Die Urteile im Korruptionsprozess Gürtel hatten den Präsidenten mit dem Rücken an die Wand gedrängt
Madrid – Die Urteile, die in der vergangenen Woche im größten Korruptionsprozess der spanischen Geschichte ergangen sind, hatten die politische Szene in Spanien in höchste Aufregung versetzt und bereits Zweifel am Fortbestand der Regierung Rajoy aufkommen lassen. Im Laufe eines einzigen Wochenendes wurden diese Zweifel Realität: Das Parlament, mit Ausnahme der Abgeordneten von Ciudadanos, unterstützte den Misstrauensantrag der Sozialisten gegen Mariano Rajoy mit einer überraschenden Mehrheit. Offensichtlich ging es der Mehrzahl der Parlamentarier eher darum, den Präsidenten loszuwerden, als Pedro Sánchez zum neuen Regierungschef zu machen. Während es noch Tage zuvor den Anschein hatte, die Regierung könne ruhig durchatmen, nachdem sie der Zustimmung des Parlaments für den Etat 2018 sicher sein konnte, erfolgte ein neuer Paukenschlag. Die überzeugenden Beweise des Urteilsspruchs haben die Regierung und vor allem ihren Präsidenten Mariano Rajoy in die sprichwörtlichen Seile geworfen. Es scheint eindeutig bewiesen, dass seine Partei über Jahre eine illegale Buchhaltung hatte, und die Glaubwürdigkeit Rajoys wird von dem Gericht, das über den Fall zu entscheiden hat, in Zweifel gezogen. Die Konsequenz: Pedro Sánchez, Generalsekretär der Sozialdemokraten, nahm die Gelegenheit wahr, einen Misstrauensantrag einzubringen. Er erhielt die Zustimmung der Mehrheit der Parlamentarier und wurde damit zum neuen Regierungschef.
Die erste Reaktion auf die politische Unsicherheit durch die Gürtel-Urteile und den Misstrauensantrag der PSOE war an der Börse zu spüren. Die hatte zunächst mit positiven Vorzeichen eröffnet, rutschte jedoch nach Bekanntwerden der „Hiobsbotschaft“ in den Keller und verlor 1,7%.
Zuvor hatten hektische Verhandlungen zwischen den verschiedenen politischen Gruppen über das Für und Wider eines Misstrauensvotums stattgefunden, denn mit ihren 84 Sitzen war die PSOE absolut chancenlos. Sánchez richtete einen Aufruf an die 350 Parlamentsabgeordneten, um ihre Unterstützung einzufordern. 176 Stimmen benötigte er, um die absolute Mehrheit zu erreichen und um „die Würde der spanischen Demokratie wiederherzustellen“. Allerdings hatte er zuvor mit keiner der anderen politischen Gruppen gesprochen und sie so vor die Alternative gestellt, Rajoy an der Regierung zu lassen, oder auf ihn zu setzen. Sein Plan: Zunächst ohne weitere Unterstützung mit seinen 84 Abgeordneten in der Minderheit zu regieren und vier Ziele zu erreichen: Die institutionelle Normalität herzustellen, die spanische Politik zu erneuern, soziale Notstände zu regeln und Wahlen auszurufen. Seine Regierung werde auf die Erfüllung der Verfassung setzen, das friedliche Zusammenleben der Bürger garantieren, die nationale Souveränität Spaniens verteidigen und die Verpflichtungen gegenüber der Europäischen Union erfüllen. Von vielen Seiten wurde jedoch der Verdacht geäußert, dass Sánchez vor allem von seinem Ehrgeiz getrieben wurde, Regierungschef zu werden. Immerhin sind Neuwahlen der letzte Punkt auf seiner „To-do-Liste“.
Von González bis Iglesias: Drei gescheiterte Misstrauensanträge gingen voraus
Die PSOE hatte also den vierten Misstrauensantrag in der demokratischen Etappe Spaniens gestellt und war zum ersten Mal erfolgreich. Erst vor knapp einem Jahr hatte Podemos ohne Unterstützung anderer Gruppen und ohne jegliche Aussicht auf Erfolg einen Versuch gestartet.
1980 war Felipe González von der sozialistischen Arbeiterpartei gegen Adolfo Suárez von der damaligen UCD gescheitert, dem auch die erforderlichen Stimmen fehlten, um Erfolg zu haben.
1987 versuchte Antonio Hernández Mancha von der Alianza Popular, der Vorgängerin der heutigen Partido Popular, ebenfalls ergebnislos, den Sozialisten Felipe González aus der Regierung zu entfernen. Und im vergangenen Jahr hatte Pablo Iglesias, wie eingangs erwähnt, erfolglos versucht, Mariano Rajoy zu stürzen.[bsa_pro_ad_space id=“8,13″ if_empty=“13″ delay=“5″]