Gedanken für mich – Augenblicke für Gott
„Genügt es nicht, wenn wir einfach zu Gott als Vater beten oder zu Jesus? Warum muss es auch noch der Heilige Geist sein?“, so fragen heute nicht wenige, die sich mit dem christlichen Glauben auseinandersetzen.
Und ich habe dabei den Eindruck, dass wir mit dem Heiligen Geist häufig weniger anzufangen wissen, als eben mit Gott dem Vater oder mit Jesus Christus. Wenn wir von Gott als Vater oder Mutter reden, dann können wir uns darunter – auch aufgrund eigener Elternerfahrungen – etwas vorstellen. An Jesus erinnern wir uns durch das Kreuz, das doch noch vielfach in unseren Häusern und Wohnungen zu finden ist. Aber welches Zeichen oder welche Erinnerungsmöglichkeiten gibt es für uns in Bezug auf den Heiligen Geist?
Da fällt mir eine Begebenheit ein, die ich über die Navajo-Indianer gelesen habe. Wenn diese einen Teppich herstellen, dann weben sie in einer Ecke ganz bewusst einen kleinen Webfehler ein. Den betrachten sie dann als die Stelle, an der der Geist in den Teppich hinein- und wieder aus ihm herausgeht. Dort also, wo das exakte Muster unterbrochen wird, bekommt der Geist eine Chance.
„Der hat einen Webfehler“, kann man bei uns von einem Menschen sagen, den man für verrückt hält. An Pfingsten – als der Geist Jesu, der Heilige Geist, einen Zugang zu den Aposteln fand und sie begeistert das Evangelium von Jesus Christus verkündeten – da sagten die anderen: „Die haben einen Webfehler! Die sind nicht ganz bei Verstand! Sind verrückt oder betrunken!“ Man könnte also durchaus sagen, dass die Geschichte der Kirche mit einem Webfehler beginnt. Am Anfang stand da nämlich keine „konstituierende Mitgliederversammlung.., bei der sich die Jünger…unter der Leitung von Petrus auf eine für alle Völker und alle Zeit unverändert gültige Verfassung geeinigt hätten“, wie es die Theologin Eleonore Beck mal formuliert hat. Am Anfang steht eben nicht das exakte Muster – also Grundsätze, die man bewahren und vor jeder Veränderung schützen muss –, sondern ein Webfehler: Das Hereinbrechen des Heiligen Geistes in das Haus und in die Menschen, die im Vertrauen auf Jesus dort waren: Ängstliche bekommen Mut, Zögernde geraten in Bewegung und Unsichere werden zu Zeuginnen und Zeugen.
Und wenn wir dann in die Geschichte dieser Kirche schauen, dann waren es doch immer wieder solche Menschen mit kleinen Webfehlern, begeisterte und begeisternde Christen, die der Kirche zu einem neuen Aufbruch, zu einem neuen Pfingsten verholfen haben. Denken wir nur an den Namenspatron des jetzigen Papstes, den Hl. Franz von Assisi, dem Kinder auf der Straße „Idiot“ und „Spinner“ nachgerufen haben, und der selbst einmal geäußert hat: „Der Herr sagte mir, er wolle, dass ich ein frischgebackener Narr in der Welt sei…“ Er durchbricht das Muster einer reichen und machtgierigen Kirche und versucht mit einer sanften Revolte, sie wieder auf den Boden des Evangeliums zurückzuführen – diesbezüglich geht der jetzige Papst ganz in den Fußstapfen seines Namenspatrons. Oder denken wir an den humorvollen und so liebenswerten Johannes XXIII., über dessen Alter und Leibesfülle sich viele in Rom lustig machten. In Momenten plötzlicher Eingebung ignorierte er steife Formen, und in einem solchen Moment hat er auch das II. Vatikanische Konzil angekündigt, das er selbst als ein neues Pfingstfest verstand. Auf die Frage, was er sich denn von diesem Konzil erhoffe, soll er das Fenster seines Arbeitszimmers weit geöffnet und gesagt haben: „Dass es frische Luft hereinlässt!“ Und wie beim ersten Pfingstfest wurden damals viele ängstliche Bischöfe und Kardinäle ganz neu mitgerissen, hielt ein neuer Geist der Geschwisterlichkeit Einzug in die alten und verkrusteten Strukturen.
Mein Pfingstwunsch an unsere Kirche heißt: Sie soll sich von der Webkunst der Najavos inspirieren lassen. Sie soll kleine Webfehler zulassen, quasi als Türen für den Heiligen Geist. Denn wenn unsere Sprache nur in bloßen Formeln erstarrt, dann wird sie geistlos, macht nicht mehr neugierig und lässt Menschen auch nicht mehr aufhorchen. Wenn nur an alten Mustern weitergewoben wird, dann werden auch ihre Strukturen geistlos und wirken eingefahren; dann geht die Offenheit für Neues und Überraschendes verloren. Lassen wir Webfehler in der Kirche zu, damit sie aufblühen und neu gedeihen kann.
Nun sind wir ja aber alle Kirche – Sie und ich – und genau deshalb heißt mein Wunsch an diesem Pfingstfest für Sie und für mich:
Machen wir’s wie die Navajos – und erlauben auch wir uns einen Webfehler im oft so eintönigen Muster unseres Alltags. Gönnen wir uns kleine „Aus-zeiten“ für Stille und Gebet, für etwas, was uns begeistert und erfüllt!
Machen wir’s wie die Navajos – und erlauben wir uns einen Webfehler in unserem oft so festgefahrenen Umgang mit anderen Menschen. Durchbrechen wir das geistlose Verhaltensmuster, immer mehr haben und immer besser sein zu wollen. Machen wir uns selbst die Freude, unsere Talente für andere einzusetzen.
Und wenn jetzt noch jemand unserer Zeitgenossen behauptet, wir hätten doch alle einen Webfehler, dann können wir lächelnd zurückgeben: „Ja, hoffentlich!“ oder „Gott-sei-Dank!“
Frohe Pfingsten!
Herzlichst Ihr
Bertram Bolz, Diakon
Kath. Touristen- und
Residentenseelsorger
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