Wandern und Entdecken

Wanderer auf dem Teide CABTF 2

Wandern auf weißen Flecken

Aldea Blanca heißt nicht zufällig so. Das „weiße Dorf“ – so heißt der Ortsname ins Deutsche übersetzt – liegt nämlich in den Bandas del Sur von Teneriffa. Dort im Süden der Insel sind große Flächen mit hellem Bimsstein bedeckt, Zeugnisse verheerender explosiver Ausbrüche des Vorgänger-Vulkans des Pico del Teide. Heller Bimsstein ist leicht zu bearbeiten. Man kann daraus Bausteine, aber auch Zement gewinnen. Aus beidem wurde das ursprüngliche Dorf Aldea Blanca errichtet und wirkte daher auf den sich nähernden Reisenden weiß. Anderenorts wurden eher dunklere Gesteinsarten zum Bau der Häuser verwendet. So kam die Siedlung, die ein Teil der Gemeinde San Miguel de Abona ist, zu ihrem Namen. Bimsstein ist in dieser Region oftmals landschaftsbestimmend und lässt die Südabdachung der Insel hell, manchmal fast weiß erscheinen. Da zwischendurch immer wieder dunklere und jüngere Basaltströme das helle Gestein überlagert haben, erscheinen die Zonen mit Bims wie weiße Flecken in der Landschaft. Einige davon umgeben Aldea Blanca.

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Kann man dort wandern? Und ob! Vor allem jetzt im Winter, wenn die Tage weniger heiß sind! Aber wer weiß das schon!
Wenn ich ein Wanderführer-Buch in die Hand bekomme, schaue ich zuerst, ob darin Touren aus dem Süden der Insel beschrieben sind. In der Regel und bei praktisch allen deutschsprachigen Werken herrscht dort leider gähnende Leere. In der Sprache der Kartografen sind das „weiße Fle-­cken“. Für mich ein Grund, sie nicht zu kaufen. Denn selbstverständlich gibt es dort seit Jahrhunderten, wenn nicht gar seit Jahrtausenden wichtige und spannende Wege. Mir gibt es zu viele Führerautoren, die sich vorzugsweise an dem orientieren, was vor etwa fünfzig Jahren Wanderpioniere wie Helga und Hans Breitenströter im Norden, Osten und Westen der Insel erkundet und für andere Wanderer, die die Insel nicht so gut kannten, aber kennenlernen wollten, beschrieben haben. Etwa zwei Drittel der heute üblicherweise beschriebenen Routen gehen auf deren Aufsätze und Bücher zurück, auch wenn keiner der Autoren es für angebracht hält, diese und andere Vorgänger wenigstens anerkennend im Vorwort zu erwähnen. Zum schlechten Stil passt, dass sich niemand von diesen daran gemacht hat, die Lücken, die damals nicht erwandert werden konnten, zu schließen. Dabei wäre es so leicht! Die Gemeinden des Südens haben längst einen gemeinsamen dreisprachigen Wanderführer veröffentlicht. Man findet ihn kos­tenfrei im Internet auf der Seite von Granadilla de Abona als „Guía de Senderos“ und ebenso als kostenlose App (aPateApp) und bekommt damit alle notwendigen Angaben (Länge, Wegzeit, Höhenprofil usw.) Da alle Wege an den entscheidenden Stellen mit Wegweisern ausgestattet und je nach Länge entlang ihres Verlaufs mit den offiziellen gelb-weißen oder grün-weißen Zeichen markiert sind, kann man sie auch gut ohne langweilige Wegangaben und schlechte Landkarten begehen. Dafür enthält der Guía de Senderos aber zumindest Hinweise auf die Landschaft, ihre Geschichte und die ihrer früheren Bewohner. Ich würde mir diese Angaben noch vielfältiger und ausführlicher wünschen. Gemes­sen an der wegfixierten typischen Wanderführerliteratur ist das aber schon eine erhebliche Verbesserung.

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Wie war es hier denn vor Beginn des motorisierten Verkehrs? Die meisten Gegenden der Insel waren, abhängig von den jeweiligen Notwendigkeiten, längst und teilweise schon seit zweitausend Jahren durch ein Wegenetz erschlossen. Die Wege der Guanchen mögen nach heutigem Verständnis sehr unbequem gewesen sein; denn wir bewegen uns normalerweise nicht mit Hilfe langer Holzstangen vorwärts. Das war eine Spezialität der Ureinwohner, die heute im Salto del Pas­tor, dem Hirtensprung fortlebt. Wer den beherrscht, braucht keinen Wanderweg. Dennoch gab es schon damals regelrechte Trassen, auf denen man sich bevorzugt zwischen den Siedlungen und zu den Weidegebieten bewegte, weil es auf ihnen am besten ging. Nach der Eroberung durch die Spanier und deren Ortsgründungen griffen diese auf die Erfahrungen und Trassenführungen der Guanchen zurück; wichtige Verbindungswege wurden ausgebaut, sehr wichtige zu „Caminos Reales“ – königlichen Wegen, in ihrer Bedeutung heutigen Bundesstraßen vergleichbar.

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Gerade im Süden Teneriffas sind die Caminos Reales noch in größeren Abschnitten erhalten. Sie waren wichtige Handelsrouten, über die viele Waren transportiert wurden. Wegen der gelegentlichen Steilheit des Geländes waren sie für Kutschen und Fuhrwerke eher ungeeignet. Aber reiten oder gehen konnte man gut auf ihnen. Heute bilden sie wesentliche Elemente des Wanderwegenetzes der Gemeinden im Süden der Insel. Früher wanderte dort fast jeder, um von einem Ort zum anderen zu gelangen. Dabei spielte die Jahreszeit kaum eine Rolle. Man brach früh auf und machte an bestimmten Rastplätzen Pause. Meistens waren dort Quellen oder Brunnen, wo man auch gegebenenfalls die Tiere tränken und anderen Wanderern begegnen konnte. Hier wurden nicht nur Nachrichten und der neueste Klatsch ausgetauscht.
Längst sind diese Wege nicht mehr so lebendig wie einst. Das Leben hat sich mit den modernen Verkehrswegen an andere Orte verlagert. Aber für uns Wanderer könnte es reizvoll sein, entlang der weißen Flecken die Spuren der Vergangenheit zu entdecken: Verlassene Bauernhäuser, Dreschplätze, Brunnen, Ziegel­öfen, Straßenpflaster, in den Fels geschlagene Stufen, Felsgravuren der Ureinwohner (Foto u.r.) und manches andere. Gerade der Süden ist reich an archäologischen Fundstätten. Wer aufmerksam ist, kann sie gelegentlich entde­cken … und ihr Geheimnis für sich bewahren. Denn zum Schutz vor absichtlicher oder versehentlicher Beschädigung werden die genauen Orte dieser Relikte auch im Guía de Senderos und der App nicht angegeben. Manchmal sind sie am Weg oder wenige Schritte davon entfernt. Im Gegensatz zu den Wegen sollten sie „weiße Flecken“ auf den Wanderkarten bleiben.

Michael von Levetzow
Tenerife on Top

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