Gefängnis für geschmacklose Witze


13 Twitter-Einträge brachten Cassandra Vera eine Gefängnisstrafe ein

Madrid – Eine 21-jährige Studentin ist vom Nationalen Gerichtshof am 29. März für 13 Twitter-Beiträge wegen Verherrlichung des Terrorismus und Verhöhnung der Opfer zu einem Jahr Gefängnis und mehreren Jahren Sperrung für den öffentlichen Dienst verurteilt worden. Cassandra Vera hatte in den Jahren 2013 bis 2016 taktlose humoristische Bemerkungen über das tödliche Attentat der ETA auf den spanischen Regierungspräsidenten und Franco-Vertrauten Luis Carrero Blanco gepostet.

Cassandra ist nicht die einzige Nutzerin sozialer Netzwerke, die sich unverhofft aufgrund von scherzhaften Äu- ßerungen in einem Gerichtssaal wiederfand. In jüngerer Zeit wurden fünf weitere Verfahren dieser Art angestrengt. Anfang 2017 wurde Sänger und Bandleader César Strawberry ebenfalls wegen Terror-Verherrlichung und Verhöhnung der Opfer zu einem Jahr Gefängnis und sechseinhalb Jahren Berufsverbot verurteilt. Zwei weitere Verfahren wurden eingestellt, eines endete mit Frei- spruch und eines durch Einigung mit der Staatsanwaltschaft auf ein Jahr Gefängnis und sieben Monate Berufsverbot.

Das Attentat der ETA, welches auf Luis Carrero Blanco im Jahr 1973 verübt wurde, erfolgte durch eine Bombe, die an einer üblichen Fahrtroute des Regierungspräsidenten platziert war. Die Explosion war so stark, dass sie in der Straße einen riesenhaften Krater zurückließ und das 1,8 Tonnen schwere Fahrzeug in die Luft schleuderte, sodass es im Dachgeschoss eines Klosters landete. Ein Kommentar Cassandras dazu war: „ETA begann eine Politik gegen Staatskarossen, kombiniert mit einem Raum- fahrtprogramm.“

Das Urteil gegen Cassandra, das ihr eine Vorstrafe bescherte und ihren Wunsch, Lehrerin zu werden, unmöglich machte, rief in der Öffentlichkeit heftige Kritik hervor. In den sozialen Netzwerken erklärten sich viele solidarisch und posteten ebenfalls Witze ähnlicher Art oder Beispiele für humoristische Anspielungen auf das Carrero Blanco-  Attentat aus früheren Jahrzehnten, die meist den erstaunlich weiten Flug des Autos bei der Explosion zum Inhalt hatten und damals keinerlei juristische Konsequenzen nach sich zogen. Viele der Kommentatoren wähn­ten sich durch das Urteil in die Zeiten der Diktatur zurückversetzt.

Der berühmte Komiker „El Gran Wyoming“ führte in seiner täglichen Satiresendung „El Intermedio“ vor, wie man Witze über Carrero Blanco macht, ohne sich strafbar zu machen – er erzählte die Geschichte des Attentats durch das Abspielen von mehr oder weniger passenden Musikstücken.

Pablo Iglesias, der Parteichef von Podemos, postete in seinem Twitter-Account: „Die Attentäter von Carrero wurden 1977 amnestiert (wegen der Generalamnestie für alle politischen Taten vor 1977, Anm. d. Red.). Ihre Tat wurde nie geahndet. Cassandra wird für das Twittern im Jahr 2017 härter bestraft.“

Die Enkelin von Luis Carrero Blanco äußerte sich auf eine Anfrage der Tageszeitung El País zu einem Zeitpunkt, als das Urteil noch nicht gesprochen war und die Staatsanwaltschaft zweieinhalb Jahre Gefängnis forderte – ein Strafmaß, welches nicht hätte zur Bewährung ausgesetzt werden können. Sie erklärte, die Witze zeugten von schlechtem Geschmack, doch sie fühle sich dadurch nicht verhöhnt. Die Anklage sei übertrieben, und eine Gesellschaft, in der man für die Wahrnehmung der Redefreiheit ins Gefängnis kommen könne, erschrecke sie.

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