Alarmzustand für verfassungswidrig erklärt

Die neue Justizministerin, Pilar Llop, hat die Erklärung des Alarmzustands verteidigt: „Der Lockdown hat 450.000 Leben gerettet“. Foto: efe

Die neue Justizministerin, Pilar Llop, hat die Erklärung des Alarmzustands verteidigt: „Der Lockdown hat 450.000 Leben gerettet“. Foto: efe

Mit sechs zu fünf Stimmen annullierten die Richter einen Artikel des 2020 erlassenen Dekrets

Madrid – Das spanische Verfassungsgericht hat vor einigen Tagen das im März vergangenen Jahres durch die Regierung verhängte und seinerzeit vom Parlament bestätigte Ausgangsverbot für verfassungswidrig erklärt. Das Tribunal, das über eine Klage der rechtsradikalen Vox zu entscheiden hatte, stimmte mit sechs zu fünf Stimmen dafür, der Klage teilweise stattzugeben. Die Partei hatte seinerzeit wie alle anderen im Parlament vertretenen Parteien dem Dekret zugestimmt, das jetzt in einzelnen Absätzen für verfassungswidrig erklärt worden ist. Allerdings fehlte einer der Richter, der vor Monaten ausgeschieden und nicht durch ein neues Mitglied ersetzt worden war. Das Gericht hält das Ausgangsverbot zwar für rechtsgültig, allerdings nicht im Rahmen eines Alarmzustandes. Um über die gesamte Bevölkerung eine Quarantäne zu verhängen, müsse ein Ausnahmezustand durch die Regierung erklärt und vom Parlament bestätigt werden.

Die Erklärung der Verfassungswidrigkeit von Teilen des Dekrets berechtigt allerdings nicht zu Regressansprüchen von Unternehmen und Geschäften, die aufgrund der Ausgangssperre ihre Tätigkeit einstellen mussten, was von der Vox-Partei beantragt, jedoch von den Richtern zurückgewiesen wurde. Allerdings könnten nun Hunderttausende Bürger die Rückerstattung der erhobenen Strafen verlangen, welche gegen sie verhängt worden waren, weil sie das Ausgangsverbot missachtet hatten.

Die Verfassungsrichter benötigten zwei Sitzungen und 15 Stunden Debatte, um zu einer Lösung für die Klage von Vox zu kommen, denn sie konnten sich auf keine Formel für einen Konsens über das Urteil einigen. Schließlich fassten sie mit nur einer Stimme Mehrheit den Beschluss, das Dekret über den Alarmzustand teilweise für verfassungswidrig zu erklären. Damit zeigte das Gericht eine Linie auf, wie in Zukunft vorzugehen sei, wenn über den gesamten Staat eine erneute Ausgangssperre verhängt werden müsse. Die Regierung habe die Erklärung des Ausnahmezustands im Parlament zu beantragen, das mit der notwendigen Mehrheit entscheiden müsse.
Die Stimme, die schließlich bei dieser schwierigen Sachlage zur Entscheidung führte, war die der Vizepräsidentin des Tribunals, Encarnación Roca. Die konnte sich bei der vorangegangenen Sitzung nicht zu einer Entscheidung durchringen und wollte zunächst abwarten, bis noch einige Punkte des Entwurfs für das Urteil geklärt wurden.

Das Urteil des Verfassungsgerichts, dessen genauer Wortlaut bei Redaktionsschluss noch nicht vorlag, hat den Artikel 7 des Dekrets über den ersten Alarmzustand für unzutreffend erklärt. Das Gericht räumt aber ein, dass eine starke Beeinflussung der Öffentlichkeit vorlag. Die Schwere und die Ausbreitung der Pandemie habe eine schwere Störung der öffentlichen Ordnung bedeutet, und daher sei die normale Wahrnehmung der öffentlichen Rechte nicht möglich gewesen. Gemäß dem Text des Urteils, zu dem die Zeitung El País Zugang hatte, wäre die Erklärung des Ausnahmezustands legitim gewesen – das einzige gültige Instrument, um zeitweise die fundamentalen Rechte der Bürger auszusetzen.

Unbehagen bei der Regierung

Die Entscheidung des Verfassungsgerichts, die mit einer denkbar knappen Mehrheit gefallen ist, hat in den Reihen der Regierung Unverständnis und Unbehagen ausgelöst, was einige Minister auch zum Ausdruck brachten. Verteidigungsministerin Margarita Robles erklärte, den Verfassungsrichtern mangele es offenbar an „Staatsempfinden“. Darüber sollte verfügen, wer einer solchen Institution angehört.

Die neue Justizministerin Pilar Llop ließ wissen, dass die Regierung das Urteil respektiere, doch sei das Dekret, das jetzt teilweise annulliert wurde, unverzichtbar gewesen, um Leben zu retten. Die damalige Ausgangssperre hätte 450.000 Menschen das Leben gerettet. „Die Regierung hat an 14. März den Alarmzustand ausgerufen, nur drei Tage nachdem die Weltgesundheitsbehörde, angesichts der extremen Gefahr für die öffentliche Gesundheit und der ungewöhnlich schnellen Ausbreitung, die Pandemie erklärt hatte. Es war also die Pflicht der Regierung, unmittelbare und angemessene Maßnahmen zu ergreifen“.

Es handele sich um eine beispiellose Entscheidung, denn zahlreiche Staaten aus dem europäischen Umfeld hätten ähnliche Maßnahmen in Übereinstimmung mit ihrer Gesetzgebung beschlossen, verlautete aus Regierungskreisen und einige sozialistische Parteiführer bezeichneten das Urteil als nicht juristisch, sondern politisch. Das Urteil sei aufgrund einer Klage der rechtsradikalen Vox ergangen, die seinerzeit ebenfalls für die Ausrufung des Alarmzustands gestimmt hatte, als der entsprechende Antrag zum ersten Mal im Kongress vorgelegt wurde.

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