Wandern und Entdecken

Michael von Levetzow

Michael von Levetzow

Traumlage

Unverbaubarer Blick zum Horizont, verlockende Badebuchten nebenan und kaum Nachbarn – wer möchte das nicht? Bei mehr als 300 km Küstenlänge sollte Teneriffa da einige Auswahl bieten. Dass dem nicht so ist, liegt am Küstenschutzgesetz, das die Bebauung der unmittelbaren Uferzonen fast überall untersagt. Sie sollen auf einer Breite von mindestens 100 m der Allgemeinheit zur Nutzung zur Verfügung stehen, sind in der Regel Schutzgebiete und können bei Bedarf erweitert werden. Ausgenommen sind nur alte, traditionelle Bebauungen. Alle anderen privaten Nutzungsformen müssen aufgegeben und, soweit möglich, rückgebaut werden. Das umfangreiche Gesetzeswerk zum Schutz aller spanischen Küsten wurde schon 1988 vom König erlassen. Seine Umsetzung und Befolgung schuf und schafft bis heute immer wieder Konflikte. Ein positives Beispiel der Auswirkungen, seine Bestimmungen konsequent zu befolgen, ist an der Costa de Sauzal im Norden Teneriffas erlebbar.

Michael von Levetzow
Michael von Levetzow

Es gibt nur zwei offizielle Zugänge zu diesem Naturschutzgebiet: Zu Fuß vom Mirador de la Breña, von dem man auf einem alten, wieder hergerichteten Weg zur Küstenplattform absteigen kann, oder mit dem Auto über eine kleine Serpentinenstraße, die kurz hinter dem Wegweiser „Puntillo del Sol“ nach links abzweigt, wenn man die Siedlung dieses Namens auf dem Weg von der Ausfahrt „La Matanza“ kommend in Richtung El Sauzal passiert. Am Ende dieser Straße wartet für Leute ohne Höhenangst und Schwindel ein kleiner Parkplatz.
Die Costa Sauzal zieht ihre Besucher in ihren Bann und lädt vor allem Anwohner der näheren Umgebung immer wieder aufs Neue ein. Der bis zu 300 m hohen Steilküste ist hier eine kleine Plattform, eine Isla Baja, vorgelagert. Sie erhebt sich zwischen zwanzig und dreißig Metern über dem Meer. Die Wege sind gut gepflastert. Die Gemeinde hat hier ein modernes Wegesystem entstehen lassen, das vom Parkplatz aus in östlicher Richtung sogar teilweise rollstuhlgerecht ist. Bei den etwas steileren Abschnitten wäre den meisten Rollis allerdings die Unterstützung durch einen kräftigen Begleiter zu empfehlen. Denn die kurzen Steigungen sind steil. Der unmittelbare Zugang zum Wasser beschränkt sich auf wenige Stellen. Meistens wird die Plattform durch eine eigene fotogene Steilküste begrenzt. So wandert man zwischen einer aktiven niedrigen Steilküste im Norden, an der sich Land und Meer treffen, und einer fossilen, viel höheren und deutlich älteren Steilküste im Süden, die hier nicht mehr von den Fluten erreicht werden kann. Lavaströme, deren Ursprung nicht mehr feststellbar ist, sind vor Urzeiten durch die Barrancos dieser alten Küste herabgeflossen, haben das Wasser von ihren Füßen verdrängt und neues Land, die heutige Küstenplattform, gewonnen. Ursprünglich ragte sie noch weiter in den Ozean hinein, aber das Wasser holt sich sein Gebiet zurück und wird in ferner Zukunft wahrscheinlich die alte Küste wieder erreichen und reaktivieren.

Zwischen den Buchten ragen dunkle Lavazungen ins Meer und zeigen Schichten aus Basaltsäulen. Sie entstanden, weil die flüssige Lava im Inneren der Ströme relativ rasch abgekühlt ist, und sind deshalb unregelmäßig breit und einigermaßen dick. Ober- und Unterseiten der Säulenfluchten erscheinen ziemlich grob. Das waren die teilverfestigten und immer wieder zerbrochenen Außenflächen der Lavaströme, die sich wie die Gleisketten um den flüssigen Kern bewegten, während die Lava floss. Vor allem landseitig unterbrechen gelegentlich dicke helle Schichten die Abfolge der dunklen Basaltbänder. Diese Laven erinnern daran, dass der Zentralteil Teneriffas etwa zwei Millionen Jahre lang immer wieder von verheerenden explosiven Eruptionen heimgesucht wurde, bei denen Glutwolken aus flüssigen Lavatropfen Dutzende von Kilometern in die Atmosphäre geschleudert wurden und sich anschließend, wenn die Wolke in sich zusammenstürzte, als dicke, alles Leben auslöschende Schicht ablagerten. Das daraus entstandene Gestein, Ignimbrit genannt, ist weicher als Basalt und leicht zu bearbeiten. Die explosive Phase unserer Insel endete vor etwa 200.000 Jahren.

Michael von Levetzow
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An einigen Stellen sind die Ignimbritschichten mehr als drei Meter dick und leicht erreichbar. Dort fallen zahlreiche, einigermaßen rechteckige Öffnungen auf, die erkennbar auf menschliche Aktivitäten zurückgehen. Es handelt sich um die Überbleibsel von Höhlenhäusern, die hier bis vor fünfzehn Jahren bewohnt wurden. Vermutlich hatten anfangs bei der „El Puertito“ genannten Bucht Fischer auf diese Weise Bootsschuppen und andere Aufenthaltsräume gebaut. Die Bucht ist leicht an ihrer ins Wasser führenden Rampe erkennbar. Den Fischern folgten immer mehr andere, vor allem Familien aus La Matanza, die die Sommerzeit gerne am Meer verbringen wollten. Die Entwicklung verlief ungeordnet und illegal und ließ ein komplexes Durcheinander von Bauten entstehen. Einen ungefähren Eindruck davon kann man bei einem Besuch der etwas weiter westlich gelegenen Siedlung El Caletón gewinnen. Die zuständigen Behörden drangen auf Beendigung des unhaltbaren Zustandes, der der öffentlichen Nutzung dieses Küstenstreifens entgegenstand und ließen im Oktober 2006 die Bagger anrollen. Die machten ganze Arbeit. Nur selten können wir kleine Reste der einstigen Gebäude zwischen den dunklen Klippen entdecken. In den Ignimbrit gegrabene Höhlen unmittelbar am Wegrand wurden verschlossen. Die etwas entfernteren blieben offen und bilden heute einen etwas rätselhaften Blickfang. Man sollte sie nicht betreten; denn die Flächen zwischen Höhlen und Wegen sind Rekultivierungszonen, in denen die ortstypische Pflanzwelt wieder eine Chance haben soll.
Bis vor wenigen Jahren erklärten Informationstafeln diese Vergangenheit. Sie sind inzwischen verwittert und unlesbar. Eine von ihnen veranschaulichte auf einem hier wiedergegebenen Foto das ehemalige Bild des Ortes. Daneben zeigen wir die heutige Ansicht des gleichen Platzes und weiterhin einen erhaltenen Höhlenkomplex. Die Lage war traumhaft.
Michael von Levetzow
Tenerife on Top

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