Vorsicht, Anruf!


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Selbstversuch Spanien

Der beliebte Reisejournalist Andreas Drouve berichtet aus seiner Wahlheimat. Spanische Momentaufnahmen, satirisch verdichtete Essays, skurrile Geschichten und Reportagen. Er schreckt vor keinem Tabu zurück und ist niemandem verpflichtet, keinem Stierzuchtbetrieb, keiner Partei, keiner Fluglinie, nicht einmal dem guten Geschmack. Was als Online-Kolumne begann (www.selbstversuch-spanien. de), erscheint im April 2012 als reich bebilderter Farbband: „Selbstversuch Spanien. Was mir in 52 Wochen alles vor die Hörner geriet“. Seien Sie dabei, wenn Spaniens Wirklichkeit die Klischees übertrifft!

Wer in Spanien telefoniert, muss mit einem rustikalen Gesprächsauftakt rechnen. Was danach kommt, kann helfen, Menschen und Mentalität besser zu verstehen.

»Noch nie in meinem Leben war ich so unhöflich an einem Telefon begrüßt worden«, ist jene Textstelle, die ich mir in Peter Richters Roman Gran Vía markiert habe. Ebenso den nachfolgenden Satz des Ich-Erzählers, er habe »bis dahin allerdings auch noch nie in Spanien« telefoniert. Ein Leidensgenosse.

Ruft man irgendwo an, meldet sich am anderen Ende der Leitung im Normalfall niemand mit Namen, weder die Sekretärin des Bürgermeisters, noch meine Schwiegereltern, noch das Personal meines Zahnarztes, der sogar schon zwei angesetzte Bohrtermine von mir verschwitzt hat. Stattdessen dringt zum Gesprächsauftakt häufig ein rustikales, militaristisch dahingebelltes »Ja!« ins Trommelfell, was Unerfahrene geradezu strammstehen lässt, aber nicht so gemeint ist, wie es sich anhört. Für Spanier entspricht die anfängliche Grobschlächtigkeit der Normalität und dem Ansatz: Wer wagt es, mich hier zu stören? Man zeigt sich bereit zum Audioduell. Im weiteren Fortgang des Telefonats löst sich die Ruppigkeit zum Glück oft in Wohlgefallen auf.

Das Phänomen der – aus Ausländersicht – unfeinen spanischen Art des Gesprächseinstiegs pflegen auch jene, die selber anrufen und demzufolge ein Anliegen haben. Kaum jemand verschwendet seine Zeit mit einem »Guten Tag«, was ich wie Sex ohne Vorspiel empfinde, sondern kommt gleich zur Sache. »Ist Cristina da?«, poltern irgendwelche Bekannte meiner Frau daher. Allerdings kommt niemand an mir vorbei, ohne sich im Anschluss zu identifizieren. So ergeht es Freizeit- und Geschäftsanrufern, Verwandten, den Freundinnen meiner Töchter. Da bin ich hart und konsequent, was wiede­­rum viele Spanier überrascht. Zuletzt war die Reihe wieder einmal an einem Werbebotschafter, bei dessen automatischer Wahlerkennung im Display »Unbekannt« aufleuchtete und der – wie üblich – ohne verbalen Zierrat mit der Tür ins Haus fiel.

»Wir bieten ab dieser Woche ein Konto mit einem außergewöhnlichen Zins an. Lassen Sie sich die Gelegenheit nicht entgehen!«

»Mit wem spreche ich überhaupt?«, wollte ich wissen, da ich niemanden meiner Stammsparkasse erkannte.

»Banco Espirito Santo.«

Es war die »Bank des Heiligen Geistes«!

Mein Gott, kein Scherz, die gab es wirklich. Ich wusste um Zweigstellen in Spanien, Zentrale und Schreibweise sind Portugiesisch. Natürlich war bei der Heilig-Geist-Bank nichts übernatürlich, sondern es handelte sich um einen platten, bodenverhafteten Versuch von illegalem Kundenfang. Zur Hölle mit den Gesetzen, mochte man sich denken.

Auch ich dachte kurz und hakte dann nach: »Wird bei Ihnen das Konto denn auf Erden oder im Himmel geführt?«

Pause.

Klick.

Aufgelegt.

Ähnlich erfolgreich war im Übrigen meine Abwehr gegen die himmelschreiende Gesprächsverwicklungstaktik aus dem Call Center der Versicherungsgesellschaft Divina Pastora verlaufen, der »Göttlichen Hirtin«. Hatte hier Maria persönlich die Bürgschaft übernommen? Als ich mit der Chefin zu sprechen verlangte und auf Nachfrage meinen Wunsch mit »heilige Jungfrau und Gottesmutter« präzisierte, war plötzlich niemand mehr zu hören.

