Pflegemutter droht ein Jahr Haft


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Nachspiel eines Skandals um die Vormundschaft eines kleinen Mädchens

Soledad Perera hatte sich 2007 nach der Annullierung des Adoptionsverfahrens geweigert, ihre fünfjährige Pflegetochter dem Jugendamt zu überlassen, um das Kind nach eigenen Angaben vor weiterem Schmerz zu bewahren – Das Mädchen hat mehr als die Hälfte seines Lebens im Heim verbracht.

Nachdem es von seiner leiblichen Mutter zurückgefordert worden war, gab diese ihr Kind Ende 2008 erneut in ein Heim. Vor Gericht musste sich nun die Pflegemutter wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt verantworten.

Am 26. Februar fand vor dem Strafgericht Nummer 1 in Las Palmas de Gran Canaria die Verhandlung gegen Soledad Perera statt. Soledad und ihr Mann haben drei Kinder und sind sozial engagiert. Vor zwei Jahren geriet die Familie aus La Orotava wegen ihres erbitterten Kampfes um das Sorgerecht eines Pflegekindes in die Schlagzeilen (das Wochenblatt berichtete). Soledad und ihr Mann weigerten sich, auch auf richterlichen Befehl hin, das Mädchen, das sie im Rahmen eines Pflegschaftsverhältnisses mit dem Ziel der Adoption aufgenommen hatten, herauszugeben. Die leibliche Mutter hatte Anspruch auf das Sorgerecht ihrer Tochter erhoben, und vom Gericht in Las Palmas de Gran Canaria Recht bekommen. Es begann ein Tauziehen um das Sorgerecht, das schließlich damit endete, dass Piedad (fiktiver Name des Kindes) mit einem gewaltigen Aufgebot an Polizeikräften aus dem Haus ihrer Pflegeeltern geholt wurde.

Ende Februar musste sich Soledad Perera zum zweiten Mal vor Gericht wegen Ungehorsams und Widerstands gegen die Staatsgewalt verantworten. Die Staatsanwaltschaft beharrte auch bei diesem Prozess auf einem Jahr Haft, wobei noch unklar ist, ob die Gerichtsverhandlung überhaupt Gültigkeit hat. Der Anwalt von Soledad Perera hat moniert, dass die Richterin die Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchführte, ohne dies zuvor angekündigt zu haben, was nicht rechtens sei. Die Pflegemutter von Piedad war wegen ihres Ungehorsams schon zuvor vor Gericht gestellt und zu acht Monaten Haft verurteilt worden. Die Strafe wurde bislang nicht vollzogen, weil sie unter einem Jahr liegt und kein zweiter Schuldspruch vorliegt. Sollte Soledad nach dem Gerichtstermin am 26. Februar für schuldig befunden werden und tatsächlich die von der Staatsanwaltschaft geforderte Verurteilung zu einem Jahr Haft erfolgen, wird die Frau womöglich doch eine Gefängnisstrafe absitzen müssen. Andernfalls könnte sie mit einer Geldstrafe davonkommen.

Soledads Anwalt Eligio Hernández, ehemaliger Generalstaatsanwalt, regte sich im Anschluss an die Verhandlung auf: „So viele juristische und verwaltungstechnische Fehler wie im sogennanten Fall Piedad begangen wurden, habe ich in meiner gesamten Erfahrung als Richter, Staatsanwalt und Anwalt noch nie erlebt.“  Er fordert die Einstellung des Verfahrens.

Teilauslöser der Lawine, die bei Gericht ganze Papierstapel füllt, waren unter anderem verschiedene Formfehler im Adoptionsverfahren. Einerseits wurde die leibliche Mutter nicht rechtzeitig davon in Kenntnis gesetzt, dass ihr Kind bei einer Pflegefamilie lebt. Andererseits erfolgte das Pflegschaftsverhältnis mit dem Ziel der Adoption ohne Genehmigung durch einen Richter. Ausbaden muss diesen Fehler bis heute das Kind.

Die einzige Familie die sie kannte

Piedad kam bereits im Alter von sieben Monaten erstmals in ein Heim, nachdem das Jugendamt der leiblichen Mutter das Kind abgenommen hatte, weil diese mit ihrem Baby auf der Straße lebte. Das Mädchen wuchs im Kinderheim auf bis ein Pflegschaftsverhältnis mit dem Ziel der Adoption eingeleitet wurde. Das Mädchen wurde Soledad Perera und ihrem Mann in Adoptionspflege gegeben. Sie lebte sich nach Aussage der Pflegemutter wunderbar ein und fühlte sich zum ersten Mal in ihrem Leben geborgen, umsorgt und glücklich. Sie kannte keine andere Familie, keine andere Mutter. Zwei Jahre lang lebte Piedad bei ihrer Pflegefamilie in La Orotava. Dann kam die Hiobsbotschaft: Die biologische Mutter hatte gegen das eingeleitete Adoptionsverfahren Einspruch erhoben und verlangte nach ihrem Kind. Das Gericht befand die Frau für rehabilitiert, ihre Lebensverhältnisse für stabil und sprach ihr das Sorgerecht zu.

