gedrungen steht er da und ist dennoch geradezu ein Ausdruck lebendiger Kraft. Wie er auf seinem verdrehten und gewundenen Stamm, der kaum 3 m Höhe erreicht, zwei schwere, buschige Äste trägt, erinnert er an einen sich erhebenden Riesen mit emporgereckten Armen. Wie beim „Drago Millenario“, dessen unbestimmbares Alter Botaniker auf etwa 500 Jahre schätzen, kennt auch niemand das Alter dieses Methusalems, den man manchmal ehrerbietig „Patriarca del Teide“ nennt. Einige Hundert Jahre steht er gewiss schon dort.

Von der Straße aus kann man ihn nicht sehen. Er wächst in einer flachen Mulde auf dem ersten Rücken der Montaña Rajada, der sich längs der Straße erstreckt. Vom Parkplatz der Minas de San José erreicht man diesen Rücken nach einem kurzen weglosen Aufstieg durch eine flache, mit Bimsgrus und rotbraunen Felsbrocken gefüllte Rinne und geht oben auf einer bequemen Ebene wenige Minuten nordwärts. Wenn man sich nicht weiter von der Straße entfernt und den nächsten Rücken nicht ersteigt, kann man ihn nicht verfehlen. Eigentlich schade, dass die Parkverwaltung hier keinen Weg angelegt hat. Er stünde dem strengen, hier oben geltenden Naturschutz nicht entgegen, brächte aber eine weitere gut erreichbare, für die Insel typische Attraktion einem größeren Publikum nahe. Dies böte sich umso mehr an, als täglich zahlreiche Besucher auf den dortigen Bimsflächen herumspazieren und die Parkverwaltung nicht auf der Einhaltung des eigentlich hier auch geltenden Wegegebots besteht. Zahlreiche Fußspuren führen auf der Hochfläche in seine Richtung und bezeugen Besuche beim Patriarchen. Ein Pfad könnte dies besser steuern.

Mit etwas mehr als 4 m Höhe überwächst er den kleinen Felsen nicht, der ihn nach Westen vor der Witterung schützt und in kalten Nächten mit der tagsüber gespeicherten Wärme ähnlich einem Spalierbaum begünstigt. Höher wachsende Zweige fallen Wind und Kälte zum Opfer. Seltsamerweise ist er nach der anderen Seite von einer knapp 1,5 m hohen Trockenmauer aus sorgfältig behauenen Steinen umgeben. Bei keiner der in dieser Gegend häufig zu findenden Schutzmauern, die in der Vergangenheit die Hirten für sich errichtet hatten, wurden die Steine so behauen. Diese Mauer wurde auch nicht von Hirten aufgeschichtet, sondern im Auftrag des Cabildos, unter dessen Schutz der Patriarch 1944, also zehn Jahre vor der Gründung des Nationalparks, gestellt wurde. Damals waren die Cañadas del Teide noch im Sommer allgemein genutzte Ziegenweide, was im Laufe zweier Jahrtausende zu einer erheblichen Abnahme der dort wachsenden Pflanzen geführt hatte. Gibt es nur wenig Fressbares, nehmen Ziegen und Schafe alles, was sie noch einigermaßen verwerten können. Aber auch Wacholder? 

Diesen Wacholder, den die Canarios „Cedro“ nennen und der hier und auf einigen anderen Inseln endemisch ist, fressen sie schon. Denn im Gegensatz zum in Deutschland wachsenden gemeinen Wacholder sind seine Nadeln sehr weich. Während in Deutschland Weidetiere die Wacholderbüsche mieden und so die typischen Wacholderheiden schufen, gab es auf unseren Inseln bis zur Ankunft der Guanchen und ihres Viehs keine pflanzenfressenden Säugetiere, also auch für langsam wachsende Arten wie den Wacholder keinen Zwang, möglichst 

ungenießbar zu sein. In den daran 

anschließenden 2000 Jahren mit zunehmender Beweidung haben die Cedros sich nicht verändert. 

Ihr Holz war zudem als Baumaterial begehrt. Weniger zum Bau von Häusern und Möbeln, aber zur Herstellung von Zigarrenkisten. Je höher ihr Standort war, desto höher war die Holzqualität. So wundert es nicht, dass der Patriarch allein auf weiter Flur steht. Seine Kollegen wurden schon vor der möglichen Unter-Schutz-Stellung geplündert. 

Da Cedros immer entweder weiblich oder männlich, aber nie wie die meis­­­­ten anderen Pflanzen zweigeschlechtlich sind, kann der Patriarch sich auch nicht mehr fortpflanzen; es fehlt der Partner. Selbst wenn er in der Lage wäre, Samen zu bilden, wäre er auf die Samenverbreitung durch große Vögel angewiesen, die die Samen fressen und anderswo keimfähig ausscheiden. Vor der Gründung des Nationalparks haben vorwiegend Raben diese Aufgabe übernommen. Mit der Gründung des Nationalparks und dem Ende der Weidewirtschaft gibt es dort aber zu selten tote Tiere, die die Raben als Hauptnahrungsquelle nutzen könnten. Ohne menschliche Eingriffe, die eigentlich der Nationalparkidee widersprechen, wird diese Baumart dort aussterben. Dank seiner hervorragenden Anpassung an die harten Lebensbedingungen des kanarischen Hochgebirges, sind die Aussichten aber sehr groß, dass bis dahin noch viel Zeit vergehen wird.

Michael von Levetzow

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