Bankmanager, Aufsichtsratsmitglieder, Parteien aller Couleur und Gewerkschaften saßen beim Abzocken im gleichen Boot
Der Herbstanfang ist in Spanien von einem neuerlichen Banken-Skandal geprägt, der weite Kreise zieht. Ausgerechnet Bankia, jene Bank, die mit ihrem drohenden Zusammenbruch 2012 die Wirtschaftskrise in Spanien in einen neuen Tiefpunkt trieb und vom Steuerzahler mit sage und schreibe 24 Milliarden Euro gerettet werden musste, hat sich als Selbstbedienungsparadies für diejenigen entpuppt, die das angeschlagene Bankhaus hätten auf Kurs bringen bzw. kontrollieren sollten.
Madrid – Mindestens zehn Jahre lang, bis ins Jahr 2012, als José Ignacio Goirigolzarri nach der Verstaatlichung und Rettung des Geldinstituts die Führung übernahm, haben Berater und hochrangige Manager der Sparkasse Caja Madrid, die seit dem Zusammenschluss mit sechs kleineren Kassen im Jahr 2010 unter der neuen Marke Bankia firmiert, über die schwarzen Kreditkarten 15,5 Millionen Euro für private Zwecke verjubelt. Und das in einer Zeit, als sich der bevorstehende Zusammenbruch des Geldhauses schon abzeichnete. Sogar noch nach dem eigenen Ausscheiden aus der Bank waren einige ehemalige Führungsmitglieder noch kaltschnäuzig genug, die Karte monatelang weiter zu nutzen.
Eine interne Wirtschaftsprüfung, die der heutige Bankia-Chef José Ignacio Goirigolzarri bei seinem Amtsantritt 2012 in Gang setzte, förderte den Skandal um die „Geister-Kreditkarten“ (tarjetas fantasma) zutage, die „außerhalb der normalen Rechnungskreise“ existierten. Diese Karten standen den Begünstigten mit verschiedenen Monats- und Jahreslimits zur Verfügung, ohne dass gegenüber dem Unternehmen Rechenschaft über die Ausgaben abgelegt werden musste, wie es bei Spesenaufwendungen der Fall ist. Tatsächlich hatte jeder der Inhaber der schwarzen Kreditkarten noch eine weitere Karte für Repräsentationskosten, über deren Verwendung die üblichen Belege erbracht werden mussten. Damit wären die mit der „Geister-Karte“ getätigten Privatausgaben als Gehaltszusätze zu werten und hätten versteuert werden müssen, was keiner der insgesamt 86 Begünstigten je getan hat.
Der eigentliche Skandal jedoch ist, dass sich hier offenbar nahezu all jene gemeinsam bedient haben, die sich hätten gegenseitig kontrollieren sollen. Außer den Bankmanagern waren Aufsichtsratsmitglieder – Regionalpolitiker der konservativen Partido Popular, der Sozialisten (PSOE), der vereinigten Linken (IU) ebenso wie Repräsentanten der beiden Gewerkschaften UGT und CCOO – mit von der Partie.
Nun befindet sich der Fall in den Händen der Antikorruptions-Staatsanwaltschaft. Der Untersuchungsrichter des Nationalen Gerichtshofes Fernando Andreu, der auch den „Fall Bankia“ leitet und mit der Aufklärung der Unregelmäßigkeiten bei der Fusion und dem Börsengang von Caja Madrid/Bankia betraut ist, hat für den Fall der „Geister-Karten“ ein eigenes Verfahren eröffnet.
Organisierte Selbstbedienung
Den Reigen der Abzocker führen mit Ausgaben von weit über 400.000 Euro drei Männer aus der Führungsspitze der früheren Caja Madrid an, Miguel Blesa de la Parra, Idelfonso José Sánchez Barcoj und Ricardo Morado Iglesias sowie José Antonio Moral Santín, Mitglied des Verwaltungsrates und der Kontrollkommission, der gleichzeitig Gründungsmitglied der Vereinigten Linken (IU) ist.
Miguel Blesa war dreizehn Jahre lang, bis 2010, Direktor von Caja Madrid. Er macht Schlagzeilen, weil er 9.000 der insgesamt 437.000 Euro, die er über die schwarze Kreditkarte ausgab, in eine Safari in Afrika investierte. Bilder seines Imponiergehabes mit Gewehr und getöteten Exoten zieren Zeitungsseiten im ganzen Land. Weiterhin gab er 10.000 Euro in einer bekannten Wein- und Sektkellerei in Madrid aus, kaufte Luxusuhren und -kleidung, beglich Rechnungen in den teuersten Restaurants von Madrid und tätigte auch Barabhebungen. Durchschnittlich belastete er die schwarze Karte mit 54.600 Euro jährlich.
