Die anderen Maßstäbe Gottes


Gedanken für mich ­– Augenblicke für Gott

In diesen Tagen, in denen Sie diese Ausgabe des Wochenblattes in Händen halten, gehen wir mit riesigen Schritten in die „Semana Santa“ – „die heilige Woche“ oder auch Karwoche genannt.

Sie beginnt mit dem Palmsonntag, und dieser Palmsonntag wiederum bringt ein Geschöpf ins Spiel, über das nachzudenken sich wirklich lohnt. Denn dieses Geschöpf zählt in der Heiligen Schrift zu denen, die am Rande erscheinen und kaum beachtet werden. Natürlich hat man es in der Erzählung vom Einzug Jesu in Jerusalem gebraucht, aber im Großen und Ganzen des Geschehens spielt es doch nur eine mehr als untergeordnete Rolle. Dieses Geschöpf bockt nicht, ist lammfromm und lässt sich nicht mal durch die jubelnde und lärmende Menge aus der Ruhe bringen. Und der Evangelist hält es noch nicht mal für notwendig zu erzählen, ob die Jünger es – vor lauter Geschäftigkeit angesichts des bevorstehenden Osterfestes – überhaupt seinem Besitzer zurückgebracht haben. Es scheint wirklich so unwichtig, ja so nebensächlich zu sein wie…ja, wie sein Eselskollege damals im Stall von Bethlehem bei der Geburt des Messias. Wobei wir gar nicht genau wissen, ob der damals wirklich dort stand, oder ob er sich nicht einfach dem Propheten Jesaja zu verdanken hat, der schon lange vor der Geburt Jesu weissagte: Der Ochs kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn; Israel aber hat keine Erkenntnis. Doch wie dem auch sei. Den einen Esel nehmen wir also bei der Krippe war, den anderen beim Einzug Jesu in Jerusalem. Aber beide spielen allenfalls eine Nebenrolle.

Dabei sein und doch keine Rolle spielen, genannt werden und trotzdem unwichtig bleiben, das ist doch alles recht merkwürdig. Jedenfalls macht es mich nachdenklich, zumal so viel über den Esel erzählt wird. Einmal heißt es da, es sei eine Eselin, dann wieder das Füllen einer solchen, dann wieder beides oder es wird nur von einem jungen Esel erzählt. Die Evangelisten sind sich also alles andere als einig. Man hat ihn eigens herbeiholen müssen, und – wie wenn es das Selbstverständlichste auf der Welt wäre – hat der Eigentümer das Tier den Jüngern überlassen. Dann wird ausdrücklich bemerkt, er sei zum ersten Mal beritten worden, und man hätte ihn mit den Kleidern einiger seiner Jünger „gesattelt“. Es ist also vieles, was da von dem an sich bedeutungslosen Esel erzählt wird – und genau das lässt mich stutzig werden und genauer  hinschauen. Es könnte nämlich sein, dass diesem Esel, diesem „geringeren Bruder des Pferdes“, eine ganz bestimmte Würde zu eigen ist. Dass es mit ihm also doch etwas auf sich haben könnte, auf das man durchaus achten sollte. Und ich meine tatsächlich, dieser Esel spielt in der Erzählung vom Einzug Jesu in Jerusalem keine unnütze, sondern eine geradezu „verräterische“ Rolle.

Gar so nebensächlich kann das Reittier schon deshalb nicht sein, weil der Palmesel in der Frömmigkeit des Mittelalters eine hohe Wertschätzung erfahren hat. Er wurde in den großen Palmprozessionen als geschnitztes Kunstwerk mitgeführt, hatte den segnenden Christus auf seinem Rücken und ermunterte so die Feiernden, ihr „Hosanna“ auf den Sohne Davids zu singen. Außerdem haben die Tiere insgesamt einen überaus merkwürdigen Platz in der Geschichte des Heils. Dass ein Esel die große Prozession nach Kalvaria einleitet, dass ein Hahn das Versagen des Petrus anmeldet, dass die Lämmer im Tempel (nach dem Johannesevangelium) zur Todesstunde Jesu geschächtet werden – was sollte mich denn daran hindern, in solchen Hinweisen einen klaren Wink zu sehen, dass die Tiere nicht nur in der Schöpfungsordnung ihren Platz haben, sondern auch dem großen Werk der Erlösung zugeordnet bleiben?

Jesus kommt also auf dem Esel daher. So zieht er als „König“ in seine Stadt ein. Will er sich dem Gelächter der Menge aussetzen? Ist es Ungeschicklichkeit oder eine grandiose Provokation? Ich bin der Überzeugung, dass Jesus nach einem völlig anderen Gesetz angetreten ist, als es die Welt normalerweise kennt, und genau dies verrät der Esel. „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“, sagt Jesus. Seine Macht erweist sich in Schwachheit, seine Größe in Niedrigkeit. Was Maria in ihrem Loblied über Gott sagt, „er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen“, das lebt Jesus. Und wenn er schon diese messianische Huldigung geschehen lässt, dann will er damit wenigstens zeigen, dass er sein Reich nicht mit Gewalt und Krieg aufrichten will, sondern dass gerade in seiner menschlichen Ohnmacht die Macht Gottes hervortritt; zwar unsichtbar, aber eben nur, weil sie erst am Ende offensichtlich wird.

Dass Jesus aber in aller Ohnmacht Herr ist, das zeigt sich schon kurze Zeit später. Die Passion geht weiter, sie endet keineswegs mit dem Tod Jesu am Kreuz und seinem Begräbnis. Vielmehr führt sie in seine Auferstehung von den Toten. Und bei diesem Ereignis, an Ostern, da zeigt sich, dass es die volle Wahrheit ist, was er zu Pilatus gesagt hat: „Ja, ich bin ein König“. Er ist ein König in selbstgewählter Ohnmacht, der nicht von der Gewalt lebt, sondern auf den Frieden setzt.

Die Mächtigen werden Jesus, der in seine Stadt einzieht, nicht preisen, nicht Hannas, nicht Kajaphas, weder Pontius Pilatus noch Herodes. Sie lachen über den „Eselreiter“ und schaffen ihn dann aus der Welt. Aber das letzte Wort hat eben doch ein anderer. Und wir? Auch wir sollten erkennen, dass die Maßstäbe Jesu, und darin die Maßstäbe Gottes oft ganz anders sind als die unsrigen. Vielleicht kann ja der Esel uns dies immer wieder deutlich machen und vor Augen führen.  

Herzlichst, Ihr

Bertram Bolz, Diakon

Kath. Touristen- und 

Residentenseelsorger

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