Piedad sollte erneut in ein Heim und durch ein Mutter-Kind-Zusammenführungsprojekt wieder Kontakt zu ihrer leiblichen Mutter bekommen, zu der sie schließlich zurückkehren sollte.

Ángeles S.: „Sie ist in einem Internat, weil sie zurechtgebogen werden muss“

Fast gewaltsam wurde das damals fünfjährige Mädchen aus ihrer Pflegefamilie gerissen. Jeglicher Kontakt wurde untersagt. Soledad Perera sagt heute, dass sie Piedad seit dem 10. März 2007 nicht mehr gesehen hat. Sie weiß aber, dass die Kleine – mittlerweile sieben Jahre alt – wieder in einem Kinderheim in Las Palmas ist. Die biologische Mutter, Ángeles Suárez, hatte das Kind nach einer mehrmonatigen Angewöhnungszeit zu sich genommen. Im Oktober 2008 wurde sie von ihrer Mutter, bei der sie mit ihrer Tochter untergekommen war, auf die Straße gesetzt und gab das Kind freiwillig in ein Heim. Der Zeitung „La Provincia“ gestand sie vor wenigen Tagen in einem Interview: „Sie ist in einem Internat [ihre Bezeichnung des Kinderheims. Anm. d. Red.], weil sie zurechtgebogen werden muss und eine Disziplin lernen muss, die sie nicht kannte. Diese Schule ist ein Segen und wenn die Regierung die Kosten übernimmt, umso besser, denn ich habe kein Geld.“

Die Kinderschutzorganisation Prodeni (Pro Derechos del Niño y la Niña) hält diese Äußerungen und die Tatsache, dass Ángeles Suárez ihr Kind erneut in die Obhut eines Heims gegeben hat für aussagekräftig genug, um bei der Staatsanwaltschaft den Entzug des Sorgerechts zu beantragen. Die Mutter selbst habe damit zugegeben, dass sie nicht in der Lage ist, für ihr Kind zu sorgen, argumentiert Prodeni in einem Schreiben an den Oberstaatsanwalt der Provinz Las Palmas. Die Kinderschutz­organisation hat sich von Anfang an auf die Seite der Pflegefamilie gestellt und gefordert, dass Piedad nicht zur ihrer biologischen Mutter zu­rückkehrt.

Der Fall Piedad schlug 2007 auf den Kanaren und sogar spanienweit hohe Wellen und auch jetzt wird wieder heftig debattiert. Kritik hagelte es aus verschiedensten Richtungen. Insbesondere wird dem Gerichtshof in Las Palmas angekreidet, bei seinen Urteilen das Wohlergehen des Kindes zu wenig zu berücksichtigen. Prodeni erstattete seinerzeit Anzeige bei der Generalstaatsanwaltschaft. Unter anderem wegen des unverhältnismäßigen Einsatzes von Polizeikräften bei der Abholung des Kindes sowie wegen der Verletzung der Rechte des Kindes, das nach Ansicht von Prodeni „letztlich zu einem bloßen Streitobjekt“ wurde.

„Ich bin keine Verbrecherin“

Soledad Perera verließ den Gerichtssaal am 26. Februar mit hängendem Kopf und sichtlich traurig und enttäuscht. „Bis jetzt habe ich nicht ein Mal die Gelegenheit bekommen, über das Geschehene vor einem Richter zu sprechen und auch dieses Mal ist es dabei geblieben. Immer wenn ich versuchte, meine Gefühle und Gedanken zu erklären, wurde es mir untersagt. Es war eine sehr schwere Anhörung und ich kann nur sagen, dass ich keine Verbrecherin bin. Ich habe immer nur versucht, Gutes zu tun“, bedauerte sie.

Soledad Perera hat im Verlauf dieses bedauerlichen Streits um das Sorgerecht immer wieder beteuert, dass ihr lediglich das Wohl des Kindes am Herzen liegt. „Ein Kind mit fünf Jahren hat das Recht, angehört zu werden, was in ihrem Fall nie geschehen ist. Nicht einmal wir, die wir bis zu diesem Zeitpunkt ihre Eltern gewesen waren, wurden vorgeladen geschweige denn angehört“, lautet ihre Anklage. Sie habe diesen Fall nie wie einen Streitfall unter Erwachsenen betrachtet, „denn das Kind ist niemandes Eigentum“.

Tatsächlich scheint das Kind zum Spielball der Justiz geworden zu sein. Es wirkt so, als versuche man, mit diesem Fall ein Exempel zu statuieren. Dabei scheint das Wohlergehen des Kindes zweitrangig.

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