Idelfonso José Sánchez-Barcoj war die rechte Hand von Blesa und mit der Verwaltung und Zuteilung der schwarzen Kreditkarten betraut. Diese wurden getrennt von allen anderen Kreditkarten des Bankhauses geführt, und die Ausgaben gingen zu Lasten eines Buchhaltungskontos, aus dessen Benennung und Führung sich der Zweck der Ausgaben nicht ablesen ließ. Sánchez, der ohnehin schon ein Gehalt von 2,43 Millionen Euro jährlich erhielt, soll seine eigene „Geister-Kreditkarte“ mit insgesamt 574.000 Euro belastet haben. Allein 180.000 Euro davon wurden bar abgehoben und 100.000 Euro im Luxuskaufhaus Corte Inglés ausgegeben. Darüber hinaus kommen auf dem Auszug seiner Kreditkarte Ausgaben aller Art vor, von Alltagseinkäufen bis hin zu Aufenthalten in Luxushotels.
Von den 448.000 Euro, die Ricardo Morada, Direktor für Organisation und Systeme, verbrauchte, wurde der Löwenanteil, 396.000 Euro, in bar abgehoben. Und auch der Vize-Präsident der Caja Madrid und Repräsentant der Partei Vereinigte Linke (IU), aus der er mittlerweile ausgeschlossen wurde, José Antonio Moral Santín, hat 366.000 der 456.000 Euro, mit denen er die Karte belastete, in bar abgehoben, darüber hinaus sind in seiner Kreditkartenabrechnung unter anderem 389 Restaurantbesuche aufgelistet.
Skandalös auch der Fall von Estanislao Rodríguez-Ponga, der als ehemaliger Staatssekretär des Finanzministeriums für die Konservative Partei PP im Aufsichtsrat saß und 255.000 Euro mit der schwarzen Karte ausgab.
Wie aus dem Bericht der Wirtschaftsprüfung hervorgeht, wurden unter den Repräsentanten der Parteien und Gewerkschaften diejenigen mit der Lizenz zum Geldausgeben bedacht, die als Meinungsführer eingeschätzt wurden und das Wahlverhalten der anderen, des „einfachen Volkes“, entscheidend beeinflussten. Das Ausmaß, in dem sich die Mitglieder der Aufsichtsgremien und der Geschäftsleitung bedient haben, ist sehr unterschiedlich und reicht von 1.100 bis 574.000 Euro.
Schwarze und weiße Schafe
Die Enthüllungen um die schwarzen Kreditkarten der Funktionäre von Caja Madrid/Bankia reißen nicht ab, und es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ein ehemaliger Nutzer der „Geister-Karten“ von seinem heutigen Posten in den Partei- und Regierungsämtern, Aufsichtsräten oder der Chefetage seines aktuellen Arbeitgebers zurücktritt. Mittlerweile haben zahlreiche Politiker aus allen wichtigen spanischen Parteien und Funktionäre der beiden großen Gewerkschaftsdachverbände UGT und CCOO ihre Posten freiwillig oder gezwungenermaßen zur Verfügung gestellt.
Richter Andreu wird zunächst nur gegen diejenigen Klage erheben, die das System der schwarzen Kreditkarten bei Caja Madrid etabliert haben – die beiden ehemaligen Präsidenten von Caja Madrid und Bankia, Miguel Blesa und Rodrigo Rato, der dank seiner kurzen Präsidentschaft „nur“ 99.037 Euro verbrauchte, sowie dessen rechte Hand Ildefonso Sánchez-Barcoj.
Ein kleiner Lichtblick in diesem Sumpf aus Bereicherung und Pflichtvergessenheit sind die vier Besitzer von schwarzen Kreditkarten, welche ihre „Privilegien“ nicht genutzt haben. Es handelt sich um Félix Manuel Sánchez von der Gewerkschaft UGT, Íñigo María Aldaz Barrera, Bank-Manager, Esteban Tejera Montalvo, Präsident der Versicherungsabteilung von Caja Madrid und Francisco Verdú, leitendes Verwaltungsratsmitglied von Bankia nach 2010.
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