Altes Zwiebelmuster
Vulkanische Inseln sind geologisch äußerst dynamisch. Sie entstehen rasch und vergehen nur wenig langsamer. Solange ihre Vulkane mehr Lava produzieren als durch Abtragung gleichzeitig wieder im Meer versinkt, wachsen sie an Fläche und Höhe. Kehrt sich dieses Verhältnis um, altern sie und verschwinden irgendwann unter dem Wasserspiegel. Die Lava eines jeden neuen Ausbruchs überschichtet dabei älteres Material, das damit von der Oberfläche verschwindet, bis es, wenn die jüngeren Gesteinsschichten wieder durch Erosion abgetragen worden sein werden, erneut sichtbar wird. Entsprechend finden wir auf Teneriffa die jüngsten Gesteine in den höher gelegenen Regionen der Inselmitte und die ältesten hingegen weniger als halb so hoch gelegen auf der Anaga-Halbinsel im Osten, im Teno-Gebirge im Westen sowie im Gebiet um den Roque del Conde im Süden. Während im Teno und im Anaga seit vier bis fünf Millionen Jahren der Vulkanismus eingeschlafen ist und diese Inselteile bereits rund die Hälfte ihrer ursprünglichen Höhe verloren haben, machten im Süden jüngere Vulkanausbrüche die Region zu einem vielfältigen Mosaik verschiedenartiger und unterschiedlich alter Gesteine. Mit ein paar Hinweisen kann man diese Landschaft als wandernder geologischer Laie dennoch in groben Zügen verstehen.
Dunkle Lava ist hier meistens Basalt. Er ist arm an Kieselsäure und konnte beim Ausbruch recht gut fließen. Je mehr Kieselsäure eine Lava enthält, desto schlechter fließt sie, und desto heller erscheint sie nach dem Erstarren. Fast weiße Lava war zusätzlich noch sehr gasreich. Dieses Material nennt man entweder „Toba“ (Tuffstein) oder „Poméz“ (Bims). Letzterer bezeugt sehr explosive Eruptionen aus der Zeit vor der Entstehung des Pico del Teide im Zentrum der Insel. Sie überdeckten Teile des Südens mit meterhohen Schichten aus Bimsgranulat, die sich mancherorts trotz Erosion erhalten haben. Toba hingegen waren ursprünglich Glutwolken, die sich über Berg und Tal wälzten. Wegen ihrer leichten Bearbeitbarkeit sind sie als Baumaterial beliebt, aber auch Orte, wo man Höhlenhäuser aus dem Gestein schneiden konnte. Hellgrau und leicht rötlich erscheinend sind Phonolite und verwandte Gesteine. Im Gegensatz zu Toba und Bims entstanden sie aus gasarmer kieselsäurereicher Lava. Sie verhält sich bei Ausbrüchen weniger wie eine von Berg zu Tal fließende Flüssigkeit, sondern wie zähe Paste in einer Tube, die sich ohne schiebenden Druck nicht aus der Tube bewegt. Der Roque del Conde und die Montaña de Guazo bei Adeje bestehen zu großen Teilen daraus. Aus einigen Kilometern Entfernung offenbart der Blick auf beide Felsenmassive den Unterschied zwischen beiden: Der Roque del Conde ist zerklüfteter. Er ist mehr als zehnmal so alt und folglich verwitterter.
Ähnlich alt wie der Roque del Conde ist der ihm auf der östlichen Seite des Valle de San Lorenzo gegenüberliegende Roque de Jama Seine markante Gestalt grüßt schon von Weitem. Seine kleine aufgesetzte Spitze macht ihn leicht erkennbar. Man kann ihn von Norden aus auf einem Pfad ersteigen, über den man sich rasch einer dem Felsklotz vorgelagerten Bergschulter nähert. Von ihrer Höhe bietet sich ein erster Panoramablick über das Valle de San Lorenzo und den gegenüberliegenden Roque del Conde. Nach Süden reicht der Blick zur Punta de Rasca, der Südspitze der Insel, vor der wir im Umfeld der breiten Montaña Guaza eine Reihe weiterer erloschener Vulkane erkennen. Drei von ihnen sind so alt wie der Ort, auf dem wir stehen, mehr als elf Millionen Jahre, die anderen sind um einiges jünger. Unsere Füße stehen hier auf mächtigen Diques, ehemaligen Spalten im Untergrund, durch die sich aufsteigende Lava ihren Weg bahnte, bevor sie die Erdoberfläche erreichte. Dort entstand dann ein neuer Vulkan, vielleicht auch der eine oder andere Lavastrom. Am Ende solcher Ausbrüche erstarrte die restliche Lava in den Spalten und wurde zu stabilen unterirdischen Lavamauern. Von all dem ist Dank der unaufhörlichen Erosion nichts mehr sichtbar, wir können nicht einmal ahnen, wie es damals hier aussah. Wir stehen an einem Ort, der sich lange Zeit unter der Oberfläche befand und wieder freigelegt worden ist. Diques und Schuttreste sind letzte Zeugen von einst.
Von hier aus erkennen wir auch, dass der Roque de Jama nur noch die Hälfte des ursprünglichen Vulkans ist. Seine westliche Seite fällt fast senkrecht ab. Was dort einmal stand, wurde bei der Abtragung des umgebenden Landes schlichtweg abgebrochen. Das ermöglicht heute, seinen inneren Aufbau zu erkennen. Querschnitte dicker Gesteinspakete sind in seiner Westwand unterscheidbar. Eine breite rostrot gefärbte Schicht aus Almagre durchzieht sie zusätzlich horizontal. Dieses Material ist nahezu wasserundurchlässig. Oberhalb von Almagreschichten gibt es oftmals Quellen. Hier sind sie wenig ergiebig, nur weiße Mineralablagerungen verraten, wo Wasser herausquillt.
Nachdem der Roque de Jama in grauer Vorzeit seine gewölbte Kuppel einmal aufgebaut hatte, hat eine große Schar von Diques mit Ursprung in der gleichen Magmakammer immer wieder sein Gestein aufgebrochen und durchquert und gab dem Felsklotz einen einer halben Zwiebel ähnelnden inneren Aufbau. Das ist eine seiner geologischen Besonderheiten. Auf unserem weiteren, von hier an wesentlich steileren Anstieg ist diese Struktur allerdings wenig erkennbar.
Ab jetzt verlangt der Weg Trittsicherheit und Umsicht. Nahe der Abbruchkante gelangen wir zum Gipfel mit einem Panoramablick aus einer noch attraktiveren Position als zuvor. Der Roque de Jama ist zwar mit einer Gipfelhöhe von nur 781 m keine bedeutende Erhebung unserer Insel, aber er steht frei und allein und überragt seine nähere Umgebung um mehr als 100 m. Das bietet einen spektakulären Rundumblick, der manche Aussichtspunkte unserer Insel in den Schatten stellen kann.
Wenn wir hier zwei schöne Steinplatten finden und leicht gegeneinander schlagen, erklingt ein heller Ton. „Phonolith“ bedeutet „klingender Stein“. Es heißt, die Ureinwohner hätten damit rhythmische Musik gemacht. Doch das könnte eine Legende sein.
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Michael von Levetzow
Tenerife on Top