Eine kleine Teno-Runde


Mit der Magie ist das so eine Sache. Als Naturwissenschaftler halte ich mich an das, was unabhängig von Zeit, Ort und Person gilt. In meiner Welt kommt Magie nicht vor. Aber wenn ich mir einen magischen Ort vorstellen sollte, dann wäre bestimmt die Hochebene von Teno alto im Wes­ten Teneriffas ein ganz heißer Kandidat.
Verwunschen wirkt das Land, wenn die Wolken von Nordosten kommend über das Plateau geweht werden und sich plötzlich, fast wie von Geisterhand auflösen. Nach Norden blickend verschwinden die nahen vernarbten Hügel vor unseren Augen hin und wieder im weißen Nichts. Immer neue Wolken drückt der Passat gegen die Insel und zwingt sie dort, etwas aufzusteigen. Nur etwas, denn die Teno-Höhen erreichen in dieser Gegend nur etwa 800 m. Als Nebelschwaden ziehen sie über das Plateau und erreichen meistens nicht den südlichen Rand des Plateaus, wo nur der Wind bleibt und wo man die Einsamkeit in seinem leichten Rauschen hören kann. Nur selten begegnet man dort jemandem. Undurchsichtige, sich ganz plötzlich auflösende Wolken sind hier normal. Das Teno-Massiv ist eine beständige Wetterscheide, wo an fast allen Tagen der Blick über die benachbarten tiefen Schluchten hinweg weit nach Süden reicht und man bei klarer Sicht La Gomera zum Greifen nah sieht, während gleichzeitig im Norden, in kurzer Entfernung, Hügel hinter Wolkenfetzen auftauchen und wieder verschwinden.

An wolkenarmen Tagen stellt sich die Landschaft anders dar. Einsam. Wir erkennen die Spuren der jahrhundertelangen Versuche von Menschen, diesem Boden Ernten abzutrotzen. Die Hügel und auch das weite Hochtal sind von den Narbenlinien gekennzeichnet, die die in der Vergangenheit angelegten Terrassenfelder hinterlassen haben. Nur noch wenige Felder sind bewirtschaftet. Die meisten Flächen dienen als Ziegenweiden. Wenn es im Winter ausgiebig geregnet hat, sind die Wiesen satt grün und voller Blumen. Bis zum Sommer, wenn nur noch wenig nachwächst und die Ziegen alles Fressbare bis knapp über den Boden abgenagt haben, erscheint das Land gelb und braun, und wir erkennen, wie abgenutzt und ausgelaugt das Land nach jahrhundertelanger Nutzung geworden ist.
Von den Anfängen der Nutzung wissen wir zu wenig. Die Guanchen hatten bis zur Ankunft der spanischen Eroberer schon erhebliche Teile des Lorbeerwaldes gerodet, der ursprünglich die Hochfläche größtenteils bedeckt hatte. Auf den wenig steilen Flächen konnten sie Äcker anlegen und ihr Vieh weiden. Mit Ankunft der Spanier wechselten die Besitzverhältnisse; einige wenige Großgrundbesitzer, die hier mit Ländereien bedacht worden sind, versuchten, die Gegend ganz in Besitz zu nehmen; Viehzüchter hielten mit ihren Rechten dagegen. Das Land war produktiv und begehrt. Die Besitzer verpachteten ihr Land an Kleinbauern, die die Hälfte ihrer Erträge als Pacht abliefern mussten. Auf diese Weise blieb die einfache Landbevölkerung arm. Junge Männer wanderten aus Not nach Amerika aus, und manche von ihnen kehrten zurück, nachdem sie wohlhabend geworden waren und kauften das Land, auf dem ihre Eltern und Großeltern gearbeitet und gelitten hatten. Lange, sehr lange blieb Teno alto eins der wichtigsten Getreideanbaugebiete der Inseln. Nach der Ernte wurden Ziegen über die Felder getrieben, nagten ab, was noch übrig war und düngten die Erde mit ihrem Kot. Der Getreideanbau wurde in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts unrentabel. Die Ziegen blieben. Der Ziegenkäse von Teno alto gilt als besonders gut.
Als ich Teno alto zum ersten Mal erreichte, gab es weder eine Piste noch eine Straße dorthin. Das war auf Teneriffa in den 1960ern nichts Ungewöhnliches. Jedermann und ­
-frau musste entweder von Buenavista oder El Palmar auf die Hochebene hinaufsteigen und auch zurücklaufen. Außerdem gab es Verbindungswege zur Isla Baja bei Punta de Teno, nach Los Carrizales und Masca. Los Bailaderos, das kleine Dörfchen, bestand nur aus einfachs­ten kleinen Bauernhäusern, die die harte Geschichte des Lebens hier oben reflektierten. Die wenigsten existieren noch oder werden wie damals noch bewohnt. Mit der Straße machte sich der Ort in die neue Gegenwart auf.
Lange Zeit gab es nur eine kleine und eine etwas größere Bar am Ort. In beiden wurden vorwiegend regionale Produkte angeboten, vorzugsweise Landwein und Käse. In der größeren stand auch ab dem Mittag wenigstens ein großer Topf mit einer deftigen Gemüsesuppe oder einem Eintopfgericht auf dem Herd; man bekam Gofio, um ihn in die Suppe zu streuen. Hier kehrte man nach dem Aufstieg ein. Die Straße hat daran lange Zeit nichts zu ändern vermocht. In jüngerer Zeit eröffnete eine weitere Bar, und in der größeren Bar wechselten die Betreiber. Seitdem trifft man dort Gäste, die mit dem Auto kommen und vor der größeren Bar abhängen. Die Speisekarte wurde angepasst – Tapas wie überall.
Aber wenige Schritte jenseits des Dorfplatzes, bei dem rötlichen Felsen beginnt die Welt weitgehend so, wie sie schon immer war – ein bisschen magisch. In der rückwärtigen Seite des Felsens können wir die Räume eines der ersten Häuser sehen, die hier am Ende der Insel gebaut worden sind. Höhlenhäuser waren billiger und schneller aus dem Fels zu brechen – genau das Richtige für arme Leute. Einfache Steinbauten lösten die Höhlenwohnungen ab. Entlang des Weges entdecken wir zahlreiche Schutzmäuerchen im Feld, mit denen sich die Hirten vor dem kalten Wind schützten, während sie ihre Herden beobachteten. Dreschplätze und ein Brennofen für Ziegel stehen am Wegrand. Weiter hinten liegt die Käserei, wo man von frischem bis zu steinhartem und sehr altem Käse alles bekommt. Dahinter kommt noch ein Bauernhof und dann nur noch der weite Ausblick über die Barrancos. Den Bergrücken ersteigend kommen Teide und Pico Viejo in den Blick, und ein wenig weiter treffen wir auf den Weg, der uns in den Ort zurückbringt.

Michael von Levetzow
Tenerife on Top

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