Wandern und Entdecken


Die Frage der Ebene

Vulkanische Inseln sind steil, es sei denn, ihre Vulkane sind schon viele Millionen Jahre erloschen. Durch Erosion werden sie immer flacher, selbst wenn sehr selten einmal kleinere Ausbrüche neue steile Kegel in die Landschaft stellen. Wir können solche flachen, mit einzelnen Vulkanen gesprenkelten Ebenen auf Fuerteventura gut erkennen. Vor mehr als zehn Millionen Jahren war die Insel etwa so steil und so hoch wie Teneriffa und bestimmt wie Letztere nahezu frei von horizontalen Flächen. Auf Teneriffa gibt es nur drei einigermaßen waagerechte Ebenen: 1) die Vega de La Laguna, die sich von der Stadt über das Gebiet der ehemaligen Lagune bis nach Las Mercedes erstreckt, 2) die Zone zwischen der Teide-Basis und den Cañadas-Steilwänden, auch wenn diese teilweise von Lavaströmen zerteilt wurde, und 3) die Ebene zwischen der Cumbre dorsal bei Corral del Niño und dem Volcán de Fasnia, der sich schwarz am Horizont erhebt. Knapp zwei Kilometer dehnt sie sich vor uns aus, wenn wir von dem gleichnamigen Parkplatz zu der Kette aus mehreren nebeneinander aufgereihten Schlackenkegeln hinübersehen. Auf vulkanischen Inseln, die noch nicht das Entwicklungsstadium Fuerteventuras erreicht haben, sind Ebenen so ungewöhnlich, dass man nicht einfach nur über sie hinwegwandern sollte, auch wenn die Wege empfehlenswert leicht sind. Speziell diese Ebene bietet Entdeckern Einiges. Mehr als in diesen Artikel passt.

Damit in einer Gebirgslandschaft eine horizontale Ebene entstehen kann, benötigt es immer eine Art Staumauer, an der sich Fließendes staut. Im Falle der Vega de La Laguna war das Wasser, das den Erosionsschutt aus dem Anaga-Massiv mit sich führte und durch einen riesigen Barranco so lange zum Meer beförderte, bis Vulkane im Gebiet zwischen der heutigen Stadt und La Esperanza emporwuchsen und mit ihrer Lava den Barranco absperrten. Hinter der natürlichen Staumauer entstand ein See und verlandete bis auf einen kleinen Rest: die heute verschwundene Lagune. Zurück blieb eine Schwemmland-Ebene. Ähnlich bei den Cañadas, nur dass nicht Wasser, sondern Lava an der Staumauer der Cañadas-Wände gestaut wurde. Diese waren vor 175.000 Jahren durch eine Großkatastrophe unvorstellbaren Ausmaßes entstanden: Verschiedene Vorgänge ließen den Vorgänger-Vulkan des Pico del Teide unter seinem Gewicht abbrechen und über seine Nordflanke ins Meer stürzen. Verglichen mit dem Mega-Tsunami, den dieser Kollaps auslöste, erscheinen alle historischen Tsunamis klein. Teile seiner Ablagerungen wurden in 173 m Höhe über dem Meer gefunden, wobei damals der Wasserspiegel eiszeitbedingt gut 100 m niedriger lag als heute. Das Ereignis ging mit heftigen vulkanischen Explosionen einher. Ein neuer Vulkan, der Pico del Teide, wuchs aus der Abbruchflanke und ergoss seine Lava über die Umgebung. In Richtung des Meeres konnte sie ungehindert zur Küste abfließen und verfüllte das neue Tal fast vollständig. In der anderen Richtung staute die Abbruchkante des Vorgänger-Vulkans, die heutige Cañadas-Wand, die Lavaströme und ließ die Ebenen entstehen.

Die dritte große Ebene auf Teneriffa liegt im Wortsinne „hinter den Bergen“, erscheint unauffälliger und zeigt keine erkennbare Staumauer. Das könnte uns stutzig machen. Selbstverständlich gab es sie einst; aber diese Talsperre ist randvoll, und ihre Mauerkrone ist längst zur Unkenntlichkeit abgetragen. Auch hier hat einst ein riesiger Flankenkollaps stattgefunden, mehr als 300.000 Jahre vor dem der Cañadas del Teide. Er schuf das Orotava-Tal, nicht in seiner heutigen Form, sondern wesentlich tiefer. Anschließend wuchsen innerhalb des Tals Vulkane aus der Talflanke, die meisten weit oben, aber nur selten nahe der Abbruchkante. Besonders groß war ihre Entfernung zur Kante zwischen El Portillo und Izaña. Während das sich nördlich der Vulkane erstreckende Orotava-Tal nur teilweise wieder aufgefüllt wurde und heute als eine der schönsten Tallandschaften der Welt gilt, leisteten die Lavaspeier nach Süden ganze Arbeit. Dort stand die Abbruchkante und staute die Lava. Alles, was von der Staumauer die Ebene überragte, ist der Erosion zum Opfer gefallen. Etwa dort, wo sich die Kegel des Volcán de Fasnia erheben, dürften lange vor dessen Ausbruch Anfang 1705 ihre letzten Reste verschwunden sein.
Vom Corral del Niño führt ein beschilderter Wanderweg parallel zur Straße auf Izaña zu, bis er auf eine Piste trifft. Sie wird größtenteils unser Wanderweg sein, bis jenseits des Vulkans ein ebenfalls beschilderter Weg zum Parkplatz zurückführt. Auch wenn es uns reizen sollte, den Trittspuren auf die Gipfel der Schlackenkegel zu folgen: die Umgebung des Vulkans links der Piste ist Sperrgebiet und darf nicht betreten werden. Gut 300 Jahre nach dem Ausbruch sind die Schlacken selbst und die Hügel noch viel zu instabil, als dass sie das Gewicht eines oder mehrerer Menschen aushielten.
Die dunkle Schlackenkegel-Kette vor uns dominiert die Landschaft, sodass wir leicht eine geologische Besonderheit übersehen könnten, die direkt hinter der ersten großen Linkskurve der Piste am Wegrand wartet. Bei deren Bau war ein Schutthügel angeschnitten worden und zeigt uns sein Inneres: kleine und größere Steine unterschiedlicher Farbe. Eine ehemalige Schuttlawine kann das nicht sein, dazu sind die Kanten der Steine nicht abgestoßen und abgerundet genug. Und woher hätte hier auf dem Dach der Insel eine Steinlawine kommen können? Die alten Kegel der Umgebung reichen dazu nicht aus. Seltsamerweise sind zahlreiche Steine in diesen Trümmern bläulich wie die Felsen von Los Azulejos im Nationalpark. Sie sind aus demselben Material, das aber dort und nicht hier entstanden ist. Wir haben hier einen Zusammenhang mit den ersten Momenten der oben erwähnten Entstehung des Pico del Teide. Geologische Befunde zeigen, dass mit dem Flankenabbruch eine gigantische Seitenexplosion, ein „Blast“, einherging. So bezeichnet man eine seltene, aber verheerende Art von Vulkanausbrüchen, bei denen nicht der Gipfel, sondern die Flanke explodiert und Gesteinsschutt mit einer Geschwindigkeit von 200 km/h und ungeheurer Zerstörungskraft in die Umgebung schießt. Etwa 15 km von ihrem Ursprungsort entfernt finden wir hier Zeugen des Ereignisses.
Michael von Levetzow
Tenerife on Top

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