Kanarische Ur-Geschichte wird neu geschrieben
Spannend geht es derzeit in der ethnologisch-historischen Erforschung der Inseln zu. Bislang lag die frühe Geschichte der Kanaren weitgehend im Dunkeln – nicht zuletzt durch die spanischen Eroberer.
Die belegbare Geschichte der Kanarischen Inseln beginnt erst mit der Eroberung Fuerteventuras durch den Normannen Jean de Béthencourt und seinem Gefolgsmann Gadifer de la Salle Anfang des 15. Jahrhunderts. Die Eroberer haben nämlich in großem Maße zerstört, was sie an anderen Kulturen vorfanden und dem eroberten Land den eigenen Stempel aufgedrückt – so wie sie das bekanntlich ja auch in Übersee erfolgreich betrieben haben. Nun ja, die Ureinwohner der Inseln hatten keine mit den Inkas, Mayas oder Atzteken vergleichbar hoch entwickelte Kultur, doch waren sie bei weitem nicht so primitiv, wie es aus der heutigen Perspektive auf den ersten Blick erscheinen mag.
Doch derzeit laufende Forschungsprojekte befassen sich nicht in erster Linie mit dem Brauchtum der Ureinwohner, sondern mit ihrer Herkunft und mit der großen Frage: Wann fand die Erstbesiedlung statt und woher kamen diese Menschen?
Weil eben bei, während und nach der Eroberung viel zerstört wurde, müssen die Forscher sich an das Wenige halten, was geblieben ist. So sind die erhaltenen Felsgravuren und -malereien immer wieder Prüfstein im wahrsten Sinne des Wortes für die Archäologen. Nur kurz nachdem in Teguise auf Lanzarote Archäologen eine Stätte entdeckt haben, die aus der Zeit der Phönizier stammen und demnach belegen soll, dass schon Angehörige dieses Volkes möglicherweise 1.000 v. Chr. auf die Kanaren kamen (das Wochenblatt berichtete), spricht ein anderes Forscherteam nun von der Besiedelung des Archipels ab 600 v. Chr. in zwei Schüben.
Ein weiterer interessanter Punkt ist, dass die Thesen dieser Forscher der bislang gängigen Annahme einer weitgehenden Isolation der kanarischen Urbevölkerung von anderen Kulturen widerspricht. Wenn diese Forscher nämlich Recht behalten, muss davon ausgegangen werden, dass die Inseln sehr wohl zumindest sporadischen Kontakt zu den alten Völkern Nordafrikas und auch Europas hatten.
Libysch-berberische und latino-kanarische Inschriften
José Farrujia ist Mitglied dieses Forscherteams und der spanischen Gesellschaft für Archäologie und hat diese Studie vor drei Jahren initiiert. Zusammen mit Werner Pichler vom Institutum Canarium in Österreich (eine internationale und interdisziplinäre Forschungsgesellschaft, die sich mit der Kulturgeschichte der Kanarischen Inseln und des benachbarten Mittelmeerraumes beschäftigt) und dem Franzosen Alain Rodrigue, der sich hervorragend mit Felszeichnungen auskennt, untersuchte er die Felsgravuren und -malereien auf den Kanaren und verglich sie mit Funden im Norden Afrikas. Anhand der libysch-berberischen und latino-kanarischen Inschriften, den dokumentierten Felszeichnungen auf den Inseln und den jüngsten Funden in Marokko erklären die Wissenschaftler den Ursprung der Besiedelung der Kanarischen Inseln neu. Ihrer These zufolge kamen Bevölkerungsgruppen zu zwei verschiedenen Zeitpunkten auf die Inseln. Die erste Besiedelung durch die archaische Berber-Kultur soll um das 6. Jahrhundert v. Chr. auf El Hierro, La Palma, La Gomera, Teneriffa und Gran Canaria stattgefunden haben.
In einer zweiten Phase sollen um das 1. Jahrhundert n. Chr. unter der Herrschaft von Kaiser Augustus und Juba II. in Mauretanien Bevölkerungsgruppen romanisierter Berber Lanzarote, Fuerteventura, Gran Canaria, El Hierro und Teneriffa erreicht haben. Wie José Farrujia im Interview mit der Nachrichtenagentur EFE erklärte, brachte die erste Besiedelungswelle die libysch-berberische Schrift auf die Inseln, die von Symbolen mit geometrischer Tendenz dominiert wird oder auch Gravuren in Form von Spiralen oder Kreisen aufweist. Meist sind die Gravuren in Stein gemeißelt.
Um das 1. Jahrhundert n. Chr. fand durch den römischen Einfluss im Norden Afrikas zunehmend eine Romanisierung der Kultur statt und das Berberische nahm größere Mengen lateinischen Wortguts auf. In dieser Periode nehmen die libysch-berberischen Zeichen winkelförmige Züge an, vor allem auf den Inseln Lanzarote und Fuerteventura, wo Inschriften mit Personennamen wie „Aníbal“, „Nubel“, „Mascel“ oder „Makuran“ gefunden wurden. Die meisten dieser Inschriften sind zweisprachig, lateinisch und libysch-berberisch. „Die Menschen, die diese Gravuren anfertigten waren romanisierte Berber, die ihre Namen in Latein und in Libysch-Berberisch schrieben, was heißt, dass sie stolz auf ihre Herkunft waren“, erklärt Farrujia.
Auf den Kanaren wurden auf El Hierro die meisten libysch-berberischen Felsgravuren gefunden. Auf La Palma und Teneriffa ist nur jeweils eine Gravur dieser Art dokumentiert, während auf La Gomera die 2006 entdeckte Fundstätte Las Toscas de Guirre Gravuren dieser Art aufweist. Die einzigen lateinisch-kanarischen Inschriften wurden auf Lanzarote und Fuerteventura gefunden.
Die Wissenschaftler sind der Ansicht, dass die auf den Kanaren dokumentierten libyisch-berberischen Inschriften aus Marokko stammen und stützen sich für diese Theorie auf die jüngsten Funde in Nordafrika.
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