Überraschend war hingegen, was ich selber während eines Anrufs bei einer Karmelitengemeinschaft zu hören bekam, die seit Jahrhunderten im Hinterland des Mittelmeerstädtchens Benicàssim ansässig ist. Nachdem ich mich nach den aktuellen Öffnungszeiten des Museums sakraler Kunst erkundigt hatte, wagte ich es, eine zweite Frage zu stellen, die mich an den Rand des Fegefeuers und der ewigen Verdammung bringen sollte.

»Wie groß ist Ihre Gemeinschaft heute noch?«, wollte ich wissen.

»Was geht Sie das denn an?«, fragte mich der Padre in einem Ton, der mir nicht allzu salbungsvoll schien.

Ich gab wahrheitsgemäß zur Antwort, dass ich diese Zusatzinformation gerne in ein Reisebuch aufnehmen würde, ging aber davon aus, dass der Ordensmann mich nicht richtig verstanden hatte und wiederholte die Frage.

»Solche Fragen stellt man ja wohl nicht. Diese Frage beantworte ich Ihnen unter keinen Umständen, die ist absolut überflüssig«, nahm ich in einer Angriffslust entgegen, als hätte ich um Aufschluss zu sexuellen Vorlieben gebeten.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mir nie konkret Gedanken über die Folgeschäden eines weltfremden Lebens in Gebeten und Askese gemacht …

Auf einem anderen Blatt steht, als Anrufer bei einer öffentlichen Institution zur Zielperson durchzudringen, international nichts Neues, aber in Spanien mit netten Nuancen. Zuletzt musste ein befreundeter spanischer Hochschulpro-fessor von auswärts seine eigene Universität kontaktieren. Der Arme! Er hatte die Durchwahl des Kollegen nicht zur Hand. Zuerst scheiterte er kläglich in der Warteschleife der Zentrale, beim zweiten Versuch gab jemand zu, des Weiterverbindens nicht fähig zu sein, ein Dritter war schließlich nicht an seinem Platz, um zu orten, wo sich der Kollege gerade befand. Des Professors Fazit, in einer Survival-Mischung aus Fatalismus und Sarkasmus: »Erst wenn jeder an seinem Platz ist, wird Spanien funktionieren.«

Alternativ pflegt er zu sagen: »Erst wenn jeder an seinem Platz ist, wird es in Spanien zur großen Revolution kommen können.«

Beides ist bislang nicht der Fall.

In der Reihe meiner ungewöhnlichsten Telefonate steht jenes mit Rafael, dem städtischen Pressechef der Tomatina, der »Tomatenschlacht« im Ort Bunyol, Provinz València, wo sich alljährlich an einem Spätsommertag die Teilnehmer gegenseitig mit Tomaten bewerfen. Meine Ausgangsfrage nach einer Akkreditierung als Journalist für die Fiesta nahm einen unerwarteten Verlauf: »Kein Problem, du kannst sogar auf einem Lastwagen mitfahren, der mit Tomaten beladen ist. Da dürfen sonst nur die Leute aus Bunyol drauf, dann kannst du sogar selbst mit Tomaten werfen. Fünfhundert Euro.«

»Wie fünfhundert Euro?«

»Das kostet dich fünfhundert Euro. Dafür bekommst du außerdem Interviews mit dem Bürgermeister, der Festkönigin und dem für Presse und Kommunikation zuständigen Stadtrat, das bin ich selber.«

»Fünfhundert Euro, um gnädigst eine Audienz bei Autoritäten vom Kaliber eines Pressesprechers gewährt zu bekommen. Fünfhundert Euro, um Tomaten zu werfen«, sinnierte ich ungläubig. Ein halbes Monatsgehalt eines spanischen Durchschnittsverdieners. Der Preis für drei- bis vierhundert Kilo Tomaten, wenn ich sie auf dem Markt für den Selbstverzehr kaufe.

»Fünfhundert Euro, das ist doch gar nichts«, versuchte der Mann Überzeugungsarbeit zu leisten. »Über uns berichten Teams aus der ganzen Welt, aus Japan, China, den USA. Wer am Tag der Tomatina zur Berichterstattung das Rathaus nutzt, bezahlt zweitausend.«

Soviel zum Thema internationale Eigenwerbung von Bunyol. Ob mit derlei verdächtiger Praxis die Gemeindesäckel oder Privattaschen gefüllt werden, entzieht sich meiner Kenntnis.

Als sympathischstes Telefonat ist mir jenes mit dem Archäologischen Museum in Madrid im Gedächtnis geblieben. Ein mir unbekannt gebliebener Spanier nahm den Anruf entgegen, ich stellte mich vor, binnen Sekunden entwickelte sich eine Vertrauensbasis, als würden wir uns ewig kennen. Ich wollte nur wissen, wann nach den laufenden Umbaumaßnahmen wieder mit dem normalen Museumsbetrieb zu rechnen sei.

»Weißt du«, antwortete mein unsichtbares Gegenüber, «wir sind hier in Spanien. Wir wissen nur, wann etwas begonnen hat. Wir wissen aber nie, wann es endet.«

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