Zwei Jünger auf dem Weg


Gedanken für mich ­– Augenblicke für Gott

Wenn ich ganz ehrlich bin, dann ist es für mich – nach der Geschichte der Maria Magdalena mit dem Auferstandenen, wo sie ihn für den Gärtner hielt – die wichtigste Ostergeschichte, vor allem der Satz: „Herr bleibe bei uns, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt.“

Er steht im Lukasevangelium, Kapitel 24. Aber lassen Sie sie mich von Anfang an erzählen, diese Geschichte von zwei tieftraurigen Menschen, die völlig unerwartet erleben: es geht ja doch weiter. Zwei Männer sind es, um das Jahr 30 in Jerusalem. Sie haben erlebt, wie Jesus, auf den sie all ihre Hoffnung gesetzt hatten, gestorben ist. Und zwar nicht auf natürliche Weise, sondern umgebracht, hingerichtet, als Verbrecher gekreuzigt. Sie haben ihn verloren, und sie können nicht mehr hoffen, dass er sie und ihr Volk erlösen wird. Dabei hatten sie ihn so stark erlebt in dem, was er gepredigt hat, von einem liebenden Gott und dass sich die Welt zum Besseren wenden wird. Stark und mächtig ist er auch in dem gewesen, was er getan hat: Kranke geheilt vor allem, seelisch belasteten Menschen geholfen, dafür gesorgt, dass Hungrige zu essen bekommen. Schuldige Menschen befreit und ihnen geholfen, einen Weg zu finden. Und er hat die gestützt und gewürdigt, die auf der Schattenseite stehen: „Selig die Hungernden, selig die Verfolgten, selig die Armen, selig die Traurigen.“ So hat er gepredigt, und so hat er sich auch verhalten. Und er hat von Anfang an deutlich gemacht, was er davon hält, wenn Menschen über andere Menschen herrschen. „Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen“, so hatte schon seine Mutter Maria gesungen, als sie mit ihm schwanger war. All das durfte doch Hoffnung geben! Hoffnung auf mehr politische, gesellschaftliche und religiöse Freiheit. Und jetzt: aus und vorbei, Jesus ist gestorben, verurteilt und hingerichtet als ein Verbrecher. Die andern sind also doch stärker.

Mit solchen Gedanken gehen die beiden Männer von Jerusalem in den kleinen Ort Emmaus. Sie treffen einen weiteren Mann, der läuft mit ihnen, hört ihnen zu, und mischt sich irgendwann ins Gespräch ein. Worüber sie da reden, will er wissen. Die beiden sind ziemlich erstaunt: ist dieser Fremde so ahnungslos, oder tut er nur so? Weiß der wirklich nicht, wovon ganz Jerusalem redet, eben, dass dieser Jesus gekreuzigt worden ist? Und dann klären sie ihn auf, erzählen, was passiert ist. Daraufhin geschieht etwas Erstaunliches: der Fremde fängt an, diese Geschichte mit Jesus von Nazareth zu deuten, und zwar aus der Heiligen Schrift. Dass da schon die Rede ist von dem Gerechten, der sein Leben für die andern hingibt. Und die beiden fangen an zu verstehen, dass Jesus nicht sinnlos gestorben ist. „Brannte nicht unser Herz“, erzählen sie hinterher, „als dieser Fremde unterwegs mit uns geredet hat?“ Und ahnungsvoll halten sie ihn zurück, als sie an einer Herberge ankommen: „Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt.“ Der Fremde erfüllt ihre Bitte, und es geschieht etwas Unerwartetes. 

Wenige Tage nach dem Tod Jesu. Zwei seiner Jünger sind auf dem Weg von Jerusalem in den nahegelegenen Ort Emmaus. Sie haben unterwegs einen Fremden getroffen, mit dem sie über den Tod Jesu reden. Er fasziniert sie, das Herz brennt ihnen beim Zuhören, und so bitten sie ihn. „Herr bleibe bei uns, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt.“ Der Fremde geht mit ihnen in eine Herberge, sie setzen sich an den Tisch, beim Brotbrechen erkennen sie: dieser Fremde ist Jesus. Der Getötete lebt. Und dann, so erzählt die Bibel, sehen sie ihn nicht mehr. Die beiden gehen zu den andern Jüngern und Jüngerinnen, und auch die erzählen, dass Jesus lebt, dass er auch ihnen begegnet ist. Mich zieht diese Geschichte immer wieder in ihren Bann. Ich kann die Trauer der beiden Männer gut nachvollziehen. Dieses Gefühl: Der Freund ist gestorben – jetzt ist alles aus. Dass sie wieder und wieder das Fürchterliche zu begreifen versuchen. Welch ein Segen, dass sie dabei nicht total in sich gefangen bleiben, sondern sich für das Gespräch mit dem Fremden öffnen und zugänglich sind für seine Worte. Und dann erleben: der, der sie aus ihrer Todestrauer herausholen kann, ist ganz nah. Ich hoffe, dass ich in schweren Zeiten Ähnliches erleben darf: dass die Hilfe ganz nah ist, auch wenn ich sie noch nicht bemerke. Und dass ich hinterher sagen kann: Brannte mir nicht das Herz, als dieser Mensch mit mir unterwegs war. Und dann die Worte der Jünger vor der Herberge: „Herr bleibe bei uns, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt.“ Dieser Satz hat schon viele Menschen angerührt: er ist zu einem Abendgebet geworden, ich selber habe ihn auch schon bei sterbenden Menschen gesprochen. Gott bei sich wissen, wenn es Nacht wird, wenn es dunkel wird, wenn Angst kommt, wenn ein Abschied naht. Das ist eine Uräußerung von Menschen: bleib bei mir, geh nicht fort. In der Ostergeschichte von den beiden trauernden Jüngern bleibt der Fremde, und sie erkennen, dass es Jesus ist. Das ist die Osterbotschaft. Menschen haben erfahren, dass Jesus ihnen nahe ist. Dass der Tod keine Grenze ist zwischen ihm und uns. Ich habe diese Botschaft schon viele Male gehört – aber ob ich sie je wirklich fassen kann? Und trotzdem: diese Geschichte von den Jüngern auf dem Weg nach Emmaus bestärkt mich, der Osterbotschaft von der Auferstehung Jesu zu trauen. Und Ihnen? Ihnen wünsche ich das auch – aus ganzem Herzen. 

Herzlichst Ihr

Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und

Residentenseelsorger

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