„Lame Duck“ – Über die außenpolitischen Folgen der „Nicht-Regierung“


Die kommissarische Regierung kann internationale Abkommen nicht ins Abgeordnetenhaus einbringen. Im Ausland verliert Spanien zunehmend an Gewicht.

Madrid – „Die Kontinuität der kommissarischen Regierung wirkt sich immer gravierender auf den Einfluss Spaniens im Ausland aus. Der politische Stillstand hat dazu geführt, dass unser Land dasteht wie eine ‘Lame Duck’ (lahme Ente, Bezeichnung für einen US-Präsidenten, der noch im Amt ist, aber in Kürze aus dem Weißen Haus ausscheiden wird, und so lange innenpolitisch als handlungsunfähig gilt, Anm. d. Red.), heißt es in einem Bericht des Außenministeriums, der von der Tageszeitung El País veröffentlicht wurde. In dem „Der Preis der Nicht-Regierung“ betitelten Dokument wird weiter ausgeführt: „Die Einschränkung der diplomatischen Arbeit, der Verlust des Profils und der Kapazität zur Einflussnahme und die limitierte Entscheidungsfähigkeit wirken sich negativ auf unser internationales Ansehen aus und haben direkte materielle Kosten zur Folge. Darüber hinaus werden die von Spanien geschaffenen Lücken umgehend von den Konkurrenzländern besetzt.“

In dem El País vorliegenden Bericht werden diverse Beispiele für den zunehmenden Verlust an Gewicht auf internationaler Ebene aufgeführt.

Keine Ratifizierung internationaler Abkommen

Das Pariser Abkommen zur Verlangsamung des Klimawandels muss von 55 Staaten bestätigt werden, um in Kraft zu treten. Spanien wird wohl nicht dazu gehören, schließlich hat die kommissarische Regierung wegen fehlender Kompetenz das Abkommen noch nicht dem Abgeordnetenhaus zur Abstimmung und zum Beschluss vorgelegt. Es wurde jedoch um Prüfung gebeten, ob es nicht doch eine Möglichkeit gäbe, dass eine kommissarische Regierung eine entsprechende Eingabe machen könne.

Dabei handelt es sich nur um eines von vierzig internationalen Abkommen, die vom Abgeordnetenhaus ratifiziert werden müssten.

Dazu gehört auch der Beschluss über die Mitgliedschaft bei der Asiatischen Infrastruktur-Investmentbank, der von China ins Leben gerufenen Entwicklungsbank. Oder die Abstimmung über die Zukunft des von der NASA betriebenen Madrid Deep Space Communications Complex bei Madrid. Auch das neue Sozialversicherungsabkommen mit den USA sowie eine ganze Reihe internationaler Luftfahrtabkommen mit Indien, Mexiko oder Usbekistan warten auf eine Entscheidung.

Andere internationale Abkommen könnten selbst mit Zustimmung des Vertreters des öffentlichen Interesses nicht vom Abgeordnetenhaus ratifiziert werden, weil sie noch nicht hinreichend ausdiskutiert wurden. Dazu gehören die endgültige Abtragung der mit Plutonium verseuchten Erde beim Dorf Palomares (das Wochenblatt berichtete), die Einrichtung einer Hubschrauberbasis zur Bekämpfung des Drogenhandels auf der US-Basis Rota oder die Zusammenarbeit mit Indien in Sachen friedvolle Nutzung von Atomenergie.

Verlust an Macht und Einfluss

Aufgrund der politisch verfahrenen Situation und des Stillstandes hat sich Spanien in den vergangenen Monaten zunehmend vom internationalen Parkett zurückgezogen. Aufgrund seiner innenpolitischen Verpflichtungen hat der König seine Auslandsaufenthalte in Saudi-Arabien, Marokko, Japan oder Südkorea entweder verschoben oder sogar komplett abgesagt. Auch etliche ausländische Staatschefs verzichteten auf ihre geplanten Besuche. Wichtige bilaterale, regelmäßig einberufene Gipfeltreffen wie die mit Mexiko, der Türkei, Marokko, Frankreich, Italien, Deutschland oder Portugal wurden ausgesetzt. Die Unsicherheit über die Zusammensetzung der zukünftigen Regierung veranlasst die Partner, die Zusammenarbeit und Beziehungspflege mit Spanien derzeit ruhen zu lassen.

Gegenüber El País erklärte ein Experte, Spanien würde aufgrund der fehlenden Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit zunehmend von den Machtzentren ausgeschlossen und bei wichtigen Entscheidungen ignoriert. Der Bericht bestätigt, dass Mariano Rajoy zu zwei Gipfeltreffen über die Zukunft der Europäischen Union nach dem Brexit nicht eingeladen wurde. Bei der Zukunftsplanung würden Frankreich, Deutschland und Italien nicht auf Spanien zählen, meint der Experte.

Darüber hinaus rücken durch den Verlust an Macht und Einfluss zunehmend die ehemaligen Partner ab, deren Unterstützung das Land dringend benötigt, um die begehrten Behörden aufzunehmen, die nach dem Brexit Großbritannien verlassen werden. Dazu gehört beispielsweise die Europäische Arzneimittel-Agentur. Aber auch die Hoffnung auf Besetzung eines der beiden frei werdenden Sitze im UN-Menschenrechtsausschuss, um die sich auch Australien und Frankreich bewerben, schwindet zusehends.

Folgen für die Wirtschaft

Doch auch auf den mittleren und unteren Stufen der Diplomatie wird Spanien zunehmend ausgegrenzt. Die diplomatischen Vertreter werden auffallend selten eingeladen. Das hat zur Folge, dass bei öffentlichen Vergabeverfahren die von den diplomatischen Vertretungen anderer Länder unterstützten Unternehmen im Vorteil sind. Darüber hinaus wächst die Zahl der Botschaften, die neu besetzt werden müssen.

Häufig stehen große Aufträge auf dem Spiel. In Kanada bewerben sich spanische Unternehmen um ein 60 Milliarden Euro schweres Infrastrukturprogramm. In Australien kämpft das Rüstungsunternehmen Navantia um einen Auftrag zum Bau von Fregatten.

Diverse Sanktionen drohen

Bereits seit neun Monaten dauert dieser Zustand der Beschränkung der Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit an. In dieser Zeit haben sich 18 EU-Richtlinien angesammelt, und bis Jahresende könnten es 36 sein, die dringend umgesetzt werden müssen, andernfalls drohen harte Strafen.

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