Weihnachten – niemand ist ausgeschlossen!


Gedanken für mich – Augenblicke für Gott

„Stille Nacht, heilige Nacht“ – wir alle kennen dieses Lied, welches für viele von uns emotional zum Heilig Abend genauso dazu gehört wie der Christbaum oder die Krippe. Für viele oft unverständlich, dass es in der Kirche nur am Heiligabend gesungen wird und nicht in der ganzen Weihnachtszeit.

Und warum empfinden wir das so? Weil es unsere Stimmung so gut zum Ausdruck bringt? Weil es unsere Emotionen am Besten erfasst? Ich glaube, niemand kann sich dem Zauber dieses Liedes entziehen – wobei ich mich frage: Liegt es an der Melodie oder mehr an dem Text, den wir da miteinander singen?

Über die Melodie kann ich nicht viel sagen, aber über den Text kann ich meditieren. Da ist die Rede von „Stille“, von „Rettung“ – dabei gibt es genügend Menschen, die genau das in diesen Tagen kaum erleben. Wie kann z.B. jemand Weihnachten feiern, dessen Partner/in in diesem Jahr verstorben ist? Wie kann eine junge Frau glücklich sein, deren Ehe zerbrochen ist und die noch vor kurzem die Vertrautheit mit ihrem Mann erleben konnte? Wie kann der Jugendliche Weihnachten feiern, der gegenüber dem Elternhaus voller Aufbegehren ist und eigentlich überall hinmöchte – nur nicht nach Hause? Wie kann ein Vater Weihnachten feiern, der sich Vorwürfe macht, dass sein Sohn davongelaufen ist? Wie ist heute jemand zumute, der krank ist und der keine Chance auf eine Gesundung sieht? Ist für all diese Menschen nicht auch Weihnachten? Ist Jesus für sie nicht auch der Retter? Und wo ist die Rettung, der Friede für all die Menschen, die im Nahen Osten Krieg und Terror erleben, oder die sich aus lauter Verzweiflung in oft kleinen Cayucos auf den Weg von Afrika über den Atlantik Richtung Kanaren aufmachen in der Hoffnung auf ein besseres Leben, eine bessere Zukunft?

Ich glaube schon, dass das alles in diese Nacht hineingehört. Sie ist für mich nur deshalb heilig, still und beglückend, weil ein Licht angezündet wurde und eine Hoffnung aufkeimt. Zwar gibt es seit Jesu Geburt immer noch die Nacht, das Dunkel, welches Menschen oft erleben müssen. Aber sein Licht lässt aufleuchten, schenkt Hoffnung in aller Dunkelheit und verändert uns und diese Welt in dem Maße, wie wir uns von ihm anstecken und begeistern lassen.

Das hat Pfr. Josef Mohr, der Verfasser von „Stille Nacht, heilige Nacht“ auch schon erkannt. Deshalb hat er auch noch zwei weitere Strophen verfasst, die man einfach weggelassen und nicht weitergegeben hat. Ich möchte sie Ihnen gerne kundtun und ein paar Gedanken dazu anschließen. Die eine Strophe lautet:

„Stille Nacht, heilige Nacht / wo sich heut’ alle Macht / väterlicher Liebe ergoss / und als Bruder huldvoll umschloss / Jesus, die Völker der Welt / Jesus, die Völker der Welt.“

Diese Strophe macht deutlich: In dieser Nacht ist nicht nur Jesus, sondern jeder Mensch noch einmal geboren – als Tochter oder Sohn Gottes. Gott der uns Vater und Mutter ist, er gießt seine Liebe über alle Menschen aus – keine/r wird bevorzugt, jede/r ist ihm lieb und wertvoll. Deshalb ist die Frau, die im Stich gelassen wurde, eben eine Tochter Gottes und soll entsprechend geachtet und geliebt werden. Der Jugendliche, der einem Ärger macht, ist Tochter oder Sohn Gottes und soll das durch seine Eltern auch erfahren. Die, die einen Toten zu betrauern haben, sind Sohn oder Tochter Gottes und sollen deshalb nicht allein gelassen werden. Der Verbrecher im Gefängnis ist Sohn Gottes, selbst wenn er als Mensch diese Würde verschüttet hat; unsere Aufgabe ist es, ihm das nahe zu bringen und ihm andere Wege aufzuzeigen. Der Mensch, der sich in Lateinamerika oder Afrika nach einem besseren Leben sehnt, der ist auch Tochter oder Sohn Gottes und er soll nicht bis zum Sankt Nimmerleins-Tag warten müssen, bis er die gleichen Lebenschancen erhält wie wir. Weihnachten – das realisiert sich in dem Maße, wie wir als Christen das Versprechen einlösen, das uns Jesus in seiner Geburt gegeben hat: Als Bruder umschloss er die Völker der Welt.

„Stille Nacht, heilige Nacht / lange schon uns bedacht, / als der Herr,  vom Grimme befreit, / in der Väter urgrauer Zeit / aller Welt Schonung verhieß, / aller Welt Schonung verhieß.“

Diese zweite, ebenfalls weggestrichene Strophe sagt mit anderen Worten: Schonung ist nicht nur ein Wort, sondern eine göttliche Tat, ein Versprechen Gottes, das wir einlösen sollen:

Er hat die Ehebrecherin geschont und nicht gerichtet; er hat die Hure geschont und ihr vergeben; er hat den Betrüger Zachäus geschont und mit ihm gegessen; er hat den Terroristen am Kreuz geschont und ihm das Himmelreich geöffnet; er hat den davongelaufenen Sohn geschont und ein Festmahl angerichtet. Der Mensch soll geschont, nicht überfordert, nicht im Zorn oder Grimm bestraft werden. Das gilt auch für mich selbst. Spüren Sie etwas? In dem Maße, in dem wir Christen diese göttliche Schonung, die in der Geburt Jesu in diese Welt gekommen ist auch in die Tat umsetzen, in dem Maße wird Weihnachten ein Fest für alle und nicht nur für jene, die zufälligerweise glücklich sind. Und in dem Maße hat Weihnachten Auswirkungen – weit über das eigentliche Fest hinaus.  

In diesem Sinne

Ihnen allen, ein frohes und

gesegnetes, aber auch ein

geschwisterliches und

schonendes Weihnachtsfest, verbunden mit allen guten Wünschen zum Jahr 2007!

Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und

Residentenseelsorger

Diesen und frühere Artikel können Sie nachlesen unter: www.wochenblatt.es

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