Wandern und Entdecken: Almagre


San Juan de la Rambla liegt malerisch auf einer Terrasse direkt an der Nordküste Teneriffas, etwa 50 m über dem Meer und weitgehend im touristischen Abseits. Zwar sind die paar Fischrestaurants unten am Ufer im Ortsteil Las Aguas bei schönem Wetter an den Wochenenden regelmäßig überfüllt, aber auch dort findet eher kein Tourismus statt. Empfehlenswert ist zu praktisch jeder Zeit die gemütliche Wanderung von diesen Restaurants zum Barranco de Ruiz und über diesen hinaus zur Rambla de los Caballos. Der Weg und die anliegenden traditionellen Häuser bieten reizvolle Einblicke. Das Dorf San Juan selbst hingegen gruppiert sich entlang der alten Hauptstraße und vor allem um die alte Kirche, die Johannes dem Täufer gewidmet ist und dem Ort den Namen gab. Statt touristischer Infrastruktur finden wir bei der Kirche nur ein paar Bars, immerhin genug für einen Imbiss, wenn wir uns doch entschließen sollten, hier auf Entdeckung zu gehen. Und das könnte sich lohnen. Das gilt nicht nur für das gut und vollständig erhaltene Ensemble historischer Gebäude rund um den großen Kirchplatz, sondern auch für die Kirche selbst. Sie ist zwar meistens verschlossen, aber wenn man es einrichtet, kurz vor oder nach einer Messe dort zu sein, wird man in ihrem Inneren mit zahlreichen Kunstwerken belohnt. Ganz in der Nähe befindet sich auch an einem Haus eine Inschrift zur Erinnerung an das verheerende Unwetter von 1826, als zahlreiche Menschen und Tiere Opfer der Wassermassen wurden, die meterhoch durch die Straßen strömten. Neben diesem kulturellen Erbe besitzt der Ort auch zahlreiche geologische Besonderheiten, auf die ab und zu Erklärungstafeln hinweisen. Dass hier nur wenige Leute unterwegs sind, macht es angenehm, dies alles in Ruhe zu erkunden.

Bei San Juan de la Rambla grenzt der Tigaiga-Bergrücken an das kaum noch erkennbare Tal von Icod de los Vinos. Letzteres entstand vor 175.000 Jahren durch einen gewaltigen Bergsturz, der bis hinauf zu den Steilwänden der Cañadas del Teide reichte, aber inzwischen vom Teide-Vulkan und seinen zahlreichen Nebenkratern und -vulkanen weitgehend wieder aufgefüllt worden ist. Der Tigaiga-Rücken hingegen ist damals stehen geblieben und in seinen unteren Schichten mehr als zweieinhalb Millionen Jahre alt, seine oberen Decken verwittern erst seit 800.000 Jahren. Damit ist dieser Bergrücken der älteste Teil der Region. Die vorgelagerte Terrasse, die hier Rambla heißt und auf der der Ort selbst steht, ist wesentlich jünger. Ihre obersten Schichten sind nur etwa 9.300 Jahre alt und stammen von der Montaña negra, einem Nebenvulkan des Pico del Teide. Er befindet sich auf etwa 2100 m Höhe gegenüber der bekannten Fortaleza. Der größte Teil der damals produzierten Lava floss neben der Tigaiga bis zum Meer, das sie beim heutigen San Juan erreichte, und trug zur weiteren Auffüllung des Tals von Icod bei. Ein kleinerer Teil fand seinen Weg jedoch über den Tigaiga-Rücken und gelangte ebenfalls bei San Juan, nahe bei Las Aguas, an das Ufer. In diesem Bereich kann man heute sehr gut sehen, dass es sich dabei keineswegs um den ersten Lavastrom handelte, der die Rambla entstehen ließ. Bei unserem Weg durch San Juan können wir an mehreren Stellen das Steilufer unterhalb des Ortes betrachten und erkennen, dass mehrere dicke Lavapakete dort übereinanderliegen. Dabei fallen breite orange bis rostrote Streifen in den Wänden auf. Darüber befindet sich die sehr dicke Decke der jüngsten und hellgrauen Lava, also der von der Montaña negra. Es handelt sich um Phonotephryt. Darunter liegt entweder Geröll vor der Wand, oder weitere und ältere kompakte Lavaschichten sind sichtbar. Weiter abwärts zieht sich stellenweise noch eine dünnere rötliche Schicht durch das graue Gestein.
Das rötliche Material ist Almagre. Es bedeckt in vulkanischen Zonen immer eine Lavadecke und ist durch langan­haltende Verwitterung aus dieser entstanden. Lava, die für Jahrtausende an der Luft liegt, verwittert zu Rohboden. Dieser enthält diverse Mineralien, überwiegend Aluminium- und Eisenverbindungen. Die Rohbodenschicht ist umso dicker, je länger dort keine neue Lava geflossen ist. Wird sie schließlich von Lava überflossen, wird sie durch deren Hitze gebacken und bekommt durch den dabei entstehenden rötlichen Hämatit (ein Eisenoxid) seine Ockerfarbe.
Das Wort Almagre leitet sich aus dem Arabischen her; „almagra“ bedeutet „rote Erde“. Wir kennen den Stoff auch als Rötel, ein Material, das schon seit der Altsteinzeit Künstler zum Zeichnen benutzen.
Auf den Kanarischen Inseln war Almagre in der Vergangenheit ein wichtiger Stoff; denn schon die Ureinwohner hatten herausgefunden, dass man aus diesem Material Ton zur Herstellung von Keramik erzeugen kann. In mehreren Schritten (Sieben und Aussortieren der Steine, Wässern, Quellen und Kneten) wurde gebrauchsfertiger Ton gewonnen. Allerdings liefert nicht jede Almagre-Fundstelle qualitativ hochwertigen Ton. Zahlreiche Keramikgefäße in den archäologischen Museen der Inseln zeugen von der Bedeutung dieses Materials für die Ureinwohner. Auch nach der Unterwerfung der Inseln im 15. Jahrhundert wurden auf diese traditionelle Weise Töpferwaren hergestellt. Üblicherweise war das einschließlich des Abgrabens des Almagre Aufgabe der Frauen, die „ihre“ Fundstellen als gut gehütete Geheimnisse nur an ihre Töchter weitergaben.
Almagre findet man vorwiegend an Plätzen mit Steilwänden, also im Bereich der Steilküsten wie bei San Juan, aber auch in zahlreichen tief eingeschnittenen Barrancos. Wanderer, die den (zurzeit noch gesperrten) Barranco de Masca hinabsteigen, dürften leicht das Ocker-Band entdecken, das die Schlucht nah bei der Talsohle fast auf ihrer gesamten Länge durchzieht. Es bezeugt, dass hier in der frühen Geschichte des Teno-Massivs für eine relativ lange Zeit keine Lava geflossen ist.

Michael von Levetzow
Tenerife on Top

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