» Nach Abicore «


Geschichten. Geschichte. Alles hat Geschichte. Manchmal gibt es Geschichten darüber. Oder Legenden. Auf Teneriffa mag man Legenden. Sie sind manchmal schwer von der Geschichte, von den tatsächlichen und belegbaren Ereig­nis­sen zu trennen. Wanderer begegnen der Geschichte des Ortes. Aber nur an wenigen Stellen sieht man dem Ort seine Geschichte und seine Geschichten an.

Abicore nannten die Guanchen vor der Eroberung Teneriffas den Mündungsbereich zweier Barrancos im Anaga-Gebirge. Einen Landstrich, umgeben von hohen Bergen, in dem sich schon damals gut leben ließ. Die Berge schlossen ihn auch gegen den Rest der Insel ab. Obwohl an der Küste gelegen, blieb er bis ins späte 19. Jahrhundert nur auf Bergwegen oder über das Wasser erreichbar. Heute erreicht man ihn von Santa Cruz aus mit dem Auto auf der Schnellstraße in wenigen Minuten. Vor allem an den Wochenenden nutzen viele Haupt­s­­tädter diese Möglichkeit, um dort am Strand einige Stunden zu verbringen.

Der Camino de Abicore beginnt in Taganana. Am besten fahren wir morgens mit dem Bus aus Santa Cruz dorthin, steigen beim Ort aus und gehen Richtung Kirche. Sollte diese geöffnet sein, lohnt sich eine kurze Besichtigung; denn ein wertvolles flämisches Triptychon erinnert daran, dass der Ort in der Epoche, als man hier Zuckerrohr anbaute und verarbeitete, reich geworden ist. Zucker hatte die Landbesitzer so reich gemacht, dass sie in Europa Spitzenkunstwerke der damaligen Zeit kaufen konnten. Auch die gotische Statue der Schutzheiligen des Ortes, Nuestra Señora de las Nieves, gelangte auf diese Weise hierher. Die anderen Kunstwerke der Kirche sind jünger, haben aber auch ihre Geschichten.

Unser Weg beginnt an der Rückseite der Kirche, wo schräg gegenüber ein Gasthaus uns noch mit einem schnellen Kaffee oder einem zweiten Frühstück versorgen kann. Der Camino de Abicore führt von dort durch die Gasse bergauf. In und um Taganana wachsen zahlreiche Drachenbäume und erinnern uns daran, dass wir uns auf dieser Höhenstufe in einer Zone mit Mittelmeerklima befinden. Unter anderem deshalb besiedelten die Eroberer und Einwanderer bevorzugt die Gegenden, die auf der ganzen Insel als „Medianías“, als der mittlere Hang, bezeichnet werden. Das Klima waren sie aus ihrer alten Heimat gewöhnt – und ihre mitgebrachten Nutzpflanzen auch. Die ursprüngliche Pflanzengesellschaft der Medianías, der wärmeliebende Trockenwald, ist dadurch heutzutage auf die wenigen Flächen zusammengeschrumpft, die unerschließbar waren. Es war eine sehr artenreiche Pflanzengesellschaft, noch artenreicher als der Lorbeerwald, der hier ganz in der Nähe bei El Pijaral die höchste bekannte Artenvielfalt aufweist. Kanarische Palmen, Drachenbäume und Wacholder sind für diese Landschaft typisch. Vor allem wenn sie wild wachsen.

Schon bald sehen wir links von uns einen prächtigen Drachenbaum mit breiter Krone und mehr als fünf Metern Stammumfang. Etwa 250 Jahre soll er alt sein und steht vor dem alten, heute anscheinend unbewohnten, herrschaftlich anmutenden Pfarrhaus. Unser Weg führt zwischen Wiesen und Äckern immer weiter den Hang hinauf, nie zu steil oder unbequem. Schließlich war dies einmal der wichtigste Verbindungsweg von Taganana zum Rest der Insel. Die meisten Felder werden nicht mehr bewirtschaftet und verwildern, ein Zeichen des Strukturwandels, den die Insel durch den wachsenden Tourismus erlebt.

Noch bevor wir den Monteverde mit seinem Lorbeerwald erreichen, können wir rechts auf dem nächsten Hang eine Anzahl Wacholderbüsche (Sabina) erkennen. Dort wächst der größte noch erhaltene Sabinar (Wacholderwald) Teneriffas und zeigt uns, dass wir die Zone des wärmeliebenden Trockenwaldes noch nicht verlassen haben. Nach einem kurzen Abschnitt durch schattige Laurisilva erreichen wir den höchsten Punkt unseres Weges bei der Höhenstraße. Bis hierher war der Weg nicht befahrbar, und so geht es auch jenseits weiter. Die dort ebenfalls beginnende Piste müssen wir also meiden und den kleinen Weg nehmen, der gleich rechts bei ihrem Beginn abwärts in den Barranco del Cercado führt. Bald treffen wir auf einen kleinen, lebhaften Bach, der nach stärkeren Regenfällen durchaus auch viel Wasser führen kann. Ihm folgen wir durch den Wald bis hinunter zu unserem Ziel. Die Vegetation ist hier sehr üppig und, abgesehen von ein paar kleinen Bauernhöfen, weitgehend unbeeinflusst. Wo sich das Tal weitet, erreichen wir den größten natürlichen, noch erhaltenen Palmenhain (Palmeral) der Insel. Jetzt haben wir es nicht mehr weit. Von links kommt der Barranco de Las Huertas und vereinigt sich mit unserem. Er ist wesentlich breiter. Sein Name verweist darauf, dass schon kurz nach der Eroberung dort Gärten (huertas) angelegt worden sind. Vorher nannte man ihn nach dem Conquistador, der mit diesem Landstrich für seine Verdienste belohnt wurde, Valle de Salazar. Bei den Guanchen hieß er Abicore. Dass der Camino de Abicore aber nicht durch ihn, sondern im benachbarten Barranco del Cercado verläuft, hängt damit zusammen, dass es dort nicht so steil ist. Die Ureinwohner und alle, die später kamen, wollten es nicht unnötig schwer haben.

Am Ende gelangen wir zu einem runden, eingestürzten Fes­tungsbau. Kein kriegerisches Ereignis hat ihn zur Ruine gemacht. Von hier wurden Nelsons Schiffe bei ihrem Rückzug beschossen und einige schwer beschädigt. Er fiel dem tosenden Wasser zum Opfer, das selten genug, aber dann umso heftiger, nach starken Regenunwettern die beiden Barrancos hinabschießt. Zwei Vorgänger hatte der Turm. Beide wurden ebenfalls durch Wasser zerstört und wieder aufgebaut. Wir erreichen den malerischen Ort und seinen hellen Strand. In Abicore wurde durch Lope García de Salazar schon 1518, also kurz nach der Conquista, eine Kirche gegründet und dem heiligen Andreas gewidmet. Von ihr erhielt der Ort seinen Namen: San Andrés.

Michael von Levetzow
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