Richter und Staatsanwälte protestieren


© EFE

Strafrechtsreform

Spanische Richter und Staatsanwälte stellen sich in seltener Einigkeit nahezu geschlossen gegen das neue Strafrecht, welches im September allein mit den Stimmen der Regierungspartei PP verabschiedet wurde und am 6. Dezember in Kraft treten soll.

Die Berufsverbände der Richter und der Staatsanwälte, ob konservativ oder fortschrittlich, sind vor allem gegen die Einführung von Fristen für gerichtliche Ermittlungsverfahren. Sechs Verbände haben eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht, in welcher sie fordern, das Inkrafttreten des reformierten Strafrechts auszusetzen, weil es ein „ley de punto final“, ein „Schlusspunktgesetz“ sei. Gemeint ist damit, dass durch die Befristung der Dauer eines Untersuchungsverfahrens zahlreiche Anklagen wegen Zeitüberschreitung eingestellt werden müssten, und so zum Teil schwerwiegende Vergehen ungeahndet bleiben würden. Da das Gesetz auch für schon laufende Verfahren rückwirkend gelten soll, müssten etliche aktuelle Fälle am 6. Dezember unvollendet zu den Akten gelegt werden. 

Die nach der Strafrechtsreform vorgesehene zulässige Zeitspanne für ein Untersuchungsverfahren beträgt sechs Monate, für komplexe Fälle 18 Monate. Diese Fristen können verlängert werden, jedoch nur, wenn der Staatsanwalt dies fordert. Der leitende Untersuchungsrichter kann die Verlängerung nicht erwirken. 

Dieser Umstand ergibt sich aus dem Versuch der spanischen Regierung, die Untersuchungsphase eines Prozesses nicht mehr von einem Richter, sondern von einem Staatsanwalt leiten zu lassen. Mit diesem Vorhaben scheiterte der zurückgetretene Justizminister Ruíz Gallardón, und von diesem Reformversuch blieb nur diese widersprüchliche Aufgabenteilung zwischen Richter und Staatsanwalt übrig. Diese löst Kritik aus, nicht nur im Hinblick darauf, dass dem leitenden Richter ein Teil der Kontrolle über das Verfahren entzogen und eine Verwirrung der Kompetenzen erzeugt wird, sondern auch, weil die Staatsanwaltschaft so eine „Monopolstellung“ erhält und deren oberste Autorität, der Generalstaatsanwalt, von der jeweiligen Regierung eingesetzt wird. Die Befürchtung liegt nahe, dass so den zahlreichen missliebigen Korruptionsprozessen, mit denen die derzeitige Regierung zu kämpfen hat, durch politischen Einfluss das Wasser abgegraben werden kann. Viele dieser Prozesse werden ohnehin zum 6. Dezember wegen Überschreitung des Untersuchungszeitraumes rückwirkend ausgehebelt werden. 

Noch nie zuvor haben so viele Verbände von Richtern und Staatsanwälten gemeinsam eine Erklärung abgegeben. Darüber hinaus haben über 1.000 Staatsanwälte (von insgesamt 2.500 in ganz Spanien) einen ähnlich gehaltenen offenen Brief unterzeichnet. Einzig eine konservative Richtervereinigung „Asociación Profesional de la Magistratura“ sprang im letzten Moment ab, jedoch nur um eine eigene Erklärung abzugeben, die nicht nur einen Aufschub, sondern ganz klar eine Abänderung des soeben verabschiedeten Gesetzes fordert. 

Mit Inkrafttreten des neuen Strafgesetzes Anfang Dezember droht in den ohnehin überlasteten Gerichten endgültig das Chaos auszubrechen. Alle laufenden Fälle müssen dann nach den neuen Kriterien überprüft werden, zusätzlich zur normalen Arbeitslast und – so steht es ausdrücklich im Gesetz – ohne eine Aufstockung der zur Verfügung stehenden Mittel. 

Sogar die von der Regierungspartei PP ernannte Generalstaatsanwältin Consuelo Madrigal stellt die Strafrechtsreform infrage. In einer Anweisung zur Interpretation des Gesetzes, die an alle Staatsanwaltschaften ging, wies sie auf zu erwartende Schwierigkeiten bei der Anwendung des Gesetzes hin und sprach von einer zweifelhaften Abfassung des Textes. 

Justizminister Rafael Catalá will in einem Treffen mit dem Staatsanwaltsrat seinen Standpunkt erläutern und den Juristen das Gesetz erklären. Seinen Aussagen nach bedeutet der Ablauf von Fristen nicht unbedingt die Einstellung eines Falles, und für die rückwirkende Anwendung des Gesetzes stehe schließlich ein Zeitraum von acht Monaten zur Verfügung. Die Politik hat offensichtlich nicht vor, auf die Forderungen der Richter und Staatsanwälte einzugehen. Catalá schreibt den Widerstand dem Umstand zu, dass „jede Veränderung der Arbeitsweise Unsicherheit erzeugt“.

Über Wochenblatt

Das Wochenblatt erscheint 14-tägig mit aktuellen Meldungen von den Kanaren und dem spanischen Festland. Das Wochenblatt gilt seit nunmehr 36 Jahren als unbestrittener Marktführer der deutschsprachigen Printmedien auf den Kanarischen Inseln.