Zuwendung als Lebensmittel


Gedanken für mich – Augenblicke für Gott

„Wer bin ich“ hieß einstmals die beliebte Sendung von Robert Lembke, bei der die Jury den Beruf eines Menschen an dessen dafür typischen Handbewegung erraten musste. Jeder Mensch macht nämlich für sich ganz persönlich typische Handbewegungen. So kann man ihn also nicht nur an seiner Gestalt oder an seiner Stimme, sondern eben auch an seinen Gesten erkennen. Jesus z.B. wurde von den Emmausjüngern damals daran erkannt, wie er mit ihnen das Brot brach. Welche Handlung oder Handbewegung ist denn für Sie ganz typisch?

Im Allgemeinen will ich sagen, dass unsere Hände eine ganz eigene Sprache sprechen, vor allem, wenn wir uns durch sie jemandem anderen zuwenden. Was drücken diese unsere Hände dann aus? Offenheit oder Zurückhaltung? Sind sie zärtlich, heilend und tröstlich – oder vielmehr nervös, schweissig, gespreizt oder gar zur Faust geballt? Wir können sehr wohl mit offenen Händen auf andere zugehen, wir können sie aber auch geballt verschlossen halten und so signalisieren: Ich will keinen Kontakt.

Zuwendung ist für uns so etwas wie ein „Lebensmittel“, etwas, das zum Leben hilft und für das Leben unabdingbar notwendig ist. Deswegen hängt auch der Glaube von der Zuwendung und den damit verbundenen Handlungen ab: Glaubensvermittlung und Glaubensweitergabe hängen auch zusammen mit dem, was wir „Sympathie“ nennen. Apparate und Institutionen schaffen das nicht. Kein Ordinariat, kein Kirchensteueramt, ja nicht einmal das in jedem Bistum vorhandene Seelsorgereferat. Von Ämtern und Behörden hat der Mensch genug. Sie können weder Zuwendung schenken, noch eine menschliche Übersetzung des Evangeliums Jesu in das konkrete Leben eines Einzelnen oder gar einer Gemeinschaft bewirken. Genau deshalb handelte Jesus oft an den Ämtern und Institutionen vorbei; mitunter hat er sogar ganz deutlich gegen sie Stellung bezogen.

Die Nähe zu den Menschen geht der Kirche verloren. Immer wieder höre ich von Kirchenbesuchern hier in San Telmo, dass ihr Pfarrer keine Zeit hat und dass man mit ihm kaum mal ein Wort wechseln könne. Aber ich frage mich natürlich auch, wie soll das denn ein Priester bewerkstelligen, auf den drei bis fünf oder noch mehr Gemeinden fixiert sind? Wie soll denn da ein normaler Mensch – und jeder Seelsorger ist ein solch normaler Mensch mit Gefühlen und auch nur einem bestimmten Quantum an Arbeitskraft – wie soll der sich denn diese Nähe und diese Zeit für den Einzelnen leisten können? Dabei ist mir auch klar, dass die Zuwendung gerade in unserer heutigen gesellschaftlichen Situation einen ganz besonderen Wert hat. Deshalb ist auch für mich eine Gemeinde die Lebensform von Christen, die es unter allen Umständen zu retten gilt. Nur: Dem stehen eben all jene Maßnahmen entgegen, die lediglich stur das althergebrachte System retten wollen: Der Zölibat, das Verbot, auch nur über das Amt für die Frau in der Kirche nachzu-denken (dabei sind es doch Frauen, die in aller Regel die diakonischen Dienste in einer Gemeinde leisten) und der Unwille sich Leiterinnen oder Leiter aus der jeweiligen Gemeinde heranzuziehen. Das alles steht letztlich gegen die Entwicklung unserer Gemeinden und damit aber auch gegen die Entwicklung der Kir-che im Ganzen.

Jesus Christus hat nicht nur eine neue Gotteserfahrung gebracht: Gott ist nicht der strafende, sondern der liebende und sich um den Menschen sorgende Gott. Und Jesus Christus – auf den wir hören sollen – fordert von seinen Nachfolgerinnen und Nachfolgern ein neues Miteinander. Das macht das eigentlich neue und die besondere Qualität des Reiches Gottes aus: Wir alle sind Geschwister. Dieser Satz muss jede Gemeinde prägen. Denn derjenige, der Jesus nachfolgt ist der Mensch, der in Gemeinschaft mit denen lebt, die den Glauben mit ihm teilen. Alle gemeinsam bilden Kirche – ob nun mit 30 Personen oder Tausenden. Sorgen wir – Laien und Geistliche – in unserem gemeinsamen Auftrag dafür, dass Seelsorge nicht zur Zählsorge verkommt. Legen wir allüberall dort Hand an, wo es das Evangelium von uns erwartet. Leben wir die Zuwendung Gottes ganz unbeirrt von althergebrachten Strukturen. Möglichkeiten dazu gibt es genug. Angefangen von der freundlichen Aufmerksamkeit beim Gottesdienst bis hin zum Zuhören und Anteil nehmen am Leben des anderen. Zuhören, den anderen an der Hand nehmen, all das sind Schritte der Zuwendung. Selbst wenn wir sonst nichts anderes könnten, diese beiden Möglichkeiten hat jede und jeder von uns. Und damit schenken wir einem Menschen schon ein wenig von der Liebe Gottes und machen so seine Zuneigung sichtbar. Vielleicht wäre das ja eine ganz gute Übung in diesen Tagen der Fastenzeit.  

Ihr Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und

Residentenseelsorger

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