Streifzüge – ein Museum erzählt: Die Heilkunde der Guanchen


Standort: Zweite Etage, Arqueología, Área 3.3 und 3.4

Kannten und benutzten die Guanchen Heilpflanzen? Vermutlich ja. Aber wieder einmal wissen wir nichts Genaues. In einigen überlieferten, aber wenig verlässlichen Quellen wird „Chacerquen“ erwähnt, der „Honig“ des Mocáns, eines endemischen Teestrauchgewächses. Er wurde aus seinen Früchten gewonnen und kann zur Blutstillung und Entzündungshemmung benutzt werden. Ebenso erwähnen die Berichte die Verwendung des „Drachenbluts“, des Safts des Drachenbaums. Er verfärbt sich an der Luft rot und hilft bei der Wundheilung. Ob die Ureinwohner weitere heilkräftige Pflanzen kannten und anwendeten, können wir leider nur vermuten. Für Archäologen und Anthropologen ist jedoch von besonderem Interesse, möglichst gut zu wissen, ob es Heilkunde in einem vergangenen Volk gab, wie erfolgreich diese war und wie man mit Kranken und Verletzten umging. Wie schon bei anderen Fragen helfen uns dabei die Untersuchungen der Knochen weiter. Im Gegensatz zu Weichteilen bleiben sie als Überreste Verstorbener sehr lange erhalten und geben ab und zu Aufschluss über das, was dieser Person im Leben widerfahren ist.

Relativ häufig stoßen wir bei der Betrachtung bestimmter Knochen auf verheilte Brüche. Auffällig ist eine ungewöhnlich hohe Zahl von Schädelbrüchen. Sie betrafen rund 10% der Bevölkerung und sind in der Mehrzahl die Folge gewalttätiger Auseinandersetzungen. Die Neubildung von Knochenmaterial an den verletzten Schädelpartien belegt zweifelsfrei, dass in 85% dieser Fälle die Betroffenen die Schlägerei überlebt haben. In einigen Vitrinen finden sich Beispiele dafür.

Arm- und Beinbrüche waren seltener und in der Regel die Folge von Unfällen. Sie geben uns einen Hinweis auf Fähigkeiten der Heilkundigen. Offensichtlich wussten sie nicht, wie man Brüche richtet. Die Knochen wuchsen so zusammen, wie sie nach dem Unfall lagen. Als Folge waren die geheilten Gliedmaßen kürzer oder schief. Bestes Beispiel dafür ist der verheilte Oberschenkelknochen eines Mannes, dessen Bruchstücke seitlich zusammengewachsen sind. Der Fall zeigt noch etwas anderes: Die Ureinwohner handelten oftmals fürsorglich; denn anders hätte sich der zu monatelanger Bettlägerigkeit verurteilte Betroffene nicht erholen können. Er wäre wahrscheinlich vorher gestorben, oder der Bruch wäre nicht verheilt. Weiterhin ergaben die Untersuchungen der Anthropologen, dass im Süden der Insel vermehrt Beinbrüche auftraten, während im Norden häufiger die Arme gebrochen oder ausgerenkt wurden. Einrenken konnten die Heilkundigen anscheinend auch nicht. Die regionalen Unterschiede bei den Brüchen der Extremitäten erklärt man mit den unterschiedlichen Wirtschaftsformen. Im Norden war der Ackerbau weiter verbreitet als im Süden und brauchte viel Einsatz der Arme, die entsprechend verletzungsanfälliger waren. Im Süden hingegen herrschten Viehzucht und Hirtenleben vor mit stärkerer Beanspruchung der Beine.

Die Unfähigkeit, einzurenken, kontrastiert äußerst stark mit anderen gut entwickelten chirurgischen Kenntnissen, die offenkundig vorhanden waren. Sie beherrschten nämlich Techniken, den Hirnschädel eines Erkrankten zu öffnen. Entweder bohrten sie mit scharfen Steinwerkzeugen ein Loch in die Schädeldecke (Trepanation) oder brannten es mit heißen Steinen hinein (Kauterisation). Die Kauterisation verlief weniger blutig, weil durch die Hitze die Blutungen gestillt wurden. Die Gründe für diese Eingriffe kennen wir nicht. Sicher ist aber, dass sie in der Regel überlebt wurden. Das beweisen die Verheilungen mit neuem Knochenmaterial an der operierten Stelle.

Ein vereiterter Zahn konnte hingegen nicht behandelt werden, wie ein ausgestellter Unterkiefer deutlich zeigt. Er weist im Bereich des linken Eckzahns den durch die Vereiterung verursachten Verlust von Knochenmaterial auf, das nicht wieder nachgewachsen und verheilt ist. Vermutlich führte eine aus der Vereiterung entstandene Blutvergiftung zum Tod dieses Menschen.

Michael von Levetzow

Tenerife on Top

Museo de Naturaleza y Arqueología, C/ Fuente Morales, Santa Cruz.

Geöffnet: Di.-Sa. 9.00-20.00 Uhr; So., Mo. u. Feiertage 10.00-17.00 Uhr.

Eintrittspreise: 5 € (Residenten 3 €); Senioren ab 65 Jahre 3,50 € (Residenten 2,50 €); Kinder unter 8 Jahren frei. Freier Eintritt jeden Fr. u. Sa. 16.00 – 20.00 Uhr (falls Feiertag 13.00 – 17.00 Uhr)

Jeden Mittwoch 11.00 Uhr Führung in deutscher Sprache (ohne Aufpreis). Museums-WiFi auf Deutsch.

museosdetenerife.org

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