Mörder von Atocha frei

Carlos Juliá musste nur einen Bruchteil der Strafe absitzen. Foto: EFE

Carlos Juliá musste nur einen Bruchteil der Strafe absitzen. Foto: EFE

Carlos Juliá war 1980 zu 193 Jahren Haft verurteilt worden

Madrid – Der 24. Januar 1977 war ein Meilenstein für die Demokratisierung Spaniens. An diesem Montagabend stürmten fünf bewaffnete rechtsradikale Franco- Anhänger das Büro der Gewerkschaft Comisiones Obreras, die der damaligen illegalen Kommunistischen Partei Spaniens nahestand.
„Alle schön zusammen und die Hände hoch“ waren die letzten Worte, welche die anwesenden Anwälte, ein Verwaltungsangestellter und ein Student hörten, bevor sie von den Eindringlingen, welche Pistolen trugen, erschossen wurden. Weitere vier Menschen erlitten schwere Verletzungen. Die Mörder waren eines der vielen Kommandos, die im Namen der franquistischen Partei Fuerza Nueva alle „Feinde des Heimatlandes“ ausmerzen sollten, um die Grundlage der jungen spanischen Demokratie aus dem Gleichgewicht zu bringen. Nach dem Überfall hielten die Mörder, ihrer politischen Kontakte sicher, eine Flucht für überflüssig.
Zwei Monate nach dem Blutbad wurden sie dann doch verhaftet. Der Angeklagte Carlos Garcia Juliá versuchte erfolglos, noch vor dem Prozess aus dem Gefängnis zu fliehen.
1980 erging das Urteil, durch das Garcia Juliá zu 193 Jahren Haft verurteilt wurde. Gemäß den seinerzeit gültigen Gesetzen lag das höchste Strafmaß bei 30 Jahren, sodass Garcia Juliá 1991 auf Bewährung freigelassen wurde.
Ein Jahr später bekam er die Genehmigung zur Ausreise nach Paraguay, wo er angeblich eine Arbeit gefunden hatte. Der Auflage, sich monatlich bei der spanischen Botschaft von Asunción zu melden, kam er niemals nach. Nach 25 Jahren Flucht durch Südamerika wurde er Ende 2018 in Sao Paulo, wo er als Taxifahrer tätig war, festgenommen. Zurück in Spanien hätte er noch 3.855 Tage einsitzen müssen. Nun hat das Landgericht von Ciudad Real entschieden, dass Garcia Juliá am 19. November freigelassen wird.
Eine vollkommen unverhältnismäßige Entscheidung, erklärt Cristina Almeida, die Anwältin der Hinterbliebenen und bekannten Aktivistin der seinerzeitigen verbotenen Kommunistischen Partei Spaniens. In ihrem Appell spricht sie von Desinformation und der Missachtung der Hinterbliebenen, die weder von dem 1979 gescheiterten Fluchtversuch vor dem Prozess noch über die Reduzierung der Haftstrafe wegen guter Führung informiert wurden.
Denn schon kurze Zeit nach seiner Inhaftierung wurden ihm, trotz des ersten Fluchtversuches, Vorteile in Form von Strafverringerungen gewährt, die auch nach seinem 25jährigen „Untertauchen“ nicht widerrufen wurden.
In der Überzeugung, dass der Oberste Spanische Gerichtshof unter dem Einfluss der aktuellen Regierungskoalition steht, beantragte der Anwalt von Juliá die Verlegung der Strafsache an das Landgericht von Ciudad Real. Dort war gegen ihn seinerzeit eine Strafe von drei Jahren wegen des Fluchtversuchs von 1979 verhängt worden. Am 7. Mai erließ dieses Gericht den Beschluss zur Entlassung aus dem Gefängnis für den 19. November.
Opfer und Hinterbliebene erfuhren erst über die Presse von der Entscheidung und legten Einspruch ein, der jedoch abgelehnt wurde.
In einem am 14. Juli erlassenen Beschluss erkennen die Richter die „Verblüffung und Widersprüchlichkeit“ darüber an, dass die Flucht aus dem Gefängnis die vorher zugestandene Strafreduzierung nicht aufhebt, berufen sich aber auf die derzeitigen Gesetze.
Die Überlebenden des Attentats fühlen sich von der Justiz im Stich gelassen. Ein letzter Versuch, gehört zu werden, soll der Einspruch sein, den Cristina Almeida beim Verfassungsgericht eingereicht hat. „Die Rücksichtslosigkeit hat meinen Klienten großen moralischen Schaden und viel Leid zugefügt. Sie haben sich angesichts dieser schweren Tat vom Staat verlassen gefühlt. Es handelt sich nicht um das einzige zugefügte Leid der rechtsradikalen Fraktionen in den Jahren der Demokratisierung unseres Landes,“ erklärte sie